Neue Fluchtrouten nach Europa Ausweichstrecke über den Brenner
Auf der Balkanroute ist inzwischen fast kein Weiterkommen mehr - und in Griechenland und Libyen stauen sich Hunderttausende Flüchtlinge. Schon bald könnten sich die Schutzsuchenden neue Fluchtrouten suchen, zum Beispiel über Albanien, Italien und den Brenner.
Österreich macht dicht. Nachdem das Land Obergrenzen für Flüchtlinge eingeführt hat, limitieren auch andere Länder entlang der Balkanroute den Zustrom - zum Beispiel Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien. Der Bau eines Zaunes in Mazedonien entlang der griechischen Nordgrenze könne dazu führen, dass Hunderttausende Menschen in Griechenland festsitzen, sagt der Chef des Europaparlaments, Martin Schulz, in der ARD. "Wenn die Balkanroute abgeschlossen wird, wird Griechenland ein großes Flüchtlingsaufnahmelager werden."
Dann werden Flüchtlinge neue Wege suchen. Zum Beispiel über Griechenland nach Albanien und von dort nach Italien. Eine Fähre von der albanischen Hafenstadt Vlora rüber ins süditalienische Brindisi braucht fünf bis zu siebeneinhalb Stunden. Diese Route sei bereits in den 90er-Jahren genutzt worden, während des Kosovo-Kriegs, sagt ein Italienkenner. Doch dieser Kreislauf hilft nicht weiter, meint Parlamentschef Schulz. "Dann kommen sie wieder über den Brenner nach Österreich. Das löst alles das Problem nicht", sagt der SPD-Politiker.
Riesiges Geschäft für Menschenschlepper
Und das Problem ist groß: Bis zu 200.000 Menschen sollen sich derzeit in Libyen befinden, die auf besseres Wetter warten, um dann in Booten die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer Richtung Italien zu wagen. Darunter Syrer, Afghanen und Iraker, aber auch Eritreer, Nigerianer und Somalier, sagt Wolfgang Kaschuba, ehemaliger Professor für europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität Berlin. Der Stau in Libyen gehe zum einen auf die Bürgerkriegssituation in dem Land zurück, zum anderen auf die Situation im mittleren und südlichen Afrika.
Libyen gilt als Hochburg der Menschenschlepper. Der Andrang der Flüchtlinge ist groß – und damit auch der Gewinn für die Schleuser. Sie nutzen aus, dass das Land seit dem Sturz Gaddafis zerrüttet ist und es dort kaum staatliche Strukturen gibt. Bis zu 300 Millionen Euro pro Jahr sollen die Schleuser verdienen, heißt es in einem Bericht der europäischen Anti-Schlepper-Mission. In manchen Städten soll der Menschenhandel mehr als die Hälfte der Gesamteinnahmen ausmachen. Deshalb gehen Experten gehen davon aus, dass keine der beiden rivalisierenden Regierungen den Willen hat, diese Geldquelle auszutrocknen.
Leben unter Folter und Misshandlung
Viele Flüchtlinge, die in Libyen ankommen, leben dort unter katastrophalen Umständen. Sie sind moderne Sklaven, müssen arbeiten ohne dafür Geld zu bekommen. "In den Flüchtlingslagern gibt es Folter und andere grobe Misshandlung, zum Beispiel Schläge mit Stöcken, Peitschen und Kabeln", sagt eine Sprecherin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
Wenn jetzt Hunderttausende Migranten in Libyen darauf warten, endlich nach Europa in See zu stechen, bedeutet das drei Dinge: Die Flüchtlingszahlen werden im Frühling deutlich ansteigen. Italien wird wieder Ankunftsland Nummer eins in Europa. Und: Das Mittelmeer könnte wieder zum Massengrab werden.