Interview

Interview zum neuen UN-Klimabericht "Es bleibt nicht mehr viel Zeit"

Stand: 02.02.2007 09:44 Uhr

Nach Jahren intensiver Arbeit wird heute ein neuer Klimabericht der Vereinten Nationen vorgelegt. Mehr als 2500 Wissenschaftler und Behördenmitarbeiter haben an der "Bibel zum Klimawandel" mitgearbeitet, darunter auch der Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg, Jochem Marotzke.Tagesschau.de sprach mit ihm über die neueste Diagnose zum Zustand des Planeten.

tagesschau.de: Herr Marotzke, sagt der neue Bericht aus, dass der Klimawandel schlimmer als bisher angenommen ausfällt?

Marotzke: Das steht so in dem Bericht nicht drin. Es gibt keine Erkenntnisse, dass der Klimwandel schneller kommt oder stärker ausfällt, als bisher vorhergesagt. Das Hauptstichwort sind Bekräftigungen und Konsolidierungen der bisherigen Aussagen.

tagesschau.de: Gibt es noch seriöse Zweifel am Einfluss des Menschen auf den Klimawandel?

Marotzke: Viele Argumente, die für Zweifel am menschengemachten Klimawandel gesprochen haben, fallen jetzt weg. Zum Beispiel variiert die Sonneneinstrahlung viel geringer, als noch vor fünf, sechs Jahren angenommen wurde. Auch wurden die Rekordtemperaturen seit 1998 noch nicht in den letzten Bericht von 2001 aufgenommen. Alle Jahre nach 2000 waren wärmer als vor 1998. Ein weiterer Punkt: Satellitenmessungen der oberen Troposphäre zeigten eine Abkühlung, was nicht zu den Messungen an der Erdoberfläche passte. Das wurde von den Zweiflern genutzt, um die Daten als unzuverlässig darzustellen. Jetzt weiß man, dass die Satelliten ihre Bahn leicht verändert hatten, was die Temperaturdaten beeinflusste.

UN-Klimabericht

1988 hat die UNO den zwischenstaatlichen Ausschuss zu Klimaänderungen ins Leben (IPCC) gegründet. Er soll den Klimawandel untersuchen und Strategien gegen negative Folgen erarbeiten. Im gerade erarbeiteten vierten Bericht wird der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel nicht mehr in Frage gestellt. Der globale Temperaturanstieg bis zum Jahre 2100 wird auf 3 Grad geschätzt.

tagesschau.de: Die Angaben zur globalen Erwärmung variieren zwischen zwei und 4,5 Grad, welche Faktoren spielen da eine Rolle?

Marotzke: Das hängt von zwei Punkten ab. Wir wissen nicht, wie sich der Ausstoß der Treibhausgase entwickeln wird und es gibt Unsicherheit darüber, wie das Klima auf die Erhöhung des Treibhausgaskonzentration reagiert. Die Modelle variieren da bis zu einem Faktor von zwei. Das hängt mit den Prozessen in den Wolken zusammen, die noch nicht richtig verstanden sind.

"Das Zwei-Grad-Ziel ist sehr ehrgeizig"

tagesschau.de: Wie realistisch ist das politische Ziel, die Erhöhung der globalen Temperatur auf zwei Grad zu beschränken?

Marotzke: Das Zwei-Grad-Ziel ist in jedem Falle sehr ehrgeizig. Das wird enorme Anstrengungen erfordern und es bleibt nicht mehr viel Zeit.

tagesschau.de: Um die Erderwärmung zu bremsen, muss der Ausstoß von Treibhausgasen, vor allem von Kohlendioxid, verringert werden. Wie stark sollten die CO2-Emissionen reduziert werden, damit das ehrgeizige Ziel erreicht wird?

Marotzke: Um 50 Prozent bis zur Mitte des Jahrhunderts. Das bedeutet, dass die technologisch hoch entwickelten Länder noch stärker reduzieren müssten, weil für Länder wie Indien, China und Brasilien eine solche Reduktion noch sehr viel schwerer zu erreichen ist, als für die Industrieländer.

Kernenergie als Option erwägen

tagesschau.de: Das würde große Anstrengungen erfordern?

Marotzke: Die Reduktion des Individualverkehrs ist eine wichtige Maßnahme. Energiesparmaßnahmen ebenso. Es hat aber keinen Zweck, den Bürgern Verzicht vorzuschreiben. Das ist politisch nicht durchsetzbar und auch nicht gewünscht. Man muss überlegen, wie man den Energieverbrauch senkt, ohne die Lebensqualität einzuschränken. Da müssen wir auch über die Kernenergie nachdenken. Obwohl ich das Problem mit der langfristigen Lagerung der Atomabfälle für sehr ernst halte, wäre es wichtig, die Diskussion wieder zu öffnen.

tagesschau.de: Wann würden sich die Maßnahmen beim Klimageschehen frühestens bemerkbar machen?

Marotzke: Frühestens in zwanzig bis dreißig Jahren. In den verschiedenen Szenarien sehen wir bis zum Jahr 2030 keinen Unterschied, auch wenn ein Rückgang der Emissionen sofort erkennbar wäre.

tagesschau.de: Im UN-Klimabericht wird ein geringerer Anstieg des Meeresspiegels vorhergesagt, als bisher. Warum?

Marotzke: Für den Anstieg des Meeresspiegels wird eine etwas geringere Spanne angegeben als bisher. Darüber bin ich ein bisschen verwundert. Wir haben sogar einen relativ starken Anstieg des Meeresspiegels in den vergangenen zehn Jahren festgestellt. Wir fragen uns allerdings, wo das herkommt. Denn an der Erwärmung des Ozeans kann es nicht liegen und auch nicht an den schmelzenden Eismassen an Land. Es ist möglich, dass es natürliche Schwankungen gibt, die wir noch nicht verstanden haben.

tagesschau.de: Stimmt es, dass es in wenigen Jahrzehnten kein Eis mehr auf Grönland geben wird?

Marotzke: Das ist etwas übertrieben worden. Da weiß ich zum Teil auch nicht, wo die Angaben herkommen. Allerdings haben wir vor fünf bis zehn Jahren noch geglaubt, das Grönlandeis braucht zum Schmelzen 2000 Jahre. Neue Erkenntnisse zeigen jedoch, dass das Eis schon in 600 Jahren verschwinden kann. Wir können aber ausschließen, dass Grönland in diesem Jahrhundert abschmilzt.

Die Fragen stellte Silvia Stöber, tagesschau.de