Interview

Interview "Gesetze sind ausreichend scharf"

Stand: 20.11.2002 15:59 Uhr

Erneut ist ein Tanker, der unter einer sogenannten Billigflagge fährt, auseinandergebrochen. Zehntausende Tonnen Öl verschmutzen die spanische Küste mit unabsehbaren Folgen für das Ökosystem. Die Bundesregierung will sich nun dafür einsetzen, dass veraltete Tanker schneller als geplant aus dem Verkehr gezogen werden. tagesschau.de sprach darüber mit dem Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder, Bernd Kröger.

tagesschau.de: Nach dem Tankerunglück vor Spanien machen Kritiker das sogenannte Billigflaggen-System mitverantwortlich für den Untergang der "Prestige". Können Sie sich dem anschließen?

Bernd Kröger: Nein. Es gibt internationale Bauvorschriften für alle Tankschiffe, egal unter welcher Flagge sie fahren. Es kommt deshalb weniger auf die Flaggenführung an als auf die Klassifikationsgesellschaft, bei der der Sicherheitsstandard in regelmäßigen Abständen überprüft wird. Bei der Prestige war es das "American Bureau of Shipping", eine der großen international renommierten Klassifikationsgesellschaften insbesondere für Tankersicherheit. Wenn diese Gesellschaft das Schiff inspiziert und für seetüchtig befindet, spricht viel dafür, dass es seine Richtigkeit hat.

tagesschau.de: Die Internationale Transportarbeiter-Föderation nennt die "Prestige" einen Fall für den Hochofen.

Kröger: Das sind so Schlagworte, mit denen ich relativ wenig anfangen kann. Die Tatsache, dass die "Prestige" auseinandergebrochen ist, ist natürlich vom Schreibtisch aus sehr schwer zu bewerten. Es gibt Vermutungen darüber, dass ein Seeschlag möglicherweise eine Schweißnaht hat platzen lassen oder dass ein Korrosionsschaden dabei eine Rolle gespielt haben könnte. Das sind aber alles Spekulationen, bei denen keiner genau weiß, wie dieses geschehen ist.

tagesschau.de: Die "Prestige" ist ein altes Schiff und hatte nur eine einfache Schiffswand. Glauben Sie, dass eine doppelte Schiffshülle - die ja seit 1993 vorgeschrieben ist - in diesem Fall das Unglück verhindert hätte?

Kröger: Das könnte so sein. Für bestimmte Unglücksursachen erhöht eine Doppelhülle den Sicherheitsstandard. Das gilt insbesondere bei Grundberührungen, für bestimmte Kollisionen und Kollisionstatbestände, sowie für Strandungen. In gewisser Weise gilt das auch für einen Seeschlag, weil eine Doppelhülle hier ein größeres Maß an Sicherheit bietet. Insofern spricht eine gewisse Vermutung dafür, dass eine Doppelhülle das Unglück möglicherweise vermieden hätte. Dazu müsste man aber nähere Details des Unglücks selbst wissen.

tagesschau.de: In den USA dürfen ja schon jetzt nur doppelwändige Schiffe die Häfen anlaufen; die EU will die einhülligen Schiffe erst zum Jahr 2015 aus dem Verkehr ziehen. Kommt das zu spät?

Kröger: Ich glaube nicht, denn das Jahr 2015 ist ein international verabredetes Datum, das in der International Maritime Organisation beschlossen worden ist - übrigens mit Zustimmung der Vereinigten Staaten. Innerhalb dieser Frist bis zum Jahr 2015 werden jedes Jahr Schiffe nach Alter abgestuft aus dem Markt genommen. Das heißt, es fahren nicht alle Schiffe bis 2015. Das halte ich für einen vernünftigen Kompromiss.

tagesschau.de: Die "Prestige" fuhr unter der Flagge der Bahamas, war in den USA registriert, befand sich im Besitz einer griechischen Gesellschaft, die wiederum möglicherweise in Liberia registriert ist. Für den Laien klingt das sehr undurchschaubar.

Kröger: Das kann ich auch gut verstehen. Das Billigflaggensystem, auf das Sie anspielen, hat mit den Bau- und Sicherheitsstandards gar nichts zu tun. "Billig" bezieht sich auf die Frage der Besteuerung und auf die Frage der Betriebskosten eines Schiffes. Es bezieht sich auf Auseinandersetzungen über tarifliche Fragen mit der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Aber das hat mit dem Sicherheitsstandard relativ wenig zu tun.

tagesschau.de: Auch nicht mit den schlechteren Löhnen, die auf diesen Schiffen gezahlt werden?

Kröger: Das hat eigentlich auch nichts damit zu tun. Vom Management der Reederei, von der Schiffsführung und von der Schiffsbesatzung muss gesichert sein, dass ein Schiff sicher geführt wird. Das aber nicht von der Nationalität der Besatzungsmitglieder ab, nicht vom Lohn, sondern von deren Know-how. Auch hier schreibt eine internationale Konvention Standards vor. Die erforderliche Bescheinigung ist für dieses Schiff ausgestellt worden von der französischen Klassifikationsgesellschaft Bureau Veritas, auch eine der großen, anerkannten Gesellschaften. Es spricht also einiges dafür, das weder der technische noch der operationelle Standard ursächlich für das Unglück gewesen sind.

tagesschau.de: Man fragt sich natürlich dennoch, wieso das Schiff auseinander bricht und einem solchen Wetter nicht standhalten kann?

Kröger: In der Tat. Ich habe dafür auch keine Erklärung, aber so etwas kommt unglücklicherweise vor. Dass es ein älteres Schiff ist, löst natürlich all diese Diskussionen aus, die wir sehr aufmerksam verfolgen. Wir haben ein hohes Interesse daran, dass Sub-Standard-Schiffe von den Märkten verschwinden, denn wir bieten Standard-Schiffe an.

tagesschau.de: Das heißt, Sie ziehen auch keine unmittelbaren Konsequenzen aus diesem Vorfall?

Kröger: Nein. Ich bin der Meinung, wir haben in der Zwischenzeit ausreichend scharfe Gesetze entwickelt, diese müssen nur richtig und konsequent angewendet werden. Es gibt ein dreistufiges Netz von Kontrollen, das diese Schiffe durchlaufen müssen. Das erste sind die Klassifikationsgesellschaften, das zweite sind die Hafenstaatenkontrollen. Es gibt in Europa einheitliche Regeln für die Durchführung von Kontrollen der Hafenbehörden gegenüber Schiffen, die diese Häfen anlaufen. Die sind so gestaltet, dass 25 Prozent aller Schiffe in jedem Hafen kontrolliert werden sollen. Wenn Sie das auf ganz Europa beziehen, bedeutet das: Jedes Schiff ist mindestens einmal im Jahr einer Hafenstaatenkontrolle ausgesetzt.

tagesschau.de: Aber nur, wenn die Behörden das tatsächlich auch machen.

Kröger: Wenn das so durchgeführt wird, wie sich der Gesetzgeber das in jedem europäischen Hafen vorgestellt hat, dann ist das ein wichtiges Element dieses Sicherheitsnetzes. Das dritte Element ist, dass Charterer von Öltankern in der Regel ein Schiff nur dann chartern, wenn sie es vorher selber besichtigt haben. Ob das hier geschehen ist, kann ich nicht beurteilen, aber die großen Charterer gehen so vor. Aus diesem Netz auszubrechen, ist dann schon sehr schwierig - wenn alle sich so verhalten, wie man das erwarten sollte.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de