EU und Polen Sie reden - aneinander vorbei
Seit Monaten dauert der Streit um die polnische Justizreform: Die EU droht, Warschau stellt sich stur. Polens Premier Morawiecki wollte Brüssel nun die Augen für die guten Seiten der neuen Regelungen öffnen.
Eine Annäherung gibt es nicht - und auch nichts, was man in Brüssel öffentlich dazu hätte sagen wollen. Die EU-Kommission hält sich bedeckt, ebenso die polnische Regierung. EU-Diplomaten aus Berlin und Paris halten es schon für einen Fortschritt, dass überhaupt wieder regelmäßig miteinander gesprochen wird, nach den vielen Monaten der Funkstille zwischen Warschau und Brüssel. Das zumindest habe sich unter dem neuen polnischen Premier Mateusz Morawiecki geändert.
Nun hat Morawiecki mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gesprochen - und doch, so scheint es jedenfalls, haben sie wieder aneinander vorbei geredet. Dem Ziel der EU ist man kein Stück näher gekommen: Dass Polen zumindest die kritischsten Passagen seiner umstrittenen Justizreform abschwächt - für Brüssel allesamt Verstöße gegen EU-Grundwerte, denen auch Polen zugestimmt habe.
EU kritisiert Reform als rechtswidrig
Besonders das Verfahren zur Ernennung von Richtern wird nicht nur von der EU-Kommission, sondern auch von der für Grundrechtefragen zuständigen Venedigkommission des Europarates missbilligt: Die nationalpopulistische Regierung könne weitreichenden Einfluss nehmen, wenn heikle Gesetze, wie das Wahl- oder das Demonstrationsrecht, von Obersten Richtern überprüft werden sollen. Die Ernennung des Präsidenten des polnischen Verfassungsgerichtes sei rechtswidrig erfolgt und müsse rückgängig gemacht werden, fordert die EU.
Von einem polnischen Einlenken kann aber keine Rede sein: Der Streit spitzt sich weiter zu. Polens Regierungschef Morawiecki versuchte den Spieß umzudrehen und die EU-Kommission für alle Schwierigkeiten verantwortlich zu machen, denen sich Polen ausgesetzt sieht. Der Premier präsentierte ein "Weißbuch", das dem Vernehmen nach in der EU-Kommission Befremden auslöste.
Polen: Regelungen schaffen "Gleichgewicht der Gewalten"
Es soll belegen, dass die umstrittenen Reformen nicht schlecht, sondern gut für die Demokratie sind. Die Schieflage zwischen Regierung und Justiz sei aufgehoben worden, die dazu geführt habe, dass Richter "niemandem Rechenschaft" geschuldet hätten. "Unabhängigkeit" und ein "Gleichgewicht" der Gewalten seien erst durch die Reformen gewährleistet.
Gleichzeitig drohte Morawiecki mit unkalkulierbaren Folgen, sollte der Streit mit Brüssel weiter eskalieren: Das würde "anti-europäische Stimmungen" in seinem Land erst befördern. Die EU-Kommission will sich davon nicht beirren lassen, vor allem mit Blick auf Rechtssicherheit für Investoren und alle EU-Bürger, die in Polen zu tun hätten. Die polnische Regierung spricht von "Missverständnissen", gibt sich gesprächsbereit, will aber sonst nichts ändern.
In Berlin und Paris arbeitet man schon an einem möglichst gesichtswahrenden Ausweg für alle Seiten: Polen solle die kritischsten Punkte der Justizreform entschärfen und die weniger kritischen in den kommenden Monaten nach und nach wieder an geltendes EU-Recht angleichen. Die Unabhängigkeit der Obersten Richter in Polen gilt dabei als unverhandelbar für Brüssel.
Harte Sanktionen muss Warschau kaum fürchten
Die Kommission hat Polen nun eine Frist bis zum 20. März gesetzt. Falls sich der Wind in den nächsten Tagen nicht dreht, dann müssen die EU-Regierungschefs entscheiden, ob sie die erste Phase eines EU-Strafverfahrens nach Artikel 7 der EU-Verträge einleiten. Dazu müssten 22 EU-Länder dafür stimmen. Mehr als eine Ermahnung an Polen ist damit aber nicht verbunden.
Drastische Sanktionen gelten als unwahrscheinlich. Dafür müssten alle anderen EU-Staaten zustimmen, was Ungarn schon ausgeschlossen hatte. Und selbst wenn es zu Sanktionen kommen sollte, bis hin zum Entzug der Stimmrechte für Polen, sie müssten befristet werden. Danach dürfte sich Polen wieder rehabilitiert fühlen, selbst wenn sich in der Sache nichts ändert.
Deshalb gibt es auch Zweifel an diesem relativ neuen Verfahren. Endet es im Fall Polen wie das berühmte Hornberger Schießen, dann dürfte es wohl das erste und letzte gewesen sein, was die EU-Kommission eingeleitet und den Regierungschefs zur Annahme empfohlen hat.