Interview

Interview mit Kriegsreporter Hutsch "Irak ist ein brodelnder Hexenkessel"

Stand: 25.08.2007 16:13 Uhr

Seit den neunziger Jahren arbeitet Franz Hutschals Kriegsreporter auf der ganzen Welt. Auch den Irak hat er seit 2003 rund ein Dutzend Mal bereist und dort wiederholt mit Aufständischen gesprochen. Seine Erfahrungen gibt Hutsch an Kollegen weiter, die ebenfalls aus Kriegsgebieten berichten. So leitet er Kurse, in denen unter anderem das Verhalten in Geiselsituationen trainiert wird.

tagesschau.de: Herr Hutsch, Sie sind im November aus dem Irak zurückgekehrt. Was für einen Eindruck hatten Sie von der Sicherheitslage im Land?

Franz Hutsch: Der Irak ist ein absolut brodelnder Hexenkessel. Von Ruhe in dem Land kann keine Rede sein. Jeden Tag sterben viele Menschen bei Anschlägen und Kämpfen. Tagtäglich werden zudem zahlreiche Menschen aus unterschiedlichsten Motiven heraus entführt - auch wenn es vorübergehend längere Zeit keine Ausländer mehr getroffen hatte.

tagesschau.de: Ist es angesichts dieser Situation für Hilfsorganisationen und Journalisten überhaupt noch möglich, im Irak effektiv zu arbeiten?

Reisen nur mit Leibwächtern möglich

Hutsch: Die Arbeit wird immer schwieriger. Es ist oftmals nur möglich, sich mit Leibwächtern im Land zu bewegen. Das kostet viel Geld und ist besonders für die journalistische Arbeit höchst problematisch. Immerhin sollen die Leibwächter genau vor den Gruppierungen schützen, mit denen der Kriegsreporter reden muss. Die Arbeit von Hilfsorganisationen ist ebenfalls unkalkulierbar geworden. Einzige Ausnahme im gesamten Irak ist die so genannte Grüne Zone in Bagdad, die hermetisch durch die US-Armee von der Außenwelt abgeschirmt ist. Aber außerhalb dieser Zone garantiert niemand mehr für das Leben.

tagesschau.de: Was treibt die Täter an, Bombenanschläge zu verüben, Menschen zu töten und zu entführen? Sind es politisch-religiöse Motive oder kriminelle Machenschaften wie etwa Schutzgelderpressungen?

Terror wird auch mit erpresstem Geld finanziert

Hutsch: Es gibt natürlich auch eine kriminelle Motivation, aber der politisch-religiöse Antrieb überwiegt eindeutig. Trotzdem gibt es keine klare Trennlinie: So wird der Krieg gegen die US-Armee im Land über kriminelle Machenschaften finanziert. Wenn Extremisten mit einer Entführung Millionen von Dollar erpressen, wird dieses Geld auch für den Kampf gegen die alliierten Truppen eingesetzt.

tagesschau.de: Im Entführungsfall von Susanne Osthoff wurden politische Forderungen gestellt. Glauben Sie, dass es den Entführern wirklich um ein Ende des deutschen Engagements für den Irak geht oder um ein Lösegeld in Millionenhöhe?

Hutsch: Ich habe ein Problem damit, zu sagen, es handle sich um einen rein kriminellen Hintergrund und die Täter schöben nur die politische Karte vor. Ich denke, es ist deutlich komplizierter. Die Situation der im Irak beteiligten Gruppen ist unübersichtlich und multikomplex. Sie sind gut organisiert, hervorragend ausgebildet und haben eine flache Hierarchie. Es gibt kaum einen führenden Kopf im Irak, der den Gruppen sagt, was zu tun und zu lassen ist. Bei Susanne Osthoff ist eine bislang unbekannte Gruppe aufgetaucht, so dass es schwierig ist festzustellen, wie sie motiviert ist.

Die Geisel hat für die Entführer einen hohen Wert

tagesschau.de: Gibt es von Gruppe zu Gruppe Unterschiede in der Art der Geiselhaft?

Hutsch: Auch dort ist eine generelle Aussage schwierig. Es gibt Gruppen, die sich eng an den Koran halten, es gibt andere, die die Scharia auf ihre Weise auslegen und es gibt dritte, die nur Geld mit der Geisel erpressen wollen. Nachdem, was ehemalige Geiseln aus dem Irak berichteten, wurden sie weder gefoltert noch ließ man sie Hunger leiden. Das zeigt etwas: Die Geisel hat für die Täter einen hohen Wert. Irgendwann kann allerdings der Punkt kommen, an dem der Täter seiner Forderung Nachdruck verleihen will. Dann wird es für die Geisel gefährlich.

tagesschau.de: Macht es einen Unterschied, ob nur eine Geisel genommen oder gleich eine Gruppe verschleppt wird?

Hutsch: So pervers und zynisch es ist: Aus einer Gruppe von vier Geiseln kann eine ermordet werden, um den Druck zu verstärken. Es befinden sich dann ja immer noch drei Menschen in der Hand der Entführer. Anderseits ist es höhnischer Weise so, dass es im Irak für Geiselnehmer genügend Nachschub gibt.

Enführer berufen sich auf Recht zum Widerstand

tagesschau.de: Sind Entführer im Irak tatsächlich der Ansicht, dass sie mit Geiselnahmen das Engagement eines Staates im Irak beenden können?

Hutsch: Ich glaube schon, dass die Täter davon überzeugt sind. Die meisten der im Irak kämpfenden Gruppen, die eben nicht alle der Al Kaida zuzuordnen sind, empfinden den Krieg und die Besatzung des Landes als völkerrechtswidrig. Sie berufen sich auf das sich daraus ergebende Recht, Widerstand leisten zu dürfen. Ihnen ist klar, dass sie keine Chance gegen die US-Militärmaschinerie oder die stärker werdenden privaten Sicherheitsfirmen haben. Deshalb führen sie einen asymetrischen Krieg und suchen sich Ziele, wo die als Besatzer empfundenen Staaten verwundbar sind.

tagesschau.de: War der Zeitpunkt der Entführung von Susanne Osthoff zufällig gewählt oder spielten Faktoren wie etwa der Regierungswechsel in Berlin eine Rolle?

Berichte über deutsche Söldner schüren Hass

Hutsch: Ich glaube, dass es ein Mix aus allem ist. So erschien in der vergangenen Woche in irakischen Zeitungen eine Kurzmeldung, dass demnächst deutsche Archäologen ins Land reisen wollen, um beim Wiederaufbau des im Krieg beschädigten Babylon mitzuhelfen. Das dürfte den Entschluss, eine deutsche Archäologin zu verschleppen, mit beeinflusst haben. Auch der Regierungswechsel in der Bundesrepublik wird das seine dazu beigetragen haben. Das Engagement Deutschlands in der Ausbildung der verhassten irakischen Sicherheitskräfte kommt hinzu. Dazu kommen die jüngsten Berichte in deutschen Medien über Söldner aus Deutschland, die im Irak vor allem für US-Firmen arbeiten. Natürlich spielt auch die allgemeine Stagnation im Irak eine Rolle. Ich glaube nicht, dass der Zeitpunkt der Entführung zufällig gewählt wurde: Die Widerstandskämpfer agieren nur selten, ohne sich genaue Gedanken über ihre Ziele und den Weg zu machen, auf dem sie es erreichen wollen.

Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de