Ankunft Tausender Migranten Melonis rechte Regierung unter Druck
Nach Italien kommen derzeit so viele Migrantinnen und Migranten wie seit Jahren nicht. Vor allem aus Tunesien. Die Regierung Meloni sucht nach Lösungen und wendet sich an die EU.
Es war eines ihrer zentralen Versprechen vor der Wahl: Mit ihr als Regierungschefin würden weniger Bootsmigranten an Italiens Küsten landen, hatte Giorgia Meloni angekündigt. Man werde künftig nur noch "auf legalem Weg" ins Land kommen: ein Versprechen der geschlossenen Grenzen.
Jetzt ist Meloni seit rund fünf Monaten Ministerpräsidentin, und in den vergangenen Tagen sind so viele Menschen auf Booten über das Mittelmeer nach Italien gekommen wie seit Jahren nicht. Die linksliberale Zeitung "La Repubblica" schreibt in dieser Woche von einem "Boom der Migrantenankünfte". Viermal so viele Migrantinnen und Migranten wie im Vorjahr haben laut den offiziellen Zahlen des Innenministeriums seit Anfang Januar nach Italien übergesetzt - seit Jahresbeginn 27.000 Menschen.
"50 Prozent kommen derzeit aus Tunesien"
Dieser Anstieg hat mit der von der italienischen Regierung kritisierten Arbeit der Nichtregierungsorganisationen auf dem Mittelmeer nichts zu tun. Sondern, erklärt die Leiterin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Italien, Chiarda Cardoletti, vor allem mit Problemen in einem Herkunfts- und Durchgangsland: "Sicherlich hat das, was in Tunesien derzeit geschieht, enormen Einfluss." 50 Prozent der Eintreffenden komme derzeit von dort. Zusätzlich zu den bisherigen Ankünften aus Libyen und aus der Türkei "haben wir jetzt auch Menschen aus Ländern südlich der Sahara, die aus Tunesien starten".
Dort hatte Präsident Kais Saied vor einigen Wochen mit einer Rede eine Welle rassistischer Übergriffe ausgelöst. Mit 6696 Ankünften war die Zahl allein am vergangenen Wochenende fast halb so groß wie im gesamten letzten Jahr, in dem 14.044 Menschen ankamen.
Tunesien sei kein sicherer Platz mehr
Italiens UNHCR-Chefin Cardoletti sagt über die mehreren Tausend Menschen aus den Ländern südlich der Sahara, die derzeit aus Tunesien übersetzen: "Sie erzählen uns, dass das Land für sie kein sicherer Platz mehr ist. Sie werden bei der Arbeit entlassen, bekommen keine Unterkünfte mehr und werden sogar verhaftet."
Es sei eine besorgniserregende Situation, meint Cardoletti. Wenn sie nicht gelöst werde, könne dies "zu einer noch größeren Zahl von Ankünften in Italien führen".
Salvini ruft die EU um Hilfe
Eine Entwicklung, auf die die Regierung in Rom noch keine eigene Antwort hat, obwohl sie gerade bei diesem Thema politisch punkten wollte. Vizepremier Matteo Salvini, der wie Meloni im Wahlkampf eine nationale Politik der harten Hand angekündigt hatte, ruft nun Europa um Hilfe: "Jetzt sind es Brüssel, Berlin und Paris, die uns helfen müssen." Denn Lampedusa, wo wieder besonders viele Migrantinnen und Migranten anlanden, und andere Küstenorte lägen nicht nur an der italienischen, sondern auch an der europäischen Grenze.
"Die italienische Regierung ist in Europa isoliert geblieben"
Auch die Opposition in Rom wünscht sich mehr Unterstützung aus Europa, intensivere Gespräche mit Tunesien, sagt aber auch: Die Regierung Meloni bekomme jetzt zu spüren, dass sich ihre führenden Vertreter in der Vergangenheit häufig demonstrativ EU-skeptisch gezeigt hätten.
Angelo Bonelli, Sprecher der Grünen und Linken im Parlament, meint mit Blick auch auf den jüngsten EU-Gipfel, auf dem es keine Fortschritte in Sachen Migrationspolitik gab: "Die italienische Regierung ist in Europa isoliert geblieben." Sie hätte eine Reform des Dublin-Abkommens und ein europäisches Rettungssystem erreichen müssen. "Nichts davon ist passiert", sagt Bonelli, und das sei "sehr gravierend".
Regierung hält weiter Rettungsschiffe fest
In ihrer nationalen Migrationspolitik wirkt die Regierung Meloni bisweilen hilflos. Ein erstes Regierungsdekret aus dem Herbst, wonach nur gefährdete Menschen von Rettungsschiffen an Land gehen sollten, wurde fast so schnell wieder kassiert, wie es geschrieben war.
Jetzt hält Italien Rettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen in Häfen fest, wie aktuell die "Louise Michel" des Künstlers Banksy, weil sie mehrere Rettungsaktionen nacheinander durchführten. Obwohl, wie der UNHCR in Italien betont, gerade zurzeit jedes Rettungsschiff auf dem Mittelmeer gebraucht werde.
Für die Regierung Meloni bleibt unter dem Strich eine Zahl der ankommenden Migranten, die um ein Vielfaches höher ist als die ihrer drei Vorgängerregierungen.