Syrische Flüchtlinge in der Türkei Überleben statt Neuanfang
Millionen syrischer Flüchtlinge leben in der Türkei. Doch nur wenige sind in Auffanglagern untergebracht. Die meisten versuchen, sich durchzuschlagen: mit Gelegenheitsjobs zu Hungerlöhnen. Und selbst mit dieser Arbeit gehen sie bereits ein Risiko ein.
Kein Land hat bislang so viele syrische Flüchtlinge aufgenommen wie die Türkei. Schätzungsweise zwei Millionen Syrer leben derzeit in dem Land. Doch die wenigsten von ihnen - nur etwa jeder Achte - sind in einem Flüchtlingslager untergebracht, mit medizinischer Versorgung und mit Schulunterricht für die Kinder. Die meisten syrischen Flüchtlinge schlagen sich auf eigene Faust durch den türkischen Alltag.
Stets in der Gerfahr, entdeckt zu werden
Diese Menschen bekommen praktisch keine staatliche Unterstützung. Sie dürfen offiziell nicht arbeiten, aber Hunderttausende tun es trotzdem: schwarz und zu miserablen Löhnen. Und stets in der Gefahr, entdeckt zu werden.
Siham ist erst 15 Jahre alt. Sie stammt aus Aleppo in Syrien. Hier in Istanbul arbeitet sie als Kellnerin in einem Restaurant. "Ich war gerade in der achten Klasse, als wir flüchten mussten", erzählt sie. Hier in der Türkei könne sie leider nicht weiter zur Schule gehen, sie müsse arbeiten. Sihams zwölfjähriger Bruder arbeitet in einer Autowerkstatt als Botenjunge, ihr Vater verdient mit Gelegenheitsjobs etwas dazu. Aber trotzdem reicht das Geld kaum für die Familie. Alle drei bekommen nur sehr wenig Lohn.
Kein Schutz vor Kündigung und bei Krankheit
"Eine Syrerin oder ein Syrer verdient oft nur ein Drittel von dem, was eine Türkin oder ein Türke verdient", sagt Professor Murat Erdogan, Migrationsforscher der Hacettepe-Universität in Ankara. Natürlich sei das Ausbeutung. Er hat die Arbeitsbedingungen der syrischen Flüchtlinge in der Türkei untersucht und kam zu erschütternden Ergebnissen. Demnach haben 400.000 Syrer einen Job, aber nur 3600 von ihnen haben auch eine Arbeitserlaubnis. Die anderen 99 Prozent sind auf Schwarzarbeit angewiesen - ohne Krankenversicherung, ohne Kündigungsschutz, ohne Rechte.
Omar, ein 20-jähriger Syrer, hatte bei einer Schuhfabrik in Istanbul Arbeit gefunden. Für 600 Lira Monatslohn, das sind umgerechnet weniger als 200 Euro, bei einer Sieben-Tage-Woche. "Sie zwingen uns, zu kommen, aber fürs Wochenende bekommen wir keinen Lohn. Es ist kaum auszuhalten", sagt Omar. In der Türkei sieht er keine Zukunft für sich.
"Die Türkei muss sich auf Integration konzentrieren"
Viele Unternehmen nutzen die Not der Flüchtlinge aus. Und die Behörden schauen weg. Das muss sich ändern, und zwar schnell, fordert Migrationsforscher Erdogan: "Manche Politiker und Bürokraten denken immer noch, die Syrer würden wieder gehen, wenn der Krieg vorbei wäre. Doch dem ist nicht so. Selbst wenn der Krieg heute zu Ende ginge, würden die Wenigsten in ihre Heimat zurückkehren." Daher müsse sich die Türkei auf die Integration der Flüchtlinge konzentrieren. Und das heißt aus Sicht Erdogans, dass Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis bekommen müssen. Zudem sollten junge Flüchtlinge, wie die 15-jährige Siham, eine Chance haben, ihre Schulbildung abzuschließen.
Kellnern statt Schule
"Ich vermisse die Schule", sagt Siham. "Ich war ganz gut und ich hatte viele Freundinnen in der Klasse." Das Mädchen träumt davon, eines Tages studieren zu können - stattdessen schuftet sie nun schon seit Monaten als Kellnerin.
Diesen jungen Flüchtlingen müsse die Türkei eine Perspektive bieten, fordert Migrationsforscher Erdogan. Alle syrischen Flüchtlinge sollten die Chance bekommen, sich in der Türkei eine neue Existenz aufzubauen. Als Startkapital, um diese Politik umzusetzen, könnten auch jene drei Milliarden Euro dienen, die die Europäische Union für die syrischen Flüchtlinge in der Türkei ausgeben will.
"Das Geld von der EU muss vor allem für berufliche Ausbildung und für Schulen ausgegeben werden", betont Erdogan. Wenn das umgesetzt würde, dann hätten die Flüchtlinge künftig die Chance auf fair bezahlte, gute Arbeit in der Türkei und sie wären nicht weiterhin auf Schwarzarbeit zu Hungerlöhnen angewiesen.