Iraks Kurden stimmen ab Referendum als Druckmittel?
Das geplante Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Irak versetzt die ganze Region in Aufregung. Im Land selbst, aber auch von Nachbaarstaaten wird mit Gegenmaßnahmen gedroht. tagesschau.de erklärt, was die Kurden mit dem Referendum anstreben und wie die Erfolgsaussichten sind.
Worum geht es bei dem Referendum im Irak?
Die Kurden im Nordirak wollen am Montag darüber abstimmen, ob sie einen eigenen Staat haben wollen. Es ist das erste offizielle Referendum, das eine Abspaltung der kurdischen Region vom Irak einleiten könnte. Eine große Mehrheit für eine Abspaltung gilt als sicher. Ein wichtiger Grund: Bis heute hat sich die Zentralregierung in Bagdad mit der Regionalregierung der Kurden nicht darauf einigen können, wie viel von den Öleinnahmen den Kurden zustehen.
Wer sind die Kurden?
Das Volk der Kurden wurde von den britischen und französischen Kolonialmächte nach dem Ersten Weltkrieg durch fragwürdige Grenzziehungen gespalten. Die Kurden sahen sich durch die Grenzen des Irak, der Türkei, Syriens und Iran auf vier Länder verteilt. In allen Staaten waren sie somit eine Minderheit, die mehr oder weniger unterdrückt wurde. Überall kämpfen sie seit Jahrzehnten um Anerkennung, Autonomie oder Unabhängigkeit. Heute gelten die Kurden mit 30 bis 40 Millionen Angehörigen als das größte Volk ohne eigenen Staat. Die Mehrheit der Kurden sind sunnitische Muslime, doch gibt es auch Christen, Aleviten und andere Religionsgruppen.
Auch sie werben für das Referendum: kurdische Peschmerga-Kämpfer
Eigener Staat - warum gerade im Irak?
Die Unterdrückung der Kurden unter dem früheren irakischen Präsidenten Saddam Hussein war besonders brutal. Die Kurden wollten 1985 finanzielle Autonomie und die Kontrolle über die ölreiche Region Kirkuk. Hussein begann daraufhin eine militärische Offensive gegen die Kurden, die in dem Giftgasangriff von Halabdscha im Jahr 1988 gipfelte. Allein dabei starben 5000 Menschen. Es war ein Trauma für die Kurden.
Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 und der darauf folgenden schiitischen Mehrheitsregierung unter Nuri al-Maliki wurde das Verhältnis zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Kurdenregierung in Erbil zwar besser. Aber die Frage zum Beispiel, wem Kirkuk gehört, wurde wieder nicht gelöst. Die Spannungen blieben bestehen und fanden ihren Höhepunkt, als 2014 IS-Terroristen (damals noch ISIS) die Kurden im Nordirak überfielen und die irakische Armee die Kurden im Stich ließ. Die Extremisten wollten vor allem die kurdischen Jesiden töten - ein weiteres Trauma für die Kurden, das das Verlangen nach einem eigenen Staat zusätzlich bestärkte.
Wie sind die Chancen für einen eigenen Staat?
Es ist unrealistisch, dass die Kurden in absehbarer Zeit einen eigenen Staat durchsetzen können. Die schiitisch dominierte irakische Regierung verurteilt das Vorgehen der Kurden auf das Schärfste. Schiitische Milizen drohen, in Kirkuk einzumarschieren, falls die Kurden sich diese im Zuge einer Abspaltung einverleiben wollten. Ein Bürgerkrieg ist bei einer Abspaltung also durchaus wahrscheinlich.
Überall in Erbil wird zur Teilnahme am Referendum aufgerufen, auch in diesem Markt.
Wie reagieren die Nachbarstaaten?
Die Türkei und Iran lehnen die Autonomie-Bestrebungen ebenfalls ab. Beide Staaten befürchten, dass die kurdischen Minderheiten im eigenen Land dann ihr eigenes Autonomieprojekt mit noch mehr Nachdruck verfolgen könnten.
Und wie verhalten sich die Verbündeten der Kurden?
Auch wichtigsten Verbündeten der Kurden, wie zum Beispiel die USA und Deutschland, sind gegen das Referendum. Beide befürchten, dass es zu einem Bürgerkrieg führen könnte. Deutsche Waffen, die den Kurden für den Kampf gegen den IS geliefert wurden, kämen dann zum Einsatz. Das will die deutsche Bundesregierung verhindern.
In der Summe lehnen also die USA, die Türkei, Iran, Deutschland und viele andere EU Staaten eine Abspaltung des Kurdengebietes vom Irak ab. Ohne Chancen einer internationalen Anerkennung ist das Autonomieprojekt der Kurden auf absehbare Zeit zum Scheitern verurteilt.
Strebt Kurdenführer Barsani die Unabhängigkeit an - oder nur eine besseren Status im Irak?
Warum halten die Kurden trotzdem an dem Referendum fest?
Das Referendum ist nicht bindend, führt also rein rechtlich gesehen nicht unmittelbar zu einer Unabhängigkeitserklärung. Es hat aber eine eine hohe Symbolkraft, weil es den Anfang eines Unabhängigkeitprozesses markiert. Zum anderen versuchen der Kurden derzeit, Gebiete in ihr Verwaltungsgebiet einzuverleiben, die sie im Kampf gegen den IS erobert haben. Dabei geht es vor allem um Kirkuk - und damit um Öl.
Das Referendum treibt möglicherweise den Preis für einen Kompromiss mit der Zentralregierung in Bagdad in die Höhe. Dieser könnte so aussehen könnte: Die Kurden belassen es bei dem Referendum und verzichten auf die Unabhängigkeitserklärung. Die irakische Regierung gesteht im Gegenzug den Kurden Gebiete zu, die bisher nicht in deren Verwaltungsanspruch fielen.