Interview

Interview mit Wahlbeobachterin im Irak Chaotische Verhältnisse und Volksfeststimmung

Stand: 26.08.2007 00:47 Uhr

Die Parlamentswahl im Irak lief besser ab als die Abstimmungen zuvor - chaotisch war es laut Andréa Vermeer trotzdem. Die Wahlbeobachterin verfolgte den Urnengang in Suleimanija im Kurdengebiet. Zumindest dort herrschte statt Gewalt eine Art Volksfeststimmung, schildert die Kölnerin im Gespräch mit tagesschau.de. Vermeer ist für die irakische Tochterorganisation des unabhängigen Verbands Wadi e.V. im Irak.

tagesschau.de: Frau Vermeer, Sie haben den Ablauf der Wahl in Suleimanija verfolgt. Ist die Wahl so abgelaufen, wie man das von einer demokratischen Wahl erwarten darf?

Andréa Vermeer: Sie lief besser ab als die vergangenen Wahlen. Aber man kann nach wie vor nicht von einer gelungenen Wahl sprechen. Ein Beispiel: Eigentlich sollte ab 17 Uhr ausgezählt werden. Dann hieß es auf einmal, es sollte um 18 Uhr damit begonnen werden. In den meisten Wahllokalen ist dann um 17 Uhr mit der Auszählung begonnen worden. Nur da wo wir waren, haben sie brav gewartet - aber nur weil wir im Raum waren. Das war schon mal total chaotisch. Dann konnten die nicht richtig zählen. Eigentlich war alles sehr unsystematisch. Ganz offensichtlich sind die Wahlhelfer seit der letzten Wahl nicht weiter geschult worden.

tagesschau.de: Jetzt haben Sie gerade von Fehlern bei der Auszählung gesprochen. Wie ist denn die Wahl an sich abgelaufen?

Vermeer: Hier in der Provinz Suleimanija gab es im Vergleich zu den anderen Wahlen zumindest weniger Verwirrung, was die Registrierung auf den Wählerlisten anbelangt. Es kam aber immer mal wieder vor, dass Leute nicht genau wussten, wo sie wählen sollten.

tagesschau.de: Worauf haben Sie konkret geachtet?

Vermeer: Ich habe zunächst geschaut, ob die Wahlkabine so steht, dass tatsächlich eine geheime Wahl stattfinden kann. Das Problem ist, dass es hier üblich ist, dass Familien gemeinsam in die Wahlkabine gehen und dass die Männer für die Frauen oder die Söhne für die Mütter die Kreuze machen wollen. Dann habe ich kontrolliert, ob die Wahlurne versiegelt ist. Außerdem habe ich Gespräche mit den Leuten geführt, ob sie sich manipuliert fühlen oder nicht.

tagesschau.de: Im Vorfeld der Wahl war immer wieder zu hören, dass sich viele Menschen von dieser Wahl keine Verbesserung ihrer persönlichen Situation versprechen. Können Sie diesen Eindruck bestätigen?

Vermeer: Jein. Viele, mit denen ich gesprochen habe, sind frustriert. Sie fragen sich, was sich seit dem 30. Januar (Anm. der Redaktion: Wahl der Übergangsregierung) eigentlich verbessert hat. Andererseits - und das habe ich so extrem nicht erwartet - herrscht zumindest hier in der Provinz so eine Art Volksfeststimmung. Vielen Kurden geht es vermutlich vor allem um die Chance, ein unabhängiges Kurdistan zu bekommen. Die Menschen tanzen auf den Straßen und schwenken kurdische Fahnen. Ich persönlich habe das Gefühl, dass es hier darum ging: "Wir Kurden zeigen es jetzt allen, wir haben so die Nase voll von allem, was passiert, und jetzt ist unsere Zeit gekommen."

tagesschau.de: Wie haben Sie denn die Sicherheitssituation empfunden? Haben Sie sich bedroht gefühlt während der Wahl?

Vermeer: Nein, in Suleimanija gab es sehr gute Sicherheitsvorkehrungen: Die Straßen waren zum Teil komplett abgesperrt, es gab viele Kontrollen. Die Polizei war freundlich - nicht angespannt. Ich hatte keine Angst, zu keiner Sekunde. In den Wahllokalen waren viele Kinder dabei. Die wollten - wie die Erwachsenen das machen müssen - immer den Finger in die Tinte reinstecken. Die Stimmung war wie bei einem Familienfest. Ich kann nur sagen, ich bin sehr froh darüber, dass ich den Mut hatte, hierher zu kommen.

Das Interview führte Holger Schwesinger, tagesschau.de