Streitpunkte mit der EU Woran es am Beitritt der EU noch hakt

Stand: 11.12.2006 15:58 Uhr

Gut zehn Jahre dürften die Verhandlungen über den EU-Beitritt der Türkei dauern. Bisher ist nur eins von 35 Kapiteln abgearbeitet. Und der Ausgang der Gespräche ist offen - heikel sind vor allem die Zypern-Frage, der Status der Menschenrechte und die Aufarbeitung des Genozids an den Armeniern.Ein Überblick über die wichtigsten Streitpunkte.

Zypern

Größter Streitpunkt zwischen der EU und der Türkei ist derzeit der Umgang Ankaras mit Zypern, das in einen griechischen und einen türkischen Teil zerfällt. Der griechische Teil des Inselstaats ist Mitglied der Union. Die Türkei aber hat Zypern völkerrechtlich noch nicht komplett anerkannt. Die EU hat dieses Problem weder vor der Aufnahme Zyperns noch vor dem Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geklärt.

Zwar hat die Türkei das so genannte "Ankara-Protokoll" unterzeichnet, dass die Zollunion auch auf die zehn neuen EU-Mitglieder inklusive Zyperns ausdehnt. In einer Zusatzerklärung betonte die Regierung jedoch, dies bedeute nicht die völkerrechtliche Anerkennung. Zyprische Flugzeuge und Schiffe dürfen die Türkei nicht anlaufen. Die EU-Staaten verabschiedeten daraufhin eine Erklärung, wonach die Türkei so schnell wie möglich und noch während des Beitritt-Prozesses den Inselstaat anerkennen müsse. Doch bisher weigert sich die Türkei - und fürchtet gleichzeitig selbst, dass der griechische Teil der Insel die Beitrittsverhandlungen durch immer neue Forderungen belasten wird.

Menschenrechte

Die türkische Regierung hat auf diesem Gebiet mutige und weitreichende Reformen unternommen. Die Todesstrafe wurde abgeschafft, die Ungleichbehandlung von Frauen verboten, der kurdischen Minderheit mehr Rechte eingeräumt sowie Einschränkungen auf dem Gebiet der Meinungs- und Religionsfreit aufgehoben. Menschenrechtsaktivisten kritisieren aber, dass viele Reformen nicht weit genug gehen und etliche Reformgesetze durch andere Regelungen wieder eingeschränkt werden.

Amnesty International etwa wirft Ankara vor, politische Verfolgung mit Hilfe des Strafrechts sei "nach wie vor an der Tagesordnung". Auch das Verbot von Folter und Misshandlungen sei nur unzureichend in die Tat umgesetzt worden. Die Situation in den kurdischen Gebieten habe sich wieder zugespitzt, seit die PKK 2004 ihre Waffenruhe aufgekündigt hat. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat seitdem rund ein Dutzend Urteile gegen die Türkei erlassen und ihr dabei Verstöße gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, gegen das Recht auf einen fairen Prozess und auf Schutz des Lebens vorgehalten. Viele Fälle stammen aber aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre. Die so genannten "Kopenhagener Kriterien" für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen verlangen, dass ein Land Demokratie, Rechtstaatlichkeit, die Achtung der Menschenrechte sowie den Schutz von Minderheiten garantiert.

Völkermord an den Armeniern

Der Genozid an den Armeniern in der Türkei liegt zwar schon mehr als 90 Jahre zurück, doch noch immer weigert sich Ankara den Völkermord anzuerkennen. Zwischen 1915 und 1916 wurden hunderttausende Armenier vertrieben und ermordet. Nach armenischen Angaben kamen bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben. Die Türkei spricht dagegen von maximal 10.000 Toten und wirft den Armeniern vor, sie hätten sich gegen das Osmanische Reich erhoben. Die Ermordung der Armenier sei auch nicht gezielt geplant gewesen.

Der Bundestag rief im die Türkei auf, die Verfolgung der Armenier aufzuarbeiten. Der türkische Außenminister Abdullah Gül nannte die Erklärung "ehrverletzend". Noch weiter ging das Europaparlament. Die Abgeordneten bezeichneten im Gegensatz zum Bundestag die Verfolgungen ausdrücklich als Völkermord und verlangten, die Türkei müsse vor einem EU-Beitritt den Genozid anerkennen. Auf einen französischen Gesetzentwurf zum Völkermord reagierte die Türkei mit dem Abbruch der militärischen Beziehungen.

In der Türkei selbst ist es nach wie vor riskant, sich gegen die offizielle Lesart des Genozids zu stellen. So hatte die Istanbuler Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Schriftsteller Orhan Pamuk erhoben, der in einem Interview von einer Million ermorderter Armenier gesprochen hatte. Pamuk drohten bis zu drei Jahre Haft wegen "öffentlicher Herabsetzung des Türkentums", das Verfahren wurde aber eingestellt.