Rushdie veröffentlicht Autobiographie Memoiren eines zum Tode Verurteilten
Das Telefon läutete und danach war im Leben von Salman Rushdie alles anders. "Wie fühlt es sich an, zum Tode verurteilt worden zu sein?", fragte eine Reporterin. So erfuhr der Autor, dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt worden war, da er mit den "Satanischen Versen" den Islam beleidigt habe. 23 Jahre lebte Rushdie im Untergrund. Nun erscheint seine Autobiographie.
Von Sebastian Hesse, MDR-Hörfunkstudio London
In den 23 Jahren, die Salman Rushdie inzwischen im Untergrund verbracht hat, verborgen vor seinen gesichtslosen Häschern, hat er sich nie direkt zu dem Todesurteil durch den damaligen iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini geäußert. Und nun ein ganzes Buch zum Thema: Folgerichtig beginnt es mit dem Moment, als der Autor der "Satanischen Verse" erfuhr, dass ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt war.
Gegen Salman Rushdie war 1989 eine Todes-Fatwa ausgesprochen worden
"Ich bin ein toter Mann"
Eine BBC-Reporterin hatte ihn angerufen und informiert - während der Beerdigung seines langjährigen Freundes und Reisegefährten Bruce Chatwin, am Valentinstag 1989. "Wie fühlt sich das an, soeben zum Tode verurteilt worden zu sein?", habe sie damals gefragt. Er hatte geantwortet: "Fühlt sich nicht gut an." Und gedacht: "Ich bin ein toter Mann."
Salman Rushdie hat sein Schweigen zum Thema gebrochen, mit dem Buch und einem Interview, das nun als Aufzeichnung in der BBC lief. Lange Zeit habe er sich nicht in der Lage gefühlt, darüber zu reden und vor allem zu schreiben, wie sich das Leben im Verborgenen angefühlt hat, so Rushdie. Außerdem habe er jetzt die Tür zu seiner Vergangenheit zuschlagen wollen und wieder ein normales Leben aufnehmen wollen, jetzt, wo er ausreichend Distanz zu den Geschehnissen verspürt. Die Jahre im Untergrund seien vor allem von Angst geprägt gewesen, um ihn selbst und um seine Familie. Er sei orientierungslos gewesen, kaum in der Lage, richtig zu handeln.
Salman Rushdie lebt inzwischen in New York, in einem Apartment nahe des Union Square in Manhattan. Er hat eine Gastprofessur an der Uni von Atlanta. Und er hat sich das Trauma seines Lebens von der Seele geschrieben. 656 Seiten umfasst "Joseph Anton" in der englischen Originalausgabe, ein Ziegelstein von einem Buch. Und das ist schon die kondensierte Fassung. 200 Seiten hatte Salman Rushdie zum Schluss noch heraus redigiert. Es sei ein unverändert aktuelles Buch, meint der Autor, denn die beispiellose Fatwa könne man rückblickend als Auftakt einer Entwicklung sehen, die bis heute andauert.
Die "Satanischen Verse" würden wohl keinen Verleger mehr finden
Es war der erste Akkord einer dunklen Sinfonie, die von der Fatwa bis zum 11. September reicht. Attacken auf die Meinungsfreiheit hat es in Teilen der islamischen Welt immer wieder gegeben, mit den immer gleichen Argumenten. Immer wird der Vorwurf der Gotteslästerung, des Ketzertums, der Abkehr vom Glauben, der Beleidigung erhoben: all dieses mittelalterliche Vokabular. Als die BBC Rushdie zu seinem Buch befragte, vor knapp zwei Wochen, konnte niemand die momentane Eskalation wegen des Mohammed-Schmähvideos vorausahnen. Rushdie kommt jedenfalls zu dem ernüchternden Fazit, dass die "Satanischen Verse" heute keinen Verleger mehr fänden. Es gebe diesen unerfreulichen Effekt. Islamkritische Bücher seien heute nur noch schwer zu veröffentlichen.
Seiner Autobiographie hat Rushdie den Titel "Joseph Anton" gegeben, nach dem Pseudonym, unter dem Rushdie länger als zwei Jahrzehnte gelebt hat. Den Tarnnamen hatte er konstruiert aus den Vornamen seiner beiden Lieblingsautoren, Conrad und Cechov. Durchaus bitter erzählt er darin Anekdoten wie die, dass sein damaliger Verleger Penguin sich geweigert hatte, eine Taschenbuchausgabe der "Satanischen Verse" herauszugeben.
Das Todesurteil wurde nie zurückgenommen
Rushdies Rat an Autoren, Journalisten, Medien und Verlage lautet: mutiger sein, sich etwas trauen. Das Bewusstsein, dass man das Recht hat, seine Ansichten zu äußern, ist für Rushdie die einzige Weise, in einer freien Gesellschaft zu leben. "Ich habe immer die Ansicht vertreten, dass nichts unantastbar sein darf. Vor allem wenn man über die zentralen Erlebnisse im eigenen Leben schreibt, dann muss man alles veröffentlichen dürfen!" Die fraglos zentralste Erfahrung seines Werdegangs, der in Indien als Kind einer muslimischen Familie begann, findet sich in seinen Lebenserinnerungen verarbeitet, die heute zeitgleich in 27 Ländern erscheinen. Das Todesurteil gegen Salman Rushdie hat der Iran übrigens nie zurückgenommen.