Hintergrund

Schiiten und Sunniten im Nahen Osten Die neue Generation Gotteskrieger

Stand: 08.12.2013 18:29 Uhr

Tägliche Berichte über Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten im Nahen Osten legen die Vermutung nahe, ein neuer Religionskrieg sei entbrannt. Doch hinter dem religiösen steht ein politischer Machtkampf: Der Iran will sich als Regionalmacht etablieren - die Golfstaaten halten dagegen.

Bomben von Beirut bis Basra - täglich ist von ihnen zu hören, auch von Gefechten zwischen Milizen, Untergrundkämpfern, Regierungseinheiten. Dabei heißt es in den Nachrichten zumeist, dass "Schiiten Sunniten attackiert haben" oder "Sunniten ein Attentat auf Schiiten verübten". Je häufiger diese Zuordnungen kommen, desto stärker drängt sich eine Vermutung auf: Im Nahen Osten, also im Libanon, in Syrien, im Irak - ist ein Religionskrieg entbrannt.

Schiiten wollen "sunnitische Extremisten" stoppen

Und beide Seiten, Schiiten und Sunniten, befeuern diese Wahrnehmung: Hassan Nasrallah zum Beispiel, der Generalsekretär der libanesisch-schiitischen Hisbollah. Er wird nicht müde, den Einsatz von Hisbollah-Kämpfern in Syrien an der Seite von Präsident Baschar al Assad zu rechtfertigen, und zwar damit, dass "die sunnitischen Extremisten gestoppt werden" müssten. Ansonsten würden Al Kaida und deren Anhänger einen ultra-fundamentalistischen, terroristischen Staat gründen.

In dasselbe Horn stößt Assad, ein Alawit, also Angehöriger einer Religionsgruppe, die dem schiitischen Islam entstammt: Er sei ein Kämpfer gegen fanatische Sunniten. Und auch von Iraks Regierungschef Nuri al Maliki, ebenfalls Schiit, sind solche Töne zu hören: "Wenn wir nicht gegen das, was im Irak passiert, vorgehen, wird es sich ausweiten. Und das, was in Syrien passiert, weitet sich auch aus, wenn wir nicht dagegen vorgehen", sagt Maliki. "Und wenn wir nicht handeln, wird sich das Virus des Terrorismus von jedem Land, in dem es lebt, ausbreiten."

Björn Blaschke, B. Blaschke, ARD Kairo, 09.12.2013 09:33 Uhr

Sunniten sprechen von "schiitischen Despoten"

Die Sunniten halten dagegen: Sie nennen Nasrallah, Assad und Maliki schiitische Despoten, die, vereinfacht gesagt, die Sunniten unterdrücken wollen. Zu Gunsten des schiitischen Halbmondes - der Achse, die im Libanon beginnt, sich über Syrien und Irak erstreckt und in Iran endet. Die schiitischen Herrscher in Teheran seien die Quelle allen Übels, sie strebten danach, ihr Staatssystem in die arabische Welt zu exportieren und alles ihrem schiitischen Einfluss unterwerfen. Nasrallah, Assad und Maliki seien willfährige Vasallen.

Diese gegenseitigen Vorwürfe stacheln beide Seiten dazu auf, die jeweils anderen unter Einsatz aller Waffen zu attackieren. Vordergründig geht es also um Religion, da zwischen Beirut und Basra die Bruchlinie verläuft zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen. Doch hinter den religiösen Verwerfungen steht das Ringen um politischen Einfluss. Der Iran hat den Anspruch, Regionalmacht zu sein, was sich wahrscheinlich am ehesten im Atom-Programm des Staates manifestiert. Die meisten sunnitisch geprägten arabischen Staaten weisen diesen Anspruch des Iran zurück; Saudi-Arabien und sogar Katar streben selbst eine regionale Führungsrolle an.

Golf-Staaten wollen Irans Machtposition schwächen

"Seit der von den USA geführten Invasion im Irak 2003 ist die Balance zwischen Irakern und Iranern - dass sie regelmäßig gegen einander Krieg führten - verschwunden", sagt der Politikwissenschaftler Karim al Makdisi, der an der renommierten American University of Beirut lehrt und selbst Christ ist. Seitdem sei der Irak schwächer und der Iran wesentlich stärker geworden. "Deshalb fürchteten Saudi-Arabien, Katar und andere Golfstaaten, im Nahen und Mittleren Osten an Einfluss zu verlieren. Und darum meinen sie, den ihrer Ansicht nach wachsenden iranischen Drang, die Region zu dominieren, stoppen zu müssen."

Und das machen die Golf-Araber unter anderem, indem sie militante sunnitische Gruppen finanzieren, die in Syrien, aber auch in Libanon und im Irak Schiiten angreifen. Diese wiederum schlagen zurück, ebenfalls mit brutalen Mitteln. Die Folge ist, dass eine neue Generation von Kämpfern heranwächst, die alle glauben im Namen ihrer Religionsgruppe zu töten. Eine neue Generation Gotteskrieger. "Es ist wie mit Frankenstein", erklärt Politikwissenschaftler Makdisi. "Man schafft etwas, dann kann Frankenstein das Monster nicht mehr kontrollieren. Wie lange man solche Monster unter Kontrolle halten kann, ist nicht klar."

Dieses Thema im Programm: Dieser Beitrag lief am 23. November 2013 um 13:38 Uhr im Deutschlandfunk.