Regionalwahlen in Russland Kaum noch Gegenwehr
Für die Opposition wird es immer schwieriger, sich in Russland Gehör zu verschaffen. Vor den Regionalwahlen wurden Oppositionelle entweder nicht registriert oder von Listen gestrichen, wie Andrej Morjew. Doch er will weiterkämpfen.
"Noch gilt sie ja", sagt der 47-jährige Oppositionspolitiker lächelnd, aber mit etwas Wehmut in der Stimme, als er seine Visitenkarte über den Schreibtisch schiebt. Andrej Morjew, steht dort, eingerahmt vom offiziellen Wappen. Leiter des Moskauer Stadtbezirks Jakimanka.
2017 hat er den Job übernommen. Damals wurden gleich neun Mitglieder der liberalen Jabloko-Partei in die Bezirksvertretung gewählt und nur einer von der Regierungspartei Geeintes Russland. Eine kleine Zeitenwende: "Eine der wichtigsten Errungenschaften dieser fünf Jahre ist, dass wir eine zivilgesellschaftliche Basis geschaffen haben, nicht groß, aber sie wächst", sagt Morjew.
Diskreditierung und Strafen
Sie gaben der Bezirksverwaltung Kontra -unter anderem bei teuren Bauprojekten, machten Eingaben, forderten Rechenschaft. Da habe sich schon einiges angesammelt, erzählt Morjew weiter.
Als er nach Beginn der militärischen "Spezialoperation" den Ehemann der Verwaltungsleiterin getroffen habe, der zufällig der Leiter des Fonds für Gebäudesanierung im Bezirk sei, habe der ihm direkt ins Gesicht gesagt: "Wir werden Sie ins Gefängnis stecken."
Im Juni konnte sich der überzeugte Kommunalpolitiker zwar noch bei der Zentralen Wahlkommission als Kandidat registrieren. Es liefen aber Kampagnen gegen ihn. Er wurde wegen angeblicher Diskreditierung der russischen Streitkräfte zu einer Geldstrafe verurteilt. Und noch am selben Tag festgenommen. Wegen eines Aufklebers, der plötzlich an seinem Auto prangte. Ein Rechteck, wie man den Gerichtsakten entnehmen konnte, neben dem "Smart Voting" und ein Ausrufezeichen steht.
In einigen Gebieten kann an drei Tagen abgestimmt werden. Andernorts ist eine elektronisch Stimmabgabe möglich.
Ein Aufkleber reicht
Es ist das Logo des Aufrufs zum taktischem Wählen des Stabs von Alexej Nawalny, der als extremistisch eingestuft ist. Wer es öffentlich zeigt, macht sich der Verbreitung eines Symbols einer extremistischen Organisation schuldig. Es gebe viele offene Fragen, sagt Morjew dazu. "Zum einen habe ich nie Smart Voting unterstützt. Weil ich glaube, dass dies keine gute Grundlage für echtes Wählen ist."
"Sehr spezielle" Methoden
Zum anderen habe das Auto in einem abgeschlossenen, mit Videokameras überwachten Hof gestanden - und sei gar nicht bewegt worden. "Um 07:50 Uhr morgens fahren also irgendwelche Leute extra in die Innenstadt, betreten einen abgesperrten Innenhof, gehen über diesen Hof, um zu sehen, was auf meinem Auto klebt." Das sei schon sehr speziell, so Morjew.
Für die Richterin aber sei die Angelegenheit eindeutig gewesen, sagt er fast beiläufig. Sie verurteilt ihn zu einem mehrtägigen Arrest. Gleichzeitig verliert er für ein Jahr sein Recht, bei Wahlen als Kandidat anzutreten. Er ist nicht der Einzige, dem es so ergeht.
Hoffnung auf einen politischen Hochsommer
Und trotzdem, davon ist Andrej Morjew überzeugt, sei es wichtig gewesen, anzutreten und wenigstens für einen Monat und sieben Tage Wahlkampf zu machen: "Bei Wahlen ist natürlich das Wichtigste, zu gewinnen, aber es ist ebenso wichtig, den Wählern zu vermitteln, dass sie nicht allein sind."
Es geht ihm auch darum zu zeigen, dass es im Land noch immer eine Opposition gibt. Keine Politik mehr zu machen, ist für Morjew jedenfalls keine Option. Irgendwann, glaubt er, kommen wieder andere, bessere Zeiten.
In Russland gebe es immer politische Zyklen: Auf eine Eiszeit folge eine Tauwetterperiode. Schön wäre, sagt er zum Abschied, wenn es dann auch mal einen dauerhaften politischen Hochsommer gebe.