Medienfreiheit in Europa Populisten gegen Journalisten
In Estland kündigt ein Journalist, in Österreich steht ein Moderator unter Druck, in Ungarn sind Medien unter Regierungskontrolle. Wo Populisten regieren, wird es für Medien schwer - warum eigentlich?
Es war eine Amtseinführung mit viel Symbolik am Montag im estnischen Parlament in Tallinn: Präsidentin Kersti Kaljulaid trug ein Shirt mit der Aufschrift "Die Rede ist frei". Gemünzt war dies vor allem auf die rechtspopulistische Estnische Konservative Volkspartei (EKRE), die nun an der Regierung beteiligt ist.
Zwei ihrer Vertreter - der neue Innenminister Mart Helme und dessen Sohn Martin Helme als Finanzminister - zeigten vor den Abgeordneten Gesten, die der neonazistischen "White Power"-Bewegung zugeordnet werden.
Mart Helme ...
Zumindest verstanden Ex-Präsident Toomas Hendrik Ilves und andere Beobachter diese Fingerzeichen so und sahen sie als Bestätigung für rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Haltungen, die immer wieder in Äußerungen von EKRE-Politikern zum Ausdruck kommen.
Auf Kritik an solchen Äußerungen reagierten EKRE-Politiker dünnhäutig. So forderte Martin Helme im März in einem Brief an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ERR den Rauswurf aller Journalisten, die sich "voreingenommen" gegenüber seiner Partei gezeigt hätten.
Weggang statt Selbstzensur
Noch bevor die neue Regierung ins Amt eingeführt war, hatte ein Journalist Konsequenzen gezogen: Ahto Lobjakas kündigte seinen Job als Moderator einer Radiosendung beim ERR. Er habe die Wahl zwischen Selbstzensur und Weggang gehabt, erklärt Lobjakas. Mit Verweis auf die neue Regierung sei ihm mehr "Ausgewogenheit" nahegelegt worden.
Wie kritisch er auch immer über die Vorgängerregierung berichtet habe, sei er doch nie unter Druck gesetzt worden. Das habe sich nach der Parlamentswahl im März geändert, bei der die EKRE drittstärkste Kraft wurde.
Die parteilose Präsidentin Kaljulaid trug bei der Amtseinführung ein Shirt mit dem Slogan "Die Rede ist frei".
Medien hatten nicht nur rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen von EKRE-Politikern thematisiert. Auch über Vorwürfe häuslicher Gewalt gegen den Politiker Marti Kuusik hatten sie berichtet. Kuusik und das vermeintliche Opfer dementierten zwar die Vorwürfe. Aber die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf und Kuusik erklärte nach nur einem Tag als Minister für Informationstechnologie seinen Rücktritt. Präsidentin Kaljulaid ihrerseits dankte nicht nur den Ermittlungsbehörden, sondern auch den Medien für ihre Arbeit.
Die Tendenz populistischer Politiker, Druck auf Medien auszuüben, erklärt sich Lobjakas im Interview mit tagesschau.de mit einer "instinktiven Intoleranz gegenüber Widerspruch", dies vor allem im Fall der öffentlich-rechtlichen Medien, die die EKRE mit ihrer postsowjetischen Denkweise als Staatsmedien und mithin als Eigentum der Regierung ansehe. Ein zweiter Aspekt sei die Mobilisierung von Wählern durch die "Dämonisierung von Feinden".
Eine Auszeit nahegelegt
Ebenfalls unter Druck steht der österreichische Moderator Armin Wolf, seit Jahren bekannt und geschätzt für beharrliches Nachfragen bei Interviews im Nachrichtenjournal "Zeit im Bild 2" im ORF. Anlass war ein Interview mit Harald Vilimsky, dem Generalsekretär der FPÖ, die derzeit mit der ÖVP das Land regiert.
Konfrontiert mit einer antisemitischen Karikatur des NS-Hetzblatts "Der Stürmer", kam es zu einem verbalen Schlagabtausch, an dessen Ende Vilimsky mit "Folgen" drohte. Andere FPÖ-Politiker stimmten ein. Der ORF-Stiftungsratsvorsitzende und Ex-FPÖ-Parteichef Norbert Steger empfahl Wolf eine Auszeit.
Jedoch erhielt Wolf aus dem ORF und von anderer Seite Unterstützung. Österreichs Bundeskanzler und Koalitionspartner der FPÖ, Sebastian Kurz stellte sich am Dienstag einem Interview mit Wolf und sagte, er sei "Fan von unabhängigen Medien".
Wolf sieht einen Grundkonflikt zwischen Qualitätsjournalismus und populistischer Politik.
Vernunft gegen Emotionen und Ressentiments
Doch warum wollen gerade Populisten die Medien und besonders die öffentlich-rechtlichen Sender einschränken? Wolf sieht einen unlösbaren Grundkonflikt: "Seriöser Journalismus differenziert und appelliert an die Vernunft seiner Leser. Populistische Politik setzt auf Vereinfachung und appelliert an die Emotion und auch an die Ressentiments von Wähler."
Deshalb berichteten Qualitätsmedien üblicherweise kritisch über populistische Bewegungen. Diese wiederum fühlten sich von seriösen Medien üblicherweise schlecht und unfair behandelt, antwortete Wolf auf Anfrage von tagesschau.de.
Außerdem sähen Populisten traditionelle Medien als Teil "des Systems" und der "Elite", die von Populisten grundsätzlich bekämpft würden. Bei öffentlich-rechtlichen Medien komme hinzu, dass diese üblicherweise ein Objektivitätsgebot hätten, das populistische Parteien ausnützten, indem sie die kritische Berichterstattung über sie als "unfair, einseitig und parteiisch" denunzieren.
Permanenter Alarmzustand
Das Schüren von Ressentiments sieht der ungarische Historiker Balazs Trencsenyi von der Central European University in Budapest ebenfalls als Motivation von Populisten für ihr Handeln. Er verweist im Interview mit tagesschau.de auf Aussagen von Steve Bannon, Ex-Berater von US-Präsident Donald Trump, wonach es genüge, einen kleineren, aber gut organisierten Teil der Bevölkerung hinter sich zu scharen, während der größere Teil der Bevölkerung durch gezielte Themensetzung gegeneinander aufgebracht und damit gespalten werde.
Kontrolle über Medien und damit zumindest über einen Teil der öffentlichen Meinung spiele eine entscheidende Rolle, damit sich Populisten wie Viktor Orban in Ungarn an der Macht halten könnten, so Trencsenyi.
Orban gibt sich noch immer als Kämpfer gegen die Macht.
Orban präsentiere sich noch immer wie ein Mann aus dem Volk, der sich gegen die Macht behaupte. Dazu müssten ihm treue Medien beständig den Eindruck erwecken, dass es einen Feind und schwerwiegende Gefahren zu bekämpfen gebe.
In Ungarn komme hinzu, dass regierungstreue Medien wie Paparazzi in das Privatleben von politischen Gegnern eindrängen und sie bedrohten. So seien kürzlich unter dem Rock einer Oppositionsaktivistin im Teenageralter Fotos gemacht und veröffentlicht worden.