Johnsons politischer Coup Zwangspause - wie ist das möglich?
Die politische Krise in Großbritannien ist zu einer Verfassungskrise geworden - Regierungschef Johnson legt das Parlament lahm. Der Schritt ist höchst umstritten. Was steckt hinter der sogenannten Prorogation?
Warum kann Johnson das Parlament einfach schließen?
Die Legislaturperioden des britischen Unterhauses werden in mehrere Sitzungsphasen (Sessions) unterteilt. Traditionell dauern die Phasen etwa ein Jahr. Die laufende Phase läuft nun bereits seit Sommer 2017 - es ist die längste in beinahe 400 Jahren, wie Premierminister Boris Johnson anmerkte. Mit der sogenannten Prorogation endet die Session des Londoner Parlaments.
Was ist an Johnsons Schritt so außergewöhnlich?
Grundsätzlich ist es nicht ungewöhnlich, dass die Regierung eine neue Sitzungsphase einläuten und ihr Programm vorlegen will - zumal die aktuelle Session bereits zwei Jahre andauert. Allerdings ist der Zeitpunkt inmitten einer der nationalen Brexit-Krise und auch die Dauer der geplanten Zwangspause höchst unkonventionell.
Wie wird eine Session beendet?
Formell endet eine Sitzungsphase, indem Königin Elizabeth II. das Parlament mit einer Ankündigung im House of Lords formal vertagt. Im Englischen heißt es, "to prorogue Parliament". Das geschieht, wenn die Regierung den Kronrat - dem Beratungsgremium der Monarchin - darum bittet. Der Kronrat trägt das Anliegen dann an die Queen weiter.
Hätte die Queen die Prorogation verweigern können?
Theoretisch hätte es in der Macht der Königin gelegen, den Antrag der Regierung abzulehnen. Doch das wäre ein Bruch jahrhundertealter Konventionen gewesen und damit undenkbar. Die britischen Monarchen halten sich seit langer Zeit strikt aus allen politischen Auseinandersetzungen heraus.
Es ist daher nicht überraschend, dass die Queen dem Antrag zugestimmt hat. Die Monarchin dürfte sich aber durchaus bewusst sein, wie heikel die Parlamentsschließung zu diesem Zeitpunkt ist.
Welche Folgen hat eine Prorogation?
Weitreichende, denn mit der Schließung des Unterhauses werden fast alle parlamentarischen Vorgänge beendet. Je länger die Dauer der Prorogation, desto schwieriger ist es für die Abgeordneten, Einfluss auf die Regierungsgeschäfte zu nehmen.
So sind formal keine Debatten über die Politik und die Gesetzgebung möglich, es können keine Ausschüsse eingerichtet werden, um das Handeln der Regierung zu überprüfen, es können keine eigenen Gesetzentwürfe vorgelegt werden. Die Regierung selbst dagegen bleibt in allen Bereichen handlungsfähig, in denen das Parlament nicht zustimmen muss.
Welche Möglichkeiten haben die Abgeordneten?
Die Zustimmung der Parlamentarier für die Prorogation ist nicht notwendig, sie können sie daher mit einer einfachen Abstimmung nicht verhindern. Die Abgeordneten könnten aber noch immer versuchen, ein Gesetz zu verabschieden, um das Brexit-Datum zu ändern und einen No-Deal-Brexit zu verhindern.
Dabei dürfen sie sich der Unterstützung von Parlamentspräsident John Bercow sicher sein, der angekündigt hatte, "bis zum letzten Atemzug" gegen eine politisch motivierte Parlamentsschließung zu kämpfen.
Haben sie dafür überhaupt noch Zeit?
Der Zeitdruck ist enorm, denn ein Gesetzgebungsprozess muss durch beide Kammern des Parlaments gehen und kann sich besonders bei den Lords im Oberhaus sehr in die Länge ziehen. Dort haben die Brexit-Befürworter schon einmal bewiesen, dass sie bereit sind, mit einer Schwemme von Anträgen und sogenanntem Filibuster (Dauerreden) Gesetzgebungsverfahren zu verschleppen.
Verfassungsexperten zufolge könnten die Abgeordneten aber ein paar zusätzliche Tage gewinnen. Dafür müsste das Parlament beschließen, auch Samstag und Sonntag zu Sitzungstagen zu erklären.
Welche anderen Optionen bleiben den No-Deal-Gegnern?
Als Ultima Ratio gilt ein Misstrauensvotum gegen die Regierung von Johnson. Dazu bräuchte es aber eine starke Opposition, die sich über das weitere Vorgehen einig ist, und die Unterstützung von Rebellen aus dem Regierungslager.
Wie realistisch ist ein Misstrauensvotum?
Die Chancen der Brexit-Gegner stehen eher schlecht. Zwar haben auch einige konservative Abgeordnete bereits angekündigt, dass sie bereit wären, die eigene Regierung zu stürzen. Doch es dürfte auch in der Labour-Partei möglicherweise einige beinharte Brexit-Befürworter geben, die gerne einen No-Deal-Brexit sähen und Johnson aushelfen würden.
Letztlich braucht es vor allem einen Plan, wie es nach dem Sturz der Regierung weitergehen soll. Denn findet sich innerhalb von zwei Wochen keine Mehrheit für eine Regierung, muss neu gewählt werden. Doch den Wahltermin legt der scheidende Premierminister fest. Johnson könnte ihn auf ein Datum nach dem EU-Austritt am 31. Oktober legen und den No-Deal-Brexit einfach geschehen lassen.
Könnte der Streit vor Gericht entschieden werden?
Eine Gruppe von Abgeordneten hatte bereits vor der Entscheidung der Regierung zur Prorogation eine gerichtliche Überprüfung der umstrittenen Maßnahme angestoßen. Ein schottisches Gericht sollte sich am 6. September mit dem Thema befassen. Dieser Prozess soll nun nach dem Willen der No-Deal-Gegner beschleunigt werden. Der Court of Sessions in Schottland wäre aber lediglich die erste Instanz in der Frage.
Quelle: dpa