Polen kritisiert EU-Kommission Ein "politisch motiviertes Verfahren"
Noch bevor die EU-Kommission sich im Streit um Polens umstrittene Justizreform erklärt hatte, reagierte Warschau: Das Verfahren sei politisch begründet. Staatspräsident Duda unterschrieb die Gesetze am Abend. Mit der EU wolle man aber im Gespräch bleiben.
Keine Angst vor der "atomaren Option", wie das Artikel-7-Verfahren auch in Polen genannt wird: Schon am Morgen hatte eine Regierungssprecherin im staatlichen Fernsehen ihren Landsleuten versichert, dass es am Ende keinerlei Sanktionen geben werde, wofür ja in der Tat auch die Zustimmung Ungarns notwendig wäre. Auf die inhaltliche Kritik gingen Regierungsvertretrer nicht ein; als "politisch motiviert" wies Justizminister Zbigniew Ziobro das Vorgehen Brüssels zurück, noch bevor die Kommission überhaupt vor die Presse getreten war.
Ich nehme diese Entscheidung, die schon vor langer Zeit angekündigt wurde, mit Ruhe entgegen. Polen ist ein Rechtsstaat und wird nur dann in Europa und in der EU bedeutend sein, wenn es gut funktionierende Gerichte haben wird. Wir müssen daher dafür sorgen, dass die Gerichte endlich leistungsfähig werden und gut funktionieren, und die Reform des Justizwesens fortsetzen.
Die EU als Saboteur
Auch der staatliche Sender TVP vermittelt in seinen Berichten den Eindruck, die EU sabotiere das Versprechen der PiS-Partei, die Justiz auf Vordermann zu bringen. Dass diese Rhetorik zu verfangen scheint, zeigte unlängst eine Umfrage, die durchgeführt wurde, nachdem auch das Europaparlament mehrheitlich Gefahren für die junge polnische Demokratie beklagt hatte: Nur ein Drittel der Befragten befand, die Parlamentsmehrheit habe aus Sorge um den Rechtsstaat gehandelt, fast jeder zweite dagegen meinte, das Parlament sei von Abneigung gegen die PiS-Regierung getrieben.
Donald Tusk: "Ein trauriger Tag für Polen"
Eu-Ratspräsident Tusk kritisiert die Justizreform in seinem Heimatland.
EU-Ratspräsident Donald Tusk hingegen, der momentan in seiner polnischen Heimat ist und zuletzt häufiger innenpolitisch Stellung bezog, sagte dem polnischen Fernsehen: "Sicherlich gibt es noch Zeit, unmittelbare negative Konsequenzen für die Polen zu vermeiden. Aber das Schlimmste ist bereits geschehen: Polen stellt sich auf gewisse Weise quer zur Europäischen Union und in gewissem Sinne quer zum politischen Westen. Einige meinen, das ist Folge von Inkompetenz und Fehlern, aber ich befürchte leider, dass es ein ganz bewusstes Positionieren Polens quer zur oder vielleicht auch ganz außerhalb der EU ist. Deshalb ist es ein trauriger Tag für Polen."
Polen will weiter verhandeln
Am Abend unterzeichnete Staatspräsident Andrzej Duda die letzten beiden Justizgesetze, die das Schicksal des Obersten Gerichts und des für die Richterbenennung entscheidenden Landesjustizrats besiegeln - ungeachtet der schärfer werdenden Kritik aus dem Westen. Premier Mateusz Morawiecki steht zumindest rhetorisch ebenfalls voll und ganz hinter den Maßnahmen - allerdings unterscheidet er sich von seiner Vorgängerin darin, dass er immer wieder seine Bereitschaft zum Dialog betont:
Ich habe Kommissionspräsident Juncker Diskussionen angeboten. Gleichzeitig habe ich betont, dass Gesetze, die jetzt beim Präsidenten zur Unterschrift liegen, sich doch ein bisschen unterscheiden von dem, was im Juli zur Debatte stand. Auch, dass wir sowohl einen Dialog führen als auch unser Justizsystem reformieren wollen.
In Polen ist die Justizreform umstritten. Landesweit gingen in den vergangenen Monaten immer wieder Tausende Menschen dagegen auf die Straße - wie hier in Warschau Ende November.
Morawiecki signalisiert Kooperation in anderen Bereichen
In einer anderen Streitfrage mit der EU, der der umstrittenen Holzarbeiten im geschützten Urwald Bialowieza im Osten seines Landes, kündigte Morawiecki an, dass sein Land ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Frage voll und ganz respektieren würde. Der Applaus im Parlament kam daraufhin zögerlich und erst auf Morawieckis Aufforderung in Schwung.
Und so will der Premier offenbar wenigstens einige der Streitfragen mit Brüssel entschärfen, insgesamt einen besseren Ton erreichen, aber in der Justizfrage hart bleiben - womöglich in dem Glauben, dass man mit dem Makel des Artikels 7 notfalls leben, aber dann auch zur Tagesordnung übergehen könne. Denn trotz aller Anti-EU-Rhetorik sprechen sich in Umfragen nach wie vor vier Fünftel der Polen für die Mitgliedschaft aus, so viele wie kaum irgendwo sonst in Europa. Und auch aus den Reihen der PiS-Partei hat noch niemand ernsthaft einen Austritt aus der EU ins Spiel gebracht.