Kapitän im Interview "Gekapert wird zielgerichtet und auf Bestellung"
Für Schiffsbesatzungen sei die Fahrt in den Gewässern vor der somalischen Küste lebensgefährlich, sagt Kapitän Irminger im Gespräch mit tagesschau.de. Ganze Dörfer lebten von der Piraterie. Für Sicherheit könnten dort nur internationale Verbände sorgen.
Für die Besatzung von Schiffen ist die Fahrt in den Gewässern vor der somalischen Küste lebensgefährlich. Die Piraten kapern zielgerichtet und auf Bestellung. Für Sicherheit können dort nur internationale Verbände sorgen. Kapitän Irminger erklärt im Gespräch mit tagesschau.de, warum die Deutsche Marine im Vergleich zu anderen Ländern relativ machtlos ist, wenn deutsche Schiffe bedroht werden.
tagesschau.de: Immer neue Piratenüberfälle am Horn von Afrika. Gibt es derzeit noch gefährlichere Gewässer?
Irminger: Nein. Das Gebiet ist momentan mit Abstand das gefährlichste. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat für die Gegend Sicherheitsstufe zwei von maximal drei ausgerufen.
Schon vor fünf bis sechs Jahren wurden dort Schiffe gekapert und die Ladung gestohlen und weiterverkauft. Seit zwei bis drei Jahren kommen Geiselnahme und Lösegelderpressung dazu. Opfer sind vor allem Schiffe, die leicht einzunehmen sind: langsame Stückgutfrachter und Tanker, die voll beladen sind und tief im Wasser liegen und nicht hoch über dem Wasserspiegel liegen.
Der gebürtige Schweizer ist seit 2002 Professor für Schifffahrtsrecht und Navigation an der Hochschule Bremen und bildet unter anderem angehende Kapitäne aus. Vorher fuhr er zehn Jahre zur See und arbeitete acht Jahre in einem Havariekommissariat in der Schifffahrt.
tagesschau.de: Wie haben die deutschen Reeder reagiert?
Irminger: Schätzungsweise ein Drittel aller Schiffe im deutschen Eigentum fahren regelmäßig in der Gegend. Ein Ausweichen auf andere Seewege wäre sehr teuer und dauert zu lang, das zahlt den Reedern niemand. Sie können also nicht viel machen, außer möglichst weit von der somalischen Küste wegzubleiben. Die Piraten greifen aber inzwischen schon mehr als 250 Seemeilen von der Küste entfernt an.
Piraten wissen über die Schiffe genau Bescheid
tagesschau.de: Wer sind die Piraten?
Irminger: Das sind zum Teil ganze Dörfer und Küstenregionen, die sich bandenmäßig organisiert haben. Sie haben viel Geld, deshalb ist Waffenbeschaffung kein Problem. Die Piraten sind guerillamäßig ausgebildet und gehen, wenn es sein muss, mit äußerster Gewalt und Brutalität vor. Meistens haben sie Kontakt zu Warlords, also Stammeshäuptlingen mit Privatarmeen. Die können mit modernsten technischen Hilfsmitteln Informationen über die Schiffe beschaffen. Man kann heute die Schiffe mit Namen, Größe, Ladung und Zielhafen identifizieren. Die Piraten gehen zielgerichtet vor. Sie fahren nicht einfach raus und gucken was sie kapern können. Sie wissen genau, wen sie haben wollen, und haben oft schon vorher Abnehmer.
Gegenwehr macht es nur schlimmer
tagesschau.de: Müssen deutsche Seeleute bei einem Überfall um ihr Leben fürchten?
Irminger: Auf jeden Fall. Die Piraten sind zum Teil schwer bewaffnet mit Panzerfäusten und Maschinengewehren. Wir machen hier an der Universität für die angehenden Kapitäne ein sehr intensives Deeskalationstraining. Ich sage meinen Studenten immer: Bloß nicht irgendwas provozieren! Wenn ihr Ausweichmanöver fahrt, um die Piraten abzuschütteln oder ihnen das Kapern erschwert, dann sind die um so brutaler, wenn sie es doch schaffen.
Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, da ist die Besatzung nie mehr aufgetaucht. Schiff, Besatzung und Ladung sind für immer verschwunden. Ich selbst hatte einen Fall mit einem lettischen Frachter vor ein paar Jahren. Der wurde überfallen. Der Reeder zahlte ein Lösegeld von 10.000 Dollar pro Besatzungsmitglied. Die Piraten kamen aber nach ein oder zwei Tagen wieder an Bord, sie hatten begriffen, dass es einfach ging. Sie verlangten wieder Geld. Der Reeder hatte kein Geld mehr und rief die französische Marine zu Hilfe, die in der Nähe war. Die kam ganz unbürokratisch und schoss den Piraten vor den Bug. Als die Franzosen weg waren, kamen die Piraten wieder und danach ist das Schiff samt Besatzung spurlos verschwunden.
Ohne Waffen gegen Piraten
tagesschau.de: Wenn ein deutsches Schiff sich bedroht fühlt, was kann die Bundesmarine machen?
Irminger: Die Marine darf erst mal gar nichts machen. Sie muss sich Weisung einholen von den deutschen Vorgesetzten. Für einen Waffeneinsatz fehlt das offizielle Mandat vom Bundestag. Sie dürfen vor Ort präsent sein und zum Beispiel Schiffe abdrängen. Das ist schon sinnvoll, aber kann nicht auf Dauer abschrecken. Ich weiß aus vielen Gesprächen auch mit Kommandanten der Bundesmarine, dass man sich aufgrund der Vergangenheit deutlich schwerer tut als andere Länder. Selbst wenn der Auftrag da ist, gibt es noch große Zurückhaltung der Schiffsführung aufgrund unserer Geschichte.
tagesschau.de: Wieso schützen die Reeder ihre Schiffe nicht mit privaten Sicherheitsdiensten?
Irminger: Das ist eine kritische Sache. Es ist rechtlich schwierig. Für jede Waffe muss eine Person mit Waffenschein an Bord sein. Und da der Schein ein nationales Papier ist, müsste der Waffenbesitzer für jedes Land, welches das Schiff anläuft, einen Waffenschein haben. Auch kommerziell ist das meiner Meinung nach nicht tragbar. Es kostet zu viel Geld. Und die Schiffe sind nicht für zusätzliche Leute an Bord ausgerichtet, nicht für eine größere Einheit. Und was passiert wenn die Bewaffneten unterliegen? Das löst noch mehr Aggression bei den Piraten aus.
tagesschau.de: Kann man sich gegen Piraterie versichern?
Irminger: Es gibt seit einiger Zeit eine spezielle Lösegeldversicherung in London. Die beinhaltet auch Unterstützung von Spezialisten für Verhandlungen und Deeskalation. Sie arbeiten ohne paramilitärische Dienste. Die Spezialisten kennen die Mentalität der Piraten. Sie wissen, wie man mit ihnen verhandelt, ohne dass die Situation eskaliert. Dass kann schon mal drei bis fünf Wochen dauern, bis man sich einigt
Reger Handel mit der Beute
tagesschau.de: Was passiert mit den gekaperten Schiffen?
Irminger: Ich hatte vor einigen Jahren einer Versicherung geholfen, ein am Horn gekapertes Schiff zu finden, das mit Palmöl beladen war. Teile der Ladung waren schon auf ein anderes Schiff umgeladen. Das Schiff ging an den Besitzer zurück, aber die Ladung wurde im südchinesischen Meer notverkauft. Bis heute versucht der Transportversicherer, den Verlaufserlös zurückzukriegen. Das ist nicht ganz so einfach.
Die gestohlenen Güter kommen oft in den legalen Handel zurück. Die Schiffe werden zu sogenannten Phantomschiffen, die offiziell nicht registriert sind. Sie werden dann weiterverwendet für illegale Ladung. Oder sie werden in Indien verschrottet. Bei den heutigen Schrottpreisen kommen dann noch mal bei einem größeren Schiff ein bis zwei Millionen zusammen.
Das Interview führte Heike Janßen für tagesschau.de