Interview mit dem Meteorologen Andreas Friedrich Zerstörungswut von "Nargis" war vorhersehbar
Bereits zwei Tage vor dem Auftreffen von Taifun "Nargis" auf das Festland hat Indien die Regierung in Birma gewarnt. Aber konnte zu diesem Zeitpunkt schon die Gefahr des Taifuns eingeschätzt werden? Ja, meint der Meteorologe Andreas Friedrich im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Die Inder sagen, sie hätten die burmesische Regierung bereits 48 Stunden vor dem Auftreffen den Taifuns "Nargis" auf das Festland gewarnt – wie genau sind zu diesem Zeitpunkt die Vorhersagen?
Andreas Friedrich: Man kann 48 Stunden im Voraus sehen, dass sich so ein Taifun in eine gewisse Richtung bewegt und dann zum Beispiel auf Land übertritt. Die genaue Zugbahn ist allerdings immer unsicher. So ein Auge von einem Taifun hat ja nur einen Durchmesser von wenigen Kilometern. Man kann insofern nicht genau vorhersagen, ob das Auge ein paar Kilometer weiter nördlich oder südlich zieht und damit zum Beispiel die Küste von Birma genau trifft. Diese Unsicherheit kann man erst wenige Stunden vorher klären.
tagesschau.de: Aber der Bereich, in dem das Auge auf Land treffen kann, lässt sich schon ziemlich genau vorhersagen, oder?
Andreas Friedrich: Der Einflussbereich von so einem Taifun ist natürlich weitaus größer. Das Gebiet, in dem es Zerstörungen durch Überschwemmungen oder eben auch hohe Windgeschwindigkeiten gibt, hat einen Durchmesser von mehreren hundert Kilometern. Wo dieser Bereich in etwa auftreffen wird, das lässt sich schon 48 bis 72 Stunden vorher eingrenzen.
tagesschau.de: Inwieweit kann man sagen, wie stark ein Taifun wird?
Andreas Friedrich: Da gibt es wie immer Unsicherheiten, aber der betreffende Taifun war schon einige Tage vorher sehr stark. Er hatte schon auf dem Indischen Ozean hohe Windgeschwindigkeiten. Zum Teil hatte er die Stärke von Taifunen der Klasse drei bis vier - das ist schon sehr viel. Insofern war schon klar, dass der mit Windgeschwindigkeiten von über 200 km/h auf diese Region in Südbirma treffen wird.
tagesschau.de: Warum haben die Inder den Taifun vorhergesagt, nicht aber die Thailänder oder Koreaner?
Andreas Friedrich: Das Problem ist, dass die Wetterstationen dort sehr dünn gesät sind. "Nargis" kam über den Indischen Ozean und ist auch dort entstanden. Da gibt es nur sehr wenige Beobachtungsstationen wie zum Beispiel Schiffe oder Inseln. Man ist dann sehr viel auf Satelitendaten angewiesen, die solche Systeme von oben beobachten. Warum nur Indien vorgewarnt hat, kann ich nicht genau sagen. Sicherlich stellt sich immer die Frage, ob es die Region betrifft, für die man zuständig ist, oder nicht.
tagesschau.de: Warum war Taifun "Nargis" so verheerend?
Andreas Friedrich: Das entscheidende bei diesem Taifun waren die relativ hohen Niederschlagssummen. Die kann man nicht mit direkten Beobachtungen bestimmen, weil es dort durch die Schäden zum Teil auch keine Messstationen mehr gibt. Man kann aber aufgrund der Satellitenbilder, die es aus der Region gibt, die Niederschlagssummen in etwa abschätzen. Danach sind in diesen ersten Maitagen über Südbirma Niederschlagsmengen von etwa 500 bis 600 Litern pro qm in nur drei Tagen gefallen - das entspricht in etwa der Summe, die in Berlin in einem Jahr herunter kommt. Das sind natürlich unwahrscheinlich große Niederschlagssummen und das erklärt auch diese Bilder, wo ja auch große Landstriche komplett unter Wasser stehen.
tagesschau.de: Was würde passieren, wenn ein vergleichbarer Hurrikan auf die USA zuziehen würde?
Andreas Friedrich: Man kann die Stärke von "Nargis" mit einem Hurrikan der Stufe vier vergleichen - das wäre so etwa "Katrina", der ja New Orleans getroffen hat. Sicherlich hätte das ähnliche Folgen für Teile der Karibik und der USA. Erschwerend kommt in Birma hinzu, dass das Land sehr flach ist, eine sehr flache Küstenregion hat. Dadurch können Flutwellen vom Meer sehr weit ins Land hinein kommen.
tagesschau.de: Warum funktioniert das Vorwarnsystem in den USA so viel besser als in Birma?
Andreas Friedrich: Also ich denke, dass einfach die Infrastruktur und der ganze Katastrophenschutz in einem hochtechnisierten Land wie den USA natürlich besser ist. Auch die Wetterdienste sind besser ausgerüstet. In den USA gibt es ein eigenes Hurrikanzentrum in Miami, das eine ganze Flotte von Flugzeugen hat. Diese fliegen bereits weit im Atlantik und die Karibik die Hurrikane an und messen mit zahlreichen Messsonden jede Änderung in so einem Hurrikane. Die Daten gehen dann in die Modelle ein. In den Regionen in Südostasien fehlt es noch an diesen High-Tech-Ressourcen.
Das Gespräch führte Imke Weihmann, tagesschau.de