Interview mit Zeit-Korrespondent Krönig ''Diesmal wurde der Schutzwall durchbrochen''
"Der britische Geheimdienst war bisher sehr erfolgreich bei der Abwehr von Anschlägen", so der Journalist und Großbritannien-Experte Jürgen Krönig. In den vergangenen drei Jahren hätten die Geheimdienstmitarbeiter verschiedene schwere Terror-Anschläge auf London verhindern können. Einen absoluten Schutz vor "entschlossenem Terrorismus" gebe es aber einfach nicht, sagte Krönig im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Waren die Sicherheitsvorkehrungen in London Ihrer Meinung nach ausreichend?
Jürgen Karl Krönig: Es gibt keine ausreichenden Sicherheitsvorkehrungen gegen einen entschlossenen Terrorismus. Der britische Geheimdienst war bisher sehr erfolgreich bei der Abwehr von Anschlägen. Es hat in den letzten drei Jahren verschiedene Versuche gegeben, größere Katastrophen in London zu verursachen: durch eine radiologische Bombe, durch einen chemischen Anschlag, durch einen schweren Sprengstoffanschlag. Diese Versuche wurden vereitelt, die Prozesse sind in Vorbereitung. Wir hören darüber nichts, weil man nach britischem Recht nicht über Prozesse berichten darf. Das hat den großen Nachteil, dass die Bevölkerung oft denkt, dass nichts passiert, während der britische Geheimdienst in Wahrheit bisher recht erfolgreich in der Abwehr von Terror-Anschlägen war.
Aber selbst die Geheimdienstchefin und der Chef von Scotland Yard haben in den letzten Jahren immer wieder gesagt: "Es ist nicht eine Frage des Ob, es ist eine Frage des Wann, bis es einmal auch London erwischen wird." Diesmal ist der Schutzwall durchbrochen worden – offenkundig durch eine koordinierte Aktion von Al-Kaida.
tagesschau.de: Wie stark ist die islamistische Szene in London?
Krönig: London ist in vieler Hinsicht eine moslemische Stadt. Es gab ja auch immer wieder den Vorwurf, besonders aus Frankreich, "Londinistan" sei eine Stadt, in der sich zu viele extremistische Gruppen tummeln dürften. Das ist in gewisser Hinsicht richtig, weil Großbritannien ein sehr liberales Land ist und diesen Gruppen sehr starke Freiheitsrechte, im Sinne der Meinungsfreiheit eingeräumt hat. Es gibt zum Beispiel kein Gesetz gegen die Leugnung des Holocausts, weil man sagt, dass das unter Meinungsfreiheit falle. Insofern hat man hier über lange Zeit verschiedene Gruppierungen gewähren lassen, solange sie keine Straftaten begangen haben.
tagesschau.de: Könnte diese Liberalität den Anschlägen Vorschub geleistet haben?
Krönig: Nein, die Regierung Blair wurde ja von liberalen und linksliberalen Kreisen eher beschuldigt, zu autoritär zu sein. Und nach dem 11. September hat sich das Vorgehen von Behörden und Regierung natürlich geändert. Man hat die Rädelsführer verschiedener Gruppen hinter Schloss und Riegel gebracht. In diesen Tagen soll zum Beispiel der Prozess gegen den Hassprediger Abu Hamsa beginnen.
Das Dilemma von demokratischen Regierungen im Kampf gegen den Terrorismus ist auch hier wieder deutlich sichtbar geworden: Ein absoluter Schutz vor Terror-Anschlägen ist einfach nicht möglich.
Jürgen Krönig, Korrespondent der Wochenzeitung „Die Zeit“, lebt seit 18 Jahren in London
Die Frage stellte Sabine Klein, tagesschau.de