Debatte um Organspenden Ein Leben auf Abruf
Mehr als zehntausend Menschen in Deutschland warten auf eine Organtransplantation. Zwar plant das EU-Parlament neue Gesetze. Doch die Spendenbereitschaft ist dürftig, und viele Krankenhäuser sind kaum in der Lage, potentielle Organspender zu erkennen.
Von Martin Durm, ARD-Hörfunkstudio Straßburg
Egal wohin Ulrich Wolf geht, ganz gleich, was er tut - er hat das Handy immer dabei. Und irgendwann wird es klingeln, und ein Arzt wird ihm sagen, dass sie ein Herz für ihn haben. Hoffentlich, denn der 45-jährige Freiburger hat nicht mehr viel Zeit. Zwar steht er auf der Liste für Herztransplantationen, aber jeden Tag sterben drei Menschen in Deutschland, für die es zu spät war. Wolf lebt auf Abruf. Auf seine Art: "Ich versuche nicht zu warten. Ich möchte nicht die Tage rechnen oder auf das Telefon warten." Doch ganz ausblenden kann er es nicht. "Wenn zum Beispiel einfach etwas nicht geht, und ich muss meine Frau darum bitten. Dann frage ich mich natürlich schon, wie lange es noch geht."
Auf eine Million Einwohner kommen nur 16 Spender
Wolf war früher Mediziner, das Thema ist ihm also auch seines Berufs wegen vertraut. Dass die Abgeordneten im Europäischen Parlament diese Woche über Organtransplantationen und einen europäischen Spendeausweis debattierten, das interessierte ihn jedoch nicht allzu sehr. Ihn beschäftigen viel mehr die Zahlen in Deutschland. 12.000 schwerkranke Menschen warten hier auf eine lebensrettende Transplantation. In kaum einem europäischen Land ist die Spendenbereitschaft so niedrig. Auf eine Million Einwohner kommen gerade mal 16 Spender. "Ich glaube das sich mit dem Thema einfach niemand beschäftigen will, weil es mit dem Tod zu tun hat, weil es in unserer Gesellschaft ein Tabu-Thema ist", sagt Wolf. "In meinem Bekanntenkreis haben nicht sehr viele einen Organspendeausweis - obwohl jeder um meine Situation weiß."
Um europaweit die Spendenbereitschaft zu steigern, haben die Abgeordneten im EU-Parlament einen europäischen Spendeausweis, einen EU-weiten Organpool und eine Transplantations-Hotline gefordert. Doch diejenigen, die es betrifft, bezweifeln den Sinn der parlamentarischen Initiative. "Das Ganze als europäisches Thema aufzuziehen, bringt uns keinen Schritt weiter", sagt Eckhard Bentlage, der den Arbeitskreis Herztransplantation an der Universitätsklinik Freiburg leitet. Das viele Diskutieren bringe nur Verunsicherung. "Wir müssen zu Hause unsere Schularbeiten machen und nicht nur reden, sondern handeln."
Es kommt auf die Regionen an, nicht auf Europa
Bentlage selbst bekam vor vier Jahren ein Organ transplantiert. Er war mal Vertriebsleiter eines großen Konzerns, hat viel Lebenszeit auf Messen, in Hotelzimmern und auf Autobahnen verbracht. Das ist vorbei. Jetzt kämpft er dafür, das Organpsenden mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken. Womöglich komme es gar nicht so sehr darauf an, was in Europa geschehe, sondern in der Region, in den einzelnen Bundesländern, in den Krankenhäusern vor Ort, meint Bentlage. In Mecklenburg-Vorpommern gebe es beispielsweise in jeder Klinik einen Transplantations-Beauftragten, der ausgebildet ist, um potentielle Organspender zu erkennen. In Baden-Württemberg seien dafür nicht mal die Hälfte der Kliniken gerüstet. "Das ist eben ein Mangel in den Kliniken: Personalprobleme, finanzielle Probleme."
Was helfen europäische Initiativen, wenn es schon auf lokaler Ebene schlecht funktioniert, fragt sich Bentlage. 56 Jahre ist er jetzt alt. Er gehört zu denen, die Glück hatten: Nur drei Wochen stand er auf der Warteliste für Herztransplantationen, dann bekam er ein Spenderorgan. Wer ihm sein Herz schenkte, weiß Bentlage nicht. Ein Ausländer, ein Deutscher, ein Mann, eine Frau, reich oder arm? "Ich bin zu dem Schluss gekommen, es war ein guter Mensch, der entschieden hat, nach seinem Tod jemand anderen die Chance zu geben, weiter zu leben. Und das hat mir dann auch die Ruhe gegeben, mich nicht weiter mir diesem Gedanken zu quälen."
Die EU-Kommission plant ein europaweites Gesetz zu Organspenden und Transplantationen. Gleichzeitig verlangen die Abgeordneten von den Mitgliedsstaaten, strikter gegen Organhandel und Transplantations-Tourismus vorzugehen. In einem Bericht des Parlaments heißt es dazu: Wer menschliche Organe wie ein Wirtschaftsgut behandle, mit dem sich Geld verdienen lasse, verletzte die Menschenwürde.