Merkel in Athen "Gegenseitige Vorurteile überwunden"
Von den Spannungen während der Schuldenkrise ist nichts mehr zu spüren: Kanzlerin Merkel ist in Athen freundlich empfangen worden. Ministerpräsident Tsipras kann Unterstützung gut gebrauchen.
Von Michael Lehmann, ARD-Athen
Am Anfang stand Unsicherheit - Kanzlerin Angela Merkel musste den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras fragen, welchen Weg die beiden nach der Pressekonferenz einschlagen sollten. Ausnahmsweise mal ein Hilfegesuch von Deutschland an Griechenland, weil sich die Kanzlerin im Amtssitz von Alexis Tsipras erst noch orientieren musste. Harmonie und ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Regierungschefs war zu spüren. "Wir haben unsere gegenseitigen Vorurteile überwunden", sagte Tsipras nach seinem ausführlichen Gespräch mit der Bundeskanzlerin.
Die Stereotypen vom "arroganten Deutschen" und "faulen Griechen" seien durch ein inzwischen sehr gutes Verhältnis beider Länder aus der Welt geschafft worden. Die Bundeskanzlerin sieht Griechenland auf einem erfolgreichen Weg aus der Krise: "Deshalb freut es mich, wenn wir heute sehen, dass die Situation eine andere geworden ist. Dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, und dass Griechenland die Hilfsprogramme verlassen konnte. Das ist natürlich nicht das Ende eines Reformweges, aber es ist ein neuer Zustand."
Wütende Demonstranten
Anders sehen das nicht wenige Griechen, die unter den Sparzwängen persönlich bis heute zu leiden haben - stark gekürzte Renten, teilweise extrem gesunkene Löhne, hohe Steuern, wenig Geld zum Leben. Das macht Millionen von Griechen auch im neunten Jahr der Krise trotz etwas Licht am Horizont noch genug zu schaffen.
Am Rande des Besuchs setzte die Polizei Tränengas gegen rund 700 linksgerichtete Demonstranten ein. Die Lage habe sich aber rasch beruhigt, berichteten Reporter. 2012 waren es noch 35.000 Anti-Merkel-Demonstranten vor dem Parlament in Athen gewesen.
Die Proteste zum Auftakt des Merkel-Besuchs in Athen fanden zunächst nur wenig Zuspruch. Kleinere linke Gruppen verteilten Protestzettel und demonstrierten Ablehnung. Am Abend setzte die Polizei dann aber Tränengas gegen einige Hundert Demonstranten ein, die in der verbotenen Zone aufmarschierten.
Unter ihnen war die Rentnerin Mania Barsevski: "Angela Merkel ist nicht willkommen in unserem Land. So wie alle anderen europäischen Politiker, die die griechische Gesellschaft erniedrigt haben. Sie alle sind nicht willkommen bei uns."
Schmeicheleien von Merkel
Nicht weit entfernt von den Protesten, am Amtssitz von Regierungschef Tispras, fand die Bundeskanzlerin in ihrer Analyse der griechischen Lage weitere wohlwollende Worte: Sie sei der festen Überzeugung, dass es Griechenland in diesem Jahr schaffe, zu halbwegs erschwinglichen Konditionen Geld von den freien Finanzmärkten zu besorgen und damit kein neues Rettungspaket brauche: "Die Tatsache, dass es eine ganze Reihe von richtig großen Investitionen der deutschen Wirtschaft in Griechenland gibt, zeigt ja auch, dass das Vertrauen gewachsen ist."
Keine neue deutsche Besserwisserei, Merkel scheint auch in heiklen Situationen auf einen neuen rethorischen Kurs eingeschwenkt zu sein. Der lautet in etwa: Es kann keine Alternative zu einer neuen deutsch-griechischen Freundschaft geben.
Bemerkenswert und für viele Griechen mindestens so wichtig wie das wieder erstarkte Verhältnis zu Deutschland waren die Sätze, die Merkel in der hochbrisanten Mazedonien-Frage wählte: "Ich halte diesen Schritt, den Alexis Tsipras gemacht hat, für einen entscheidenden Schritt, von dem nicht nur Griechenland und Nord-Mazedonien profitieren werden, sondern von dem auch ganz Europa profitieren wird. Und unsere gemeinsamen Werte."
Bringt Mazedonien-Streit die Regierung zu Fall?
Gemeint ist das Abkommen der griechischen Regierung mit Mazedonien, das mit der Formulierung "Republik Nord-Mazedonien" den Nachbarn im Norden mit neuer Perspektive anerkennen soll. Ein Kompromiss in einem jahrzehntelangen Namensstreit, den die griechischen Konservativen aber weiterhin strikt ablehnen. Und der das Regierungsbündnis von Tsipras' Syriza-Partei mit den Unabhängigen Griechen platzen lassen und am Ende sogar - wenn es schlecht läuft - den griechischen Regierungschef sein Amt kosten könnte.
Heikel wird deshalb für Merkel ihr Termin am Freitag mit Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Demokratia. Mit Merkel parteipolitisch eigentlich auf einer Linie, wird Mitsotakis der deutschen Kanzlerin aller Voraussicht nach ein weiteres Mal erklären, warum er mit seinem strikten Nein zum Mazedonien-Kompromiss versuchen will, den griechischen Ministerpräsidenten Tsipras zu stürzen. Ein politisches Spiel, dessen Ausgang auch aus Sicht ängstlicher Investoren Griechenland in neue unsichere Zeiten führen könnte.