Studenten protestieren gegen die Verhaftung von Aktivisten in Katalonie
Hintergrund

Beginn der Zwangsverwaltung Leichter abgesetzt als umgesetzt

Stand: 30.10.2017 04:09 Uhr

Die spanische Zentralregierung hat die Amtsgeschäfte in Katalonien übernommen. Doch was nach spanischer Verfassung einfach klingt, kann in der Praxis durchaus problematisch sein. Madrids Macht in der Region und wo es haken kann- ein Überblick.

Nach Artikel 155 der spanischen Verfassung ist die Sache klar: Ab sofort hat die Zentralregierung in Madrid das Sagen in Katalonien. Doch was nach Recht und Gesetz unzweifelhaft scheint, ist in der Praxis alles andere als leicht umsetzbar für Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy. Madrids Macht ist nicht so tief in der autonomen Region im Nordosten des Landes verwurzelt, um dort wirklich Eindruck zu machen. Eine Übersicht über verschiedene Bereiche:

Verwaltung

Sie ist eine der größten Hürden für eine tatsächliche Kontrolle der Region. Nur neun Prozent der Beamten Kataloniens, das sind rund 26.000 Mitarbeiter, werden von der Zentralregierung gestellt. Nach Berechnungen der Zeitung "El País" hat Madrid nur 842 Richter und 5900 Angehörige der Sicherheitskräfte in Katalonien unter direkter Kontrolle. Nach Zahlen der Nachrichtenagentur AFP arbeiten von den 304.000 Beamten in Katalonien insgesamt 167.000 für die Regionalverwaltung und 84.000 in den zahlreichen Rathäusern und Gemeindeverwaltungen. Und laut dpa gehören dem "Verband der Gemeinden für die Unabhängigkeit Kataloniens" (AMI) zudem 787 aller 948 Bürgermeister an. Mit Boykottaktionen dürfte daher zu rechnen sein.

Zwar drohte Spaniens Vizeregierungschefin Soraya Saenz de Santamaria, die die katalanische Verwaltung kontrollieren soll, bei Ungehorsam mit Entlassungen. Aber nicht jeden dürfte das schrecken. Ein Sprecher der Bildungsgewerkschaft Ustec erklärte, Katalonien werde "keine Verwaltung anerkennen, die nicht aus den Stimmurnen des katalanischen Volkes hervorgegangen" sei.

Carles Puigdemont

Geht er freiwillig? Carles Puigdemont

Regierung

Nach der Veröffentlichung der Absetzung der Regionalregierung von Carles Puigdemont am Samstag im spanischen Amtsblatt ist Ministerpräsident Mariano Rajoy auch Regionalpräsident Kataloniens. In der Praxis übernimmt seine Vizechefin Soraya Saénz de Santamaría die Amtsgeschäfte. Die Staatssekretäre in den Madrider Ministerien übernehmen die Leitung der jeweiligen Regional-Ressorts. Ob und wie viele Politiker und Beamte im Rahmen der Übernahme von Madrid nach Barcelona versetzt werden, ist bislang noch unbekannt.

Was passiert, wenn Puigdemont sein Büro nicht freiwillig räumt? Die Frage scheint auf den ersten Blick banal, doch in der Praxis wirft sie weitere Probleme auf. Rechtlich gesehen würde er mit einer Weigerung und den Folgen weitere Straftaten begehen, heißt es aus Regierungkreisen in Madrid. Nichts von dem, was er jetzt noch anordne, habe irgendeine Gültigkeit.

In der Realität hat Puigdemont aber bereits deutlich gemacht, dass er gar nicht daran denkt, Madrid das Feld zu überlassen. Stattdessen rief er zum "demokratischen Widerstand" auf. Sein Vize Oriol Junqueras bekräftigte in einem Zeitungsartikel, dass Puigdemont "Präsident des Landes ist und bleibt". Eine Festnahme müsste ein Richter absegnen, die Polizei müsste sie ausführen. Katalanische Politiker, die vielleicht sogar mit Gewalt aus dem Parlament geführt werden - das sind Bilder, die Madrid unbedingt vermeiden will.

Polizei und Justiz

Die beiden Chefs der katalanischen Polizeieinheit Mossos d'Esquadra, Pere Soler und Josep Lluís Trapero, wurden abgesetzt und gingen bereits widerstandslos. Die "Mossos" (Jungs) werden jetzt nach Medieneinschätzung den von Madrid eingesetzten neuen Chefs folgen, da bei der Polizei das Gehorsamsgebot gelte. Im Bereich der Justiz - anders als mit der katalanischen Polizei - war Madrid in Katalonien nie auf Probleme gestoßen. Die katalanische Justiz entschied zuletzt mehrfach gegen die Separatisten.

Beamte der spanischen Policía Nacional ziehen aus ihrem Hotel in Barcelona aus

Beamte der nationalen Polizei Anfang Oktober in Barcelona.

Medien

Die Bestrebungen zur Kontrolle der katalanischen Medien haben für Madrid ein echtes Imageproblem in Sachen Pressefreiheit zur Folge. Rajoy rechtfertigte die Maßnahme mit der Notwendigkeit, "glaubwürdige, objektive und ausgewogenen" Berichterstattung gewährleisten zu müssen. Bei den drei großen katalanischen Medien - TV3, Catalunya Radio und der katalanischen Nachrichtenagentur - arbeiten insgesamt rund 2300 Mitarbeiter. Madrids Einflussnahmeversuche ist für sie "inakzeptabel".

Zivilgesellschaft

Rund 7,5 Millionen Einwohner hat Katalonien, die Region ist etwa so groß wie Belgien. Und sie ist stolz auf ihre Autonomierechte. Entsprechend groß ist die Bereitschaft der Unabhängigkeitsbefürworter, für ihre Anführer auf die Straßen zu gehen, zu protestieren, blockieren und boykottieren.

Das einflussreiche Kollektiv "Aufrecht für Frieden" verfolgt seit Langem eine "gewaltlose Strategie der Befreiung": Die Aktivisten werben für eine Verweigerung der Kooperation mit Madrid, für Streiks und Boykotte sowie für "zivilen Ungehorsam", seit längerem gibt es hierfür Anleitungen und Schulungen.

Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens in Barcelona

Protestieren, blockieren, boykottieren: Aktivisten werben für "zivilen Ungehorsam".

Allerdings gibt es auch die Gegner der Abspaltung. Erst am Wochenende demonstrierten wieder Hunderttausende in Barcelona für die Einheit Spaniens. Umfragen zufolge gewinnen prospanische Parteien in der Wählergunst. Für den 21. Dezember setzte Madrid Neuwahlen an. Ob auch die separatistische Parteien teilnehmen, ist noch unklar. Entgegen früheren Plänen wird Madrid eine Kandidatur von Puigdemont nicht verhindern - sofern der liberale Politiker bis dahin nicht hinter Gittern sitzt.

Finanzen

Beim Geld sitzt Madrid am langen Hebel: Die katalanischen Finanzen stehen bereits seit September unter der Aufsicht Madrids. Ab Ende dieses Monats wird Barcelona seine Beamten und Angestellten nicht mehr entlohnen können. Auch Schulden wird die Regionalregierung nicht mehr bedienen können.

Quelle: AFP, dpa

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete am 29. Oktober 2017 tagesschau24 um 16:00 Uhr und die tagesschau um 17:15 Uhr.