Beitrittsgespräche mit der Türkei EU will Verhandlungen teilweise aussetzen
Vielen Kritikern eines EU-Beitritts der Türkei dürfte die starre Haltung Ankaras in der Zypern-Frage sehr entgegenkommen. Noch ist zwar ein Beitritt weiterhin möglich, aber in immerhin acht Bereichen hat die EU-Kommission die Verhandlungen mit der Türkei jetzt ausgesetzt. Tatsächlich ändert sich dadurch jedoch offenbar nur wenig.
Von Klaus Scheffer, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn benutzt gern und oft das Bild eines Zuges, um die Verhandlungen mit der Türkei zu charakterisieren. So auch heute wieder: "Es gibt keinen Zusammenstoß. Aber es wird langsamer, weil es Gleisarbeiten gibt. Aber der Zug fährt weiter."
Um im Bild bleiben: Die Arbeiten an acht Gleisen möchte die Kommission zunächst einmal ruhen lassen – so viele Bereiche sollen bei den Beitrittsverhandlungen mit Ankara außen vor bleiben – und zwar alle die, die sich mit Handel- und Zollfragen befassen.
Grund: Die Weigerung der Regierung Erdogan, Zypern in die Zollunion mit der EU zu integrieren. Denn die Türkei will nach wie vor keine Schiffe und Flugzeuge aus Zypern ins Land lassen. Und das, obwohl die türkische Regierung dies mit ihrer Unterschrift unter das Zusatzprotokoll zur Zollunion ausdrücklich versprochen hatte. Man werde sich in dieser Frage erst bewegen, wenn auch die EU parallel ihre Handelsblockade gegen den türkisch besetzten Norden Zyperns beende, so die Begründung in Ankara.
De facto bleibt alles beim Alten
Das sei ein klarer Rechtsbruch, sagt hierzu Kommissar Olli Rehn: "Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft, die Weigerung, rechtliche Verpflichtungen einzuhalten, kann nicht ohne Konsequenzen bleiben." Aber was für Konsequenzen sind das?, fragt sich so mancher Beobachter in Brüssel. Interessanterweise ist kein einziges der Verhandlungskapitel, die nun ausgesetzt werden sollen, bislang überhaupt eröffnet. Also ändere sich de facto nichts in den laufenden Verhandlungen. Die müssten vollständig unterbrochen werden, fordert denn auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok. Nur dann könne man auf Bewegung in Ankara hoffen.
Das sieht Kommissar Rehn anders. Er appelliert an die türkische Seite, doch noch einzulenken: "Noch hat die Türkei Zeit, ein goldenes Tor zu erzielen, vor dem Treffen der EU-Außenminister, dann werden die heutigen Empfehlungen gegenstandslos." Die Außenminister treffen sich am 11. Dezember in Brüssel und sollen dann entscheiden, ob die Empfehlungen der Kommission auch umgesetzt werden. Hier zeichnet sich allerdings bereits Uneinigkeit ab. So nannte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem NATO-Gipfel in Riga die Kommissionspläne ein starkes Signal, das deutlich mache: "Wir als Europäische Union wollen, dass das Ankara-Protokoll implementiert wird."
Blair: Jetzt keine abweisenden Signale geben
Wohingegen Großbritanniens Premier Tony Blair davor warnte, der Türkei allzu starke Signale zu geben: "Wir müssen heute dafür sorgen, dass wir einen Beitritt der Türkei weiter vorantreiben. Jetzt ein abweisendes Signal zu geben, kann ein schwerer Fehler sein." Unterschiedliche Zungenschläge, die bei der letztlichen Entscheidung über den Fortgang der Verhandlungen noch eine Rolle spielen dürften. Nicht ausgeschlossen, dass die Staats- und Regierungschefs auf ihrem nächsten Treffen im Dezember genau das bekommen, was eigentlich verhindert werden soll: einen neuerlichen Türkei-Gipfel.