Seehofer in Österreich Eine Allianz mit Grenzen?
Innenminister Seehofer ist zu Besuch bei Österreichs Kanzler Kurz - bislang verfolgten beide eine ähnliche Linie in der Asylpolitik. Doch mit der unionsinternen Einigung auf "Transitzentren" kollidieren nun die Interessen.
Im Asylstreit in der EU geht die Bundesregierung nur in kleinen Schritten voran. Nach dem langen, unerbittlichen Streit in der Union über die Flüchtlingspolitik reist Innenminister Seehofer nun nach Österreich. Zwar hat er noch keine Einigung mit dem Koalitionspartner SPD über die offenen Fragen zu den geplanten "Transitzentren" an der deutsch-österreichischen Grenze erzielt, was sein Mandat normalerweise beträchtlich in Frage stellen würde.
Aber Seehofer scheint sich seiner Sache sicher. Mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz bespricht er nun mögliche Verfahren zur Rückführung von Flüchtlingen. Geplant seien lediglich "Gespräche zur Herbeiführung von Vereinbarungen", sagt Seehofer. Abschlüsse strebe er nicht an.
Österreichische Sympathie mit Grenzen
Die unionsinterne Einigung im Asylstreit ist fragil. Österreichs Kanzler Kurz spielt dabei eine Schlüsselrolle. Bislang stand er der bayerischen CSU zur Seite, wenn es um eine harte Haltung in der Flüchtlingsdebatte ging. Aber die grundsätzliche Sympathie für die neue deutsche migrationskritische Linie habe Grenzen, sagte Kurz zuletzt.
Kurz hat kein Interesse an der Rücknahme von Flüchtlingen aus Deutschland. Im ORF sagte er, er teile mit der Union das Ziel, dass Flüchtlinge in die Länder zurückgestellt werden, in denen sie zuvor schon registriert wurden. Die Frage sei jedoch, was sich Deutschland darüber hinaus vorstelle. "Und da ist noch keine vollkommene Klarheit vorhanden."
Bundeskanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer. Der CSU-Chef ist sich seiner Sache so sicher, wie jemand, der nichts zu verlieren hat.
Dominoeffekt Richtung Süden
Die Grenze zwischen Bayern und Österreich ist knapp über 800 Kilometer lang. Es gibt 66 Grenzübergänge. An dreien davon finden zurzeit dauerhaft Kontrollen statt. Sollten schon registrierte Asylbewerber in neuen "Transitzentren" hier zurückgewiesen werden, hätte das wohl einen Dominoeffekt auf die Länder in Richtung Süden.
"Der Effekt würde sich über die bayerisch-österreichische Grenze über Südgrenzen Österreichs bis nach Italien fortsetzen", sagt Hans Vorländer, Politikwissenschaftler von der TU Dresden und Direktor des Mercator Forum Migration und Demokratie. "Und das kann eigentlich nicht im Sinne einer abgestimmten europäischen Strategie sein."
Merkels Multilateralismus torpediert
Vorländer sagt, der Versuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel bein EU-Gipfel Ende vergangener Woche, den multilateralistischen Ansatz wiederzubeleben, sei erheblich durch die unionsinterne Einigung torpediert worden. "Die europapolitische, multilaterale Initiative von Merkel wird deutlich behindert."
Vor allem sei aber nun auch Kurz gefordert, seine südlichen Grenzen zu sichern. "Wie er jetzt mit zurückgewiesenen Geflüchteten umgeht, ist ein spannende Frage." Mit Österreich werde es keine Vereinbarung zulasten des Landes geben. Das habe er ja eindeutig zu verstehen gegeben, sagt Vorländer. "Insofern wird es interessant sein, zu beobachten, wie Seehofer und Kurz übereinkommen wollen, wenn sie sich treffen."
"Zynische Aussage Seehofers"
Zusätzlich belastend wirkt die Idee Seehofers, die "Transitzentren" nach Deutschland hin zu schließen und nach Österreich offen zu halten. Dann könnten die Flüchtlinge ja in diese Richtung ausweichen, so Seehofer. Diese Äußerung hatte schon die SPD kritisiert, die sich kategorisch gegen geschlossene "Transitzentren" stellt. Vorländer bezeichnet die Aussage Seehofers als zynisch. "Das wird sich Herr Kurz bestimmt nicht gefallen lassen."
Es gibt aber durchaus gemeinsame Interessen Deutschlands, Österreichs und auch der anderen EU-Staaten. Vorländer nennt als Beispiel eine Zuwanderung, die gesteuerter und kontrollierter erfolge. Darüberhinaus soll die sogenannte Sekundärmigration - also die Migration von Flüchtlingen innerhalb der EU - eingeschränkt werden, ohne das Schengen-Abkommen im Kern zu gefährden. Und schließlich strebten Deutschland und Österreich eine faire Verteilung von Migranten in Europa an.
Interesse an effizientem Dublin-System
Die Migrationsexpertin Petra Bendel von der Universität Erlangen-Nürnberg weist darauf hin, dass Österreich eine Übernahme von Flüchtlingen aus Deutschland nach der bestehenden Dublin-Verordnung kaum fürchten müsste. Die wenigsten Flüchtlinge hätten in Österreich zum ersten Mal EU-Boden betreten, sondern vielmehr an den Außengrenzen der EU.
Österreich und Deutschland äußerten deshalb auch gemeinsam ein starkes Interesse an einer effizienteren Funktionsweise des Dublin-Systems, sagt sie. Denn "beide liegen im Innern der EU und profitieren von Dublin".
Ein Bundespolizist an der Autobahn A 3 kurz hinter der deutsch-österreichischen Grenze. Beide Länder streben eine faire Verteilung von Migranten in Europa an.
Wettbewerb um die geringstmögliche Attraktivität
Doch das Dublin-System steht seit langem in der Kritik. Zuletzt habe sich der Europäische Rat darauf geeinigt, 'kontrollierte Asylzentren' innerhalb der EU-Mitgliedstaaten 'auf freiwilliger Basis' einzurichten und eine Aufnahme aus den überlasteten Staaten ebenfalls 'auf freiwilliger Basis' zu organisieren, solange die Überarbeitung der Dublin-Verordnung noch ausstehe, sagt Bendel. "Darauf vertrauen aber offensichtlich der deutsche Bundesinnenminister und sein österreichischer Kollege nicht und setzen auf Alleingänge."
Laut Bendel können sich die EU-Mitgliedstaaten in den zentralen Bereichen - "nämlich in den Grundsätzen der Solidarität und geteilten Verantwortung" - nicht einigen. "Und damit läuft die EU Gefahr, ihre selbst gesetzten Standards zu verwässern, wenn ihre Mitgliedstaaten in einen Wettbewerb um die geringstmögliche Attraktivität treten."
Flüchtlingen gerechter verteilen
Politikwissenschaftler Vorländer sagt, innerhalb der EU müssten die Lasten der Aufnahme von Flüchtlingen gerechter verteilt werden. "Diejenigen, die aufnehmen, müssen auch finanziell bevorteilt werden zu Lasten derjenigen, die nicht aufnehmen." Zusätzlich müsse man in Zukunft deutlich zwischen Asylmigration auf der einen Seite - also der Migration von Schutzsuchenden - und der Arbeitsmigration auf der anderen Seite trennen.
Als kurzfristige Lösungen nennt er eine klarere Sicherung der EU-Außengrenzen. Darüber hinaus müsse man jedoch die Wege legaler Arbeitsmigration deutlicher machen. Und schließlich gehe es auch darum, dass den afrikanischen Staaten Optionen aufgezeigt werden, Fluchtursachen zu reduzieren.
Der Dominoeffekt, der durch die "Transitzentren" an der deutschen Grenze entstünde, sei auch nicht hinter der EU-Außengrenze in Nordafrika und in der Türkei spürbar. Die Probleme würden sich verlagern. "Migration lässt sich nicht stoppen", sagt Vorländer. "Die Frage ist, ob man sie einigermaßen kontrollieren kann, ob man sie steuern kann."