Interview

Interview mit russischer Politikwissenschaftlerin "Putin und Medwedjew spielen guter und böser Polizist"

Stand: 05.06.2008 12:44 Uhr

Der neue Präsident Russlands, Medwedjew, ist zu Besuch in Berlin. Nicht nur hier fragt man sich, ob er wirklich der mächtige Mann Russlands ist. Hält nicht doch eher sein Vorgänger Putin weiterhin die Fäden in der Hand? tagesschau.de fragte eine russische Politikwissenschaftlerin.

Der neue Präsident Russlands, Medwedjew, ist zu einem Antrittsbesuch in Berlin. Nicht nur in Deutschland fragt man sich, ob er wirklich der mächtige Mann Russlands ist. Hält nicht doch eher sein Vorgänger Putin weiterhin die Fäden in der Hand? tagesschau.de sprach darüber mit der russischen Politikwissenschaftlerin Lilia Schewtsowa. Sie ist Chefin der Carnegie-Stiftung Moskau.

tagesschau.de: Frau Schewtsowa, was hat Medwedjew getan, seit er ins Präsidentenamt gewählt wurde?

Schewtsowa: Russland wird asymetrisch regiert: Alle bürokratischen, finanziellen und wirtschaftlichen Ressourcen sind in der Hand von Ministerpräsident Putin. Viele Beobachter hatten gedacht, dass Medwedjew sich wie die britische Queen positionieren, also mehr oder weniger machtlos bleiben würde. Es ist aber anders gekommen: Medwedjew hat langsam begonnen, seine Ressourcen neu zu ordnen. Er muss dabei sehr vorsichtig sein. Denn die Formel der Machtverteilung zwischen Putin und Medwedjew ist hochgradig instabil.

"Das lähmt den politischen Prozess"

tagesschau.de: Warum?

Schewtsowa: Wenn jeder Schritt, den Medwedjew tun will, von Putin reguliert wird, untergräbt dies das Amt des Präsidenten, wie es in der russischen Verfassung beschrieben ist. Dieses Modell ist nicht länger aufrecht zu erhalten. Letztlich begegnen sich die Präsidialbehörde und die Regierung doch nur unter dem Vorzeichen eines ständigen Machtkampfes. Das lähmt den politischen Prozess in Russland. Allerdings ist Entspannung in Sicht.

tagesschau.de: Können Sie Beispiele dafür nennen?

Schewtsowa: Der erste Stellvertreter Medwedjews, Wladislaw Surkow, ist loyal gegenüber Putin. Surkow hat dennoch in den letzten Wochen begonnen, seine Partei - die gewissermaßen auf Putin zugeschnitten ist - in Richtung Medwedjew zu rücken. Es ist deshalb auch sehr wahrscheinlich, dass die Putin-Vertrauten, die in Medwedjews Nähe arbeiten, demnächst für Präsident Medwedjew und seine Reformen arbeiten, statt gegen ihn.

tagesschau.de: Bisher sieht es aber weniger nach Entspannung als mehr nach Machtkampf aus. Am Dienstag dieser Woche stoppte Medwedjew die Ergänzungen zum Mediengesetz, die Putins Partei in den politischen Prozess eingebracht hatte.

Schewtsowa: Unsere Medien sind bereits staatlich kontrolliert, wir sprechen aber hier über Ergänzungen, die eine vollständige Kontrolle der Medien zur Folge gehabt hätten.

tagesschau.de: Wie muss ich mir das vorstellen?

Schewtsowa: Es handelt sich um so absurde Maßnahmen wie begründungsfreie rechtliche Verfolgung oder sogar Schließung von Medien. Die Tatsache, dass Medwedjew sich nun gegen diese Gesetze stellte, zeigt: Er versucht, ein Bild von sich als pragmatischem, flexiblem, liberalerem und damit stärker profiliertem politischen Führer zu entwerfen. Denn er würde sich damit von Putin abheben. Ein bisschen sind die beiden wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde oder guter und böser Polizist.

tagesschau.de: Und wie glaubwürdig ist diese Rollenverteilung?

Schewtsowa: Bisher funktioniert sie. Die Frage für Medwedjew ist aber, ob er weiter gehen kann, als eine Rolle zu spielen. Ob er als Präsident wirklich die ihm zustehende Macht ausüben kann? Ob er wirklich transparenter und liberaler regieren kann?

tagesschau.de: Das russische Wochenmagazin "Expert" schreibt, Medwedjew solle mit einem neuen Stil in der Politik vor allem dem westlichen Ausland ermöglichen, sich mit dem Russland aus der Ära Putin zu versöhnen.

Schewtsowa: Das ist eine dominierende Ansicht in vielen russischen Medien: Dass Medwedjew vor allem als Katalysator des russischen Image in der westlichen Welt dienen soll.

tagesschau.de: Und was glauben Sie?

Schewtsowa: Ich denke, dass Medwedjews Rolle viel komplizierter ist: Putin hat Medwedjew auch deshalb installiert, damit dieser die notwendigen Reformen durchführt. Es geht um die Bekämpfung der Korruption und der Umweltzerstörung - aber es geht auch um die Veränderung der innenpolitischen Bedingungen. In der Wirtschaft und in der Politik muss es endlich einen Wettbewerb geben.

"Medwedjew setzt Putins Ansatz fort"

tagesschau.de: Heute ist Medwedjew in Berlin. Was erwarten Sie von diesem Besuch?

Schewtsowa: Es ist ein wichtiger Besuch: Nach seiner ersten Auslandsreise nach China und Kasachstan signalisiert Medwedjew, dass er in der Außenpolitik weiter auf Multipolarität - also Bewegung in alle Richtungen - setzt. Damit setzt er Ex-Präsident Putins Ansatz fort. In den Gesprächen mit der deutschen Regierung muss sich nun zeigen, ob Medwedjew diesen Ansatz auch praktisch umsetzen und mit seinen Inhalten füllen kann. Letztlich geht es aber auch hier um die Frage: Wer hat in Moskau das Sagen?

tagesschau.de: Sie spielen auf Putins Reise Ende Mai nach Paris an? Außenpolitik ist in Russland ja eigentlich Sache des Präsidenten.

Schewtsowa: Richtig - aber dieser Besuch signalisierte eben Putins Machtanspruch auf die russische Außen- und Energiepolitik.

tagesschau.de: Sollte der Westen Medwedjew mit Optimismus oder Reserviertheit behandeln?

Schewtsowa: Ich denke, dass weder das eine noch das andere angebracht ist. Der Westen sollte vor allem Realismus walten lassen. Wenn Medwedjew der wahre Herrscher Russlands sein will, muss er in der Außenpolitik einen eigenen Stil finden. Einen, der sich von Putins Reibereien mit dem Westen abhebt. Er muss aufhören mit dem Machostil seines Vorgängers und sich um eine echte Partnerschaft mit dem Westen bemühen.

Das Interview führte Christan Radler, tagesschau.de