Interview

Interview mit ARD-Korrespondent Leclercq "Die Hisbollah ist Staat im Staate"

Stand: 09.08.2006 12:42 Uhr

Die Entführung zweier israelischer Soldaten durch die schiitische Extremistenorganisation Hisbollah war der Auslöser für den jüngsten Gewaltausbruch im Nahen Osten. Mit Raketen greift sie seit Tagen vom Libanon aus Israel an. Die Hisbollah wäre nicht so stark ohne Unterstützung aus Iran und Syrien. In einem Interview mit tagesschau.de beschreibt ARD-Korrespondent Patrick Leclercq, der derzeit aus Beirut berichtet, die Hintergründe dieser Verbindungen.

tagesschau.de: Herr Leclercq, wie steht Iran mit der Hisbollah in Verbindung?

Patrick Leclercq: Iran unterstützt die Hisbollah militärisch und finanziell. Von Iran erhält sie Raketen, an die sie sonst nicht herankommen würde. Nach Schätzungen war sie vor den kriegerischen Auseinandersetzungen im Besitz von 12.000 Raketen. Noch wichtiger ist aber die ideologische Unterstützung der religiösen Führer. Die Hisbollah als "Partei Gottes" hat das erklärte Ziel, in Libanon einen Gottesstaat aufzubauen.

Die neue Krise lenkt vom Atomkonflikt ab

tagesschau.de: Spielt der Atomkonflikt des Iran mit den westlichen Staaten eine Rolle?

Leclercq: Der Konflikt ist möglicherweise eine willkommene Gelegenheit, um von dieser Atomfrage abzulenken. Vor knapp zwei Tagen hatte Iran ja zumindest nach außen hin eingelenkt und dem Kompromiss zugestimmt. Aber ich denke, dass dies nicht von langer Dauer sein wird. Es ist wohl eher eine politisch-strategische Aussage, die sicher keine lange Halbwertszeit haben wird.

tagesschau.de: Spielt Syrien eine Rolle in der Verbindung zwischen Iran und der Hisbollah?

Leclercq: Syrien ist seit Jahrzehnten der einzige arabische Verbündete Irans. Das ist eine Partnerschaft, die viel mit dem Libanon zu tun hat, weil Iran eine Art Brückenkopf braucht, um militärisches Gerät, aber auch Geld zu seiner Speerspitze Hisbollah in den Libanon zu bringen. Allerdings muss man auseinanderhalten, dass Syrien ideologisch gesehen mit der Hisbollah wenig am Hut hat. Das Ziel, einen Gottesstaat einzuführen, findet in Syrien keinen fruchtbaren Boden. Einig ist man sich in der Einschätzung Israels als Erzfeind.

Nur Syrien kann Vermittler für die Hisbollah sein

tagesschau.de: Welche Folgen hat der neue Konflikt für die Position Syriens in der Region?

Leclercq: Syrien ist in eine neue Situation geraten. Kurios ist, dass Damaskus in den vergangenen Jahren der 'böse Bube' war und die USA das Land zu den Unterstützern des Terrorismus im weitesten Sinne zählte. Nun ist es der einzige Staat in der Region, der in der Lage ist, auf die Hisbollah einzuwirken. Wenn irgendwann ernsthaft über einen Waffenstillstand oder eine andere politische Lösung verhandelt werden sollte, kann das nur über Syrien laufen. Das Land ist für alle, die ernsthaft zu einer Lösung kommen wollen, der Ansprechpartner Nummer Eins.

tagesschau.de: Die Regierung Libanons hat keinen Einfluss?

Leclercq: Die libanesische Regierung kann das nicht leisten, weil sie in sich zerstritten ist - auch aus politischen und religiösen Motiven - und weil sie militärisch keinerlei Einfluss nehmen kann. Ihre Armee ist zu schwach. Sie kann maximal die Funktion einer Schutzwache übernehmen, aber nicht die einer kämpfenden Truppe. Die Hisbollah ist zum Staat im Staate geworden. Sie lässt sich von niemandem aus der libanesischen Regierung oder der libanesischen Politik etwas sagen.

Die Fragen stellte Silvia Stöber-Kuhn, tagesschau.de