Wahl von Papst Franziskus "Spirituelle Kampfansage an die Kurie"
Von Papst Franziskus erhoffen sich viele frischen Wind für die katholische Kirche. Doch wofür steht der Papst? Ist er konservativer Theologe oder doch Reformer? NDR-Religionsredakteur Florian Breitmeier spricht im Interview mit tagesschau.de darüber, welche Neuerungen man vom Papst erwarten kann - und welche eher nicht.
tagesschau.de: Der neue Papst hat den Namen Franziskus gewählt - in Anlehnung an den Heiligen Franz von Assissi. Der war bekannt für seine Bescheidenheit und ein Leben in Einsamkeit und Buße. Was bedeutet die Wahl des Namens für das Pontifikat?
Florian Breitmeier: Ich denke, wir werden es in den kommenden Jahren mit einem bescheidenen und demütig auftretenden Papst zu tun haben. Franziskus kam ja geradezu scheu auf die Loggia des Petersdoms. Das entspricht seinem Naturell. Er ist kein Mensch, der sofort eine Präsenz entfaltet, sondern mit der Zeit auf Menschen wirkt. Der sich die Stola umlegen lässt, um sie sich nach kurzer Zeit wieder abnehmen zu lassen. Das ist seine Art, Demut gegenüber dem Amt zu zeigen.
Er legt nicht so viel Wert auf Macht, auf die Möglichkeit zu gestalten allerdings schon. Man kann die Namenswahl also durchaus als spirituelle Kampfansage an die Kurie in Rom verstehen. Die Kurie hat in der letzten Zeit nach außen ein Bild abgeben, das von Intrigen, von Machtinteressen und Gier geleitet wird. Sich als neuer Papst den Namen Franziskus zu geben, zeigt die Hinwendung zu einer tiefen Spiritualität.
Florian Breitmeier ist Hörfunk-Redakteur beim Norddeutschen Rundfunk für Themen aus den Bereichen Religion und Gesellschaft. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der katholischen Kirche.
tagesschau.de: Lässt sich diese Bescheidenheit denn als Papst weiterleben?
Breitmeier: Nein. Franziskus wird natürlich nicht so weiterleben können, wie als Kardinal in Buenos Aires. Dort hat er sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ohne Gefolge und Personenschutz, frei in der Stadt bewegt. Es muss sich zeigen, wie authentisch er wirklich bleiben kann, wenn erst einmal die Mechanismen seiner Machtposition greifen. Wie viel von seiner Bescheidenheit bleiben kann, wenn er sich auf einmal im Prunk des apostolischen Palastes wiederfindet.
tagesschau.de: Was ist also von diesem Papst zu erwarten?
Breitmeier: Der Schwerpunkt seiner Arbeit wird darin liegen, den Menschen das Evangelium zu verkünden - mit Hilfe des Gebets und der Spiritualität. Er richtet sich gerade auch an Menschen, die am Glauben zweifeln. Das ist Kern seiner Theologie. Er hat primär kein politisches Programm. Er möchte den Menschen den Glauben näher bringen - die "Frohe Botschaft". Nicht als fertiges Programm, sondern im Austausch mit den Gläubigen.
Kein Respekt vor politischen Machtspielen
tagesschau.de: Franziskus wird sich aber auch um eine Reform der Kurie kümmern müssen - das Bild der katholischen Kirche in der Öffentlichkeit hat stark gelitten. Hat dieser Papst die Kraft, um sich gegen die Kurie durchzusetzen, sie zu reformieren?
Breitmeier: Ich glaube schon. Franziskus ist von einer tiefen Spiritualität geprägt. Und spirituelle Menschen können im politischen Kontext oft gefährlich werden. Weil sie keinen Respekt vor Parteien haben, vor Flügelspielen und politischen Absprachen. "Wer sein Knie vor Gott beugt, der geht vor keiner Partei und keinem Kaiser mehr auf die Knie" - dieser Ausspruch könnte durchaus auf Franziskus passen. Franziskus kann hart politisch verhandeln, versucht aber dennoch sein Gegenüber in Entscheidungen einzubinden.
Reformen, das weiß aber auch der neue Papst, können nur mit der Kurie nicht gegen sie stattfinden. Wenn ihm dieses Miteinander nicht gelingt, wird er ähnlich scheitern, wie es Benedikt XVI. widerfahren ist, der ja auch die Kurie reformieren wollte und am Ende dazu keine Kraft mehr hatte.
tagesschau.de: Ist Franziskus wegen seines Alters von 76 Jahren wieder nur ein Übergangspapst wie Benedikt XVI.?
Breitmeier: Nein. Ich denke, dass der neue Papst mehr ist als eine Zwischenlösung. Er hat auch in seinem Alter die Möglichkeit, zu gestalten und Schwerpunkte in seinem Pontifikat zu setzen. Natürlich zeigt sich in der Entscheidung, dass die Kardinäle nicht das Interesse hatten, ein langes Pontifikat zu schaffen. Benedikt XVI. hat ja in seiner Rücktrittserklärung sinngemäß gesagt: "Die Welt ändert sich so schnell, ich komme da gar nicht mehr hinterher." Die Kardinäle wollten wohl verhindern, dass ein neuer Papst zu lange sein Pontifikat ausübt und dann mit wachsendem Alter den schnellen Veränderungen in der Welt nicht mehr gewachsen ist.
tagesschau.de: Franziskus galt bereits 2005 als möglicher Anwärter auf den Heiligen Stuhl. Dass er es jetzt wird, könnte man auch so auslegen, als habe sich in den letzten Jahren nichts verändert.
Breitmeier: Große Veränderungen wird es tatsächlich nicht geben - nicht im Sinne von politischen Reformen. Er fährt ja in Fragen der Abtreibung, der gleichgeschlechtlichen Liebe, der Sexualmoral und der Benutzung von Kondomen und Pille einen konservativen Kurs - wie alle Kardinäle. Da wird es keine Überraschung geben.
tagesschau.de: Sie haben gerade noch von der Reformbereitschaft des Papstes gesprochen, jetzt betonen sie seine konservative Haltung - ein Widerspruch?
Breitmeier: Nein, einen Widerspruch sehe ich da nicht. Ich sehe darin eher eine neue Perspektive: Da ist jemand, der konservativ im theologischen Denken, in der Moraltheologie sein kann, und gleichzeitig dennoch progressive Ansätze haben kann, wenn es um die Zuwendung zu den Ärmsten und Schwächsten in dieser Gesellschaft geht.
Er scheint progressiv, was die Einbindung von Laien in die Kirche betrifft. Er verteidigt aber auch klar die Werte, die für ihn die Identität dieser Kirche ausmachen. Für ihn gibt es Werte, die im Diskurs mit der Welt verteidigt werden müssen. Für eine Abgrenzung von dieser Welt steht er aber nicht.
tagesschau.de: Franziskus ist der erste Papst aus Lateinamerika. Richtet sich der Blick der katholische Kirche jetzt weniger auf Europa?
Breitmeier: Ich glaube, dass es nicht darum geht, in Kontinenten zu denken. Es gibt mit dem neuen Papst keine Abkehr von Europa. Franziskus, der aus Argentinien stammt, ist auch in Italien verwurzelt. Er hat seine theologische Ausbildung zu Teilen in Europa erhalten. Für ihn wird es weniger um Länder und Kontinente gehen, sondern um eine globale Sicht auf die Dinge. Und die Frage, welche Antworten die katholische Kirche auf die drängenden Fragen dieser Zeit geben kann, welche Hilfen sie den Gläubigen an die Hand geben kann.
Ich glaube auch nicht, dass ein Papst aus Argentinien allein für ein Erstarken des Glaubens in Lateinamerika sorgt. Bisher kam der Papst doch immer aus Europa und dennoch ist das Christentum gerade hier in einer tiefen Krise.
tagesschau.de: Franziskus wird vorgeworfen, während der argentinischen Militärdiktatur einzelne linksgerichtete Mitglieder des Jesuitenordens denunziert zu haben. Werden diese Beschuldigungen den Papst in seiner Amtsführung belasten?
Breitmeier: Das kann man schwer absehen. Soweit ich weiß, gibt es für die Vorwürfe keine Beweise. In den nächsten Wochen und Monaten wird man diese Beschuldigungen sicherlich ausleuchten. Es wäre auch falsch zu sagen, Franziskus ist über jeden Zweifel erhaben. Genauso falsch wäre es aber, wegen der Vorwürfe jetzt schon von einem belasteten Pontifikat zu sprechen.
Das Interview führte Peer Junker, tagesschau.de