Lage in Afghanistan Chance auf Neubeginn
Der "Krieg gegen den Terror" hat zum Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan geführt. Ein Nebeneffekt: Das geschundene Land erhielt eine neue Perspektive. Der Weg zu einer friedlichen Entwicklung ist aber noch weit.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September stand zumindest ein Ziel amerikanischer Aktionen schnell fest: Afghanistan. Denn dort genoss Osama Bin Laden Gastrecht und dort weigerten sich die extrem-islamistischen Taliban, den amerikanischen Forderungen nachzugeben und Bin Laden auszuliefern. Ein Grund für diese Weigerung war sicher die ideologische Nähe zwischen Taliban-Führer Mullah Omar und dem saudischen Terroristenchef. Ein weiterer: Eine falsch verstandene Gastfreundschaft gegenüber einem Mann, der mit gekämpft hatte, um Afghanistan von der sowjetischen Besatzung zu befreien.
Neue Chancen für die Nordallianz
Während Washington seine "Allianz gegen den Terrorismus" aufbaute und dafür mit Ausnahme Irans alle Anrainer Afghanistans gewann, nahmen auch in Afghanistan die alten Fronten wieder Gestalt an: Die "Nordallianz" des kurz zuvor ermordeten Achmed Schah Massud und des pro-forma-Präsidenten Rabbani war vor Jahren von den Taliban aus Kabul vertrieben worden und hatte zeitweilig nur noch knapp fünf Prozent des Landes kontrolliert. Sie sah ihre Chance nun gekommen: Die überwiegend tadschikischen Krieger hatten als "Mudschahedin" die Sowjets vertrieben. Nun erhielten sie Waffen und Ausrüstung aus Russland und biederten sich als natürliche Verbündete der Amerikaner an.
In Washington hatte man allerdings nicht vor, die Mudschahedin wieder an die Macht zu bringen. Denn man wusste noch zu gut, dass diese Gruppen es gewesen waren, die sich im Kampf um die Macht blutige Auseinandersetzungen geliefert hatten. Dabei verwüsteten sie nicht nur die Hauptstadt Kabul, sondern bereiteten dem Land auch großes Elend. Aber ebenso erinnerte man sich in Washington an das Schicksal der sowjetischen Truppen: Sollten die Taliban besiegt werden, dann dürften die Amerikaner nicht die Macht übernehmen. Das könnten nur Afghanen selbst tun - vor Ort aber gab es aber nur die Nordallianz, die dann auch in Kabul einrückte. Die Amerikaner waren dagegen mit ihrer Jagd nach Osama Bin Laden beschäftigt – der sich freilich immer mehr zu einer Art Phantom entwickelte.
Afghanischer Neuanfang in Bonn
Es waren die Vereinten Nationen, die sich unter Anleitung ihres unermüdlichen Afghanistan-Beauftragten Brahimi einschalteten und mit massiver deutscher Unterstützung Ende November auf dem Petersberg bei Bonn eine Afghanistan-Konferenz einberiefen. Dort traten Afghanen aus dem Land selbst wie aus dem Exil zusammen und stellten die Weichen für das künftige Vorgehen. Es stand fest, dass die Macht künftig zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen gerechter verteilt werden sollte. Dabei beschränkten sich die USA darauf, "ihren Mann" ins Spiel zu bringen: den Paschtunen Hamid Karzai. Er war bis dahin kaum bekannt gewesen, doch nun begrüßte er telefonisch die Delegierten auf dem Petersberg.
Washington war nicht in den Krieg gezogen, um Afghanistan aus humanitären Gründen von den Taliban zu befreien, sondern weil diese Bin Laden schützten und gewähren ließen. Hätten sie ihn ausgeliefert – Afghanistan würde wohl auch heute noch von den radikalen Islamisten beherrscht. Die auf dem Petersberg beschlossene Übergangsregierung wurde dann unter Karzai gebildet, termingerecht wurde auch die traditionelle "Loya Jirga" abgehalten und der Zeitplan für die weitere Normalisierung aufgestellt.
Instabile Situation
Aber wer geglaubt hatte, Afghanistan befinde sich damit auf dem Weg zu einem modernen Staat, der hat längst einsehen müssen, dass man weit davon entfernt ist. Denn: Religiös gefärbte Bestimmungen reglementieren weiterhin das Leben. Die Regierung ist nicht einmal in Kabul sicher, wie Anschläge auf ihre Mitglieder zeigen. Die USA mussten sich bereit erklären, Karzai direkt durch US-Marines zu schützen. Im Großraum Kabul sorgt eine internationale Truppe unter deutscher Beteiligung für Ruhe und Ordnung. Bis zu einer wirklichen Entspannung dürfte es noch ein weiter Weg sein.
Und ein gefahrvoller dazu: Solange bei den US-Angriffen auf angebliche "Al Qaida-" und Taliban-Verstecke immer wieder Unschuldige getroffen werden, wächst der Unmut vieler Afghanen. Denn sie fühlen sich – wieder einmal – in ihrer Unabhängigkeit bedroht. Langfristig könnten diese so genannten "Kolateralschäden" des Anti-Terror-Krieges die erhoffte und geplante friedliche Entwicklung Afghanistans gefährden.
Peter Philipp, Deutsche Welle