interview

Neuer Bundespräsident in Österreich "Für die FPÖ war die Wahl ein Erfolg"

Stand: 23.05.2016 18:09 Uhr

Alexander Van der Bellens Wahlsieg hat die Wahrscheinlichkeit eines FPÖ-Kanzlers in Österreich nicht geschmälert, sagt Politikwissenschaftler Anton Pelinka im Gespräch mit tagesschau.de. Das Wahlergebnis hält er trotzdem für ein Signal der Offenheit.

tagesschau.de: Welche Bedeutung hat der Wahlsieg von Alexander Van der Bellen für Österreich?

Anton Pelinka: Der Wahlsieg ist vor allem ein wichtiges Zeichen für die Europaorientierung von Österreich. In keiner anderen Frage waren die Unterschiede zwischen Hofer und Van der Bellen deutlicher erkennbar. Van der Bellen steht für eine optimistische Einstellung zur Vertiefung der Europäischen Union und für eine verbindliche europäische Politik gegenüber Russland und den Staaten des westlichen Balkans. Deshalb ist sein Wahlsieg vor allem ein proeuropäisches Signal.

Anton Pelinka
Zur Person

Anton Pelinka zählt zu den renommiertesten Politikwissenschaftlern Österreichs. Seit 2006 ist er Professor of Nationalism Studies and Political Science an der Central European University, Budapest. Zuvor lehrte er über 30 Jahre als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Von 1990 bis 2012 war er wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Konfliktforschung in Wien, von 1994 bis 1997 war er zudem der österreichische Vertreter in der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Pelinka ist Autor zahlreicher Bücher und Mitbegründer der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft.

tagesschau.de: Die europapolitische Ausrichtung Van der Bellens in allen Ehren – aber ging es den Wählern nicht vor allem darum, einen FPÖ-Bundespräsidenten zu verhindern?

Pelinka: Es war natürlich wie bei jeder Wahl ein Bündel von Motiven, das zu Van der Bellens Wahlsieg geführt hat. Es ist ihm gelungen, das Anti-FPÖ-Potential hinter sich zu sammeln. Als Vertreter einer kleinen Partei wie der Grünen war das alles andere als selbstverständlich. Gleichzeitig geht von seinem Wahlsieg ein Signal der Offenheit Österreichs aus. Van der Bellen hat sich im Wahlkampf ja beispielsweise in der Flüchtlingskrise eindeutig von seinem FPÖ-Konkurrenten abgegrenzt – und war damit erfolgreich.

tagesschau.de: Was bedeutet der Sieg von Van der Bellen für die FPÖ?

Pelinka: Für die Partei war die Präsidentschaftswahl trotz allem ein Erfolg. Hofer hat mit knapp 50 Prozent der Stimmen ein Niveau erreicht, von dem die FPÖ noch vor kurzem nicht einmal zu träumen gewagt hat. Die Partei wird nun umso nachdrücklicher darauf drängen, dass es in Österreich möglichst schnell zu Neuwahlen kommt. Sie will ihre Chance nutzen, möglichst bald größte Partei im Nationalrat zu werden und womöglich auch an die Regierung zu kommen.

tagesschau.de: Van der Bellen hat angekündigt, keinen FPÖ-Politiker zum Kanzler zu ernennen. Droht Österreich eine Verfassungskrise, wenn die Freiheitlichen nach den nächsten Wahlen zur stärksten Kraft im Parlament werden sollten?

Pelinka: Ein FPÖ-Wahlsieg bedeutet nicht automatisch auch einen FPÖ-Kanzler. Die stärkste Partei hat keinen Rechtsanspruch auf das Kanzleramt. Regierungschef wird, wer eine Mehrheit im Parlament bekommt. Sollte also ein FPÖ-Kanzlerkandidat mit Hilfe eines Koalitionspartners eine Mehrheit im Nationalrat hinter sich versammeln, dann wird sich auch ein Bundespräsident Van der Bellen nicht dagegen wehren können, ihm das Kanzleramt zu übertragen. Sonst droht Österreich tatsächlich eine Verfassungskrise.

tagesschau.de: Ist ein Kanzler Strache durch das Präsidentschaftswahlergebnis unwahrscheinlicher geworden?

Pelinka: Ich denke nicht, dass Straches Chancen auf das Kanzleramt durch die Niederlage bei der Präsidentschaftswahl geschmälert wurden. Es gibt durchaus FPÖ-Sympathisanten, die nicht wollen, dass die Partei zu stark wird. Die hätte man vielleicht davon abhalten können, bei der nächsten Nationalratswahl FPÖ zu wählen, wenn die Partei bereits den Bundespräsidenten stellen würde.

tagesschau.de: Welche Rolle werden SPÖ und ÖVP künftig in der österreichischen Politik spielen?

Pelinka: Ich gehe davon aus, dass sie bei der nächsten Parlamentswahl nicht so schlecht abschneiden werden wie in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl. Aber wir erleben gerade sicherlich das Ende eines Systems, das die österreichische Politik über Jahrzehnte geprägt hat. Es ist der Abschied von einer im europäischen Maßstab ungewöhnlichen, hohen Berechenbarkeit. Damit muss man in einer Demokratie allerdings leben lernen.

tagesschau.de: Österreich galt über Jahrzehnte wegen seiner stabilen Verhältnisse als „Insel der Seligen“. Ist diese Zeit unwiederbringlich vorbei?

Pelinka: Das war eine schöne Formel – aber sie hat nie gestimmt. Österreich war nie eine Insel. Dafür war das Land immer zu eng mit seinen europäischen Nachbarn verflochten. Und wie man selig definiert, hängt vor allem davon ab, auf welcher Seite man bei der Einteilung in Selige und Verdammte steht.

tagesschau.de: 2010 wurde SPÖ-Kandidat Heinz Fischer noch mit knapp 80 Prozent wiedergewählt. Diesmal lieferten sich FPÖ und Grüne ein Kopf-an-Kopf-Rennen in der Stichwahl. Wie konnte die Polarisierung der österreichischen Gesellschaft in nur sechs Jahren so stark zunehmen?

Pelinka: Das Ergebnis von Heinz Fischer war natürlich ungewöhnlich. Es handelte sich damals um die Wiederwahl eines sehr populären Bundespräsidenten, gegen den die ÖVP nicht einmal einen eigenen Kandidaten aufgestellt hatte. Das konnte man nicht wiederholen. Aber insgesamt beobachten wir seit Jahren einen Rückgang der Zustimmung zu den ehemaligen Großparteien.

Die Milieus sind aufgebrochen. Dass die Kirchgänger auf dem Land automatisch ÖVP wählen und die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter automatisch bei der SPÖ ihr Kreuz machen, stimmt nicht mehr. Beide Parteien haben bereits vor dieser Wahl Anzeichen des Zerbröselns gezeigt. Dieser Trend hat sich jetzt ganz massiv fortgesetzt.

tagesschau.de: Wie wird sich Österreich unter Präsident Van der Bellen verändern?

Pelinka: Der neue Präsident wird wahrscheinlich die vorsichtige Amtsführung von Heinz Fischer fortsetzen. Die beiden sind sich vom Stil her ähnlich. Van der Bellen wird sich als Vermittler zwischen den Regierungsparteien sehen. Die Große Koalition dürfte gut mit ihm zusammenarbeiten können. Ob das reicht, um einen weiteren Abstieg von SPÖ und ÖVP aufzuhalten, ist dabei die große Frage.

Das Interview führte Julian Heißler, tagesschau.de.