Krise in Thailand Ein Funke, und die Lage explodiert
In Thailands Hauptstadt Bangkok haben Tausende Regierungsgegner versucht, das öffentliche Leben lahmzulegen. Wenn auch die Anhänger der Regierung auf die Straße gehen, könnte aus der Krise ein Bürgerkrieg entstehen. ARD-Korrespondent Hetkämper beschreibt im tagesschau.de-Interview die Lage.
tagesschau.de: Herr Hetkämper, Sie sind unterwegs in Thailand. Wie schätzen Sie die Lage dort im Moment ein? Teilen Sie die Befürchtung, dass die Proteste in einen Bürgerkrieg umschlagen könnten?
Robert Hetkämper: Es ist so seltsam. Ich bin geneigt zu lachen über diesen angeblichen Volksaufstand, der angeführt wird von diesem Herrn Suthep. Er lässt sich feiern wie ein Rockstar. Es ist der Versuch, ein ganzes Land zu erpressen. Aber die Komik hält sich natürlich dahingehend in Grenzen, als es furchtbar gefährlich ist. Die Mehrheit der Wähler steht hinter der Regierung. Wenn sie sich um ihre Wählerstimmen betrogen fühlen, werden sie handeln.
Ich habe mit Rothemden, also Anhängern der Regierung von Yingluck Shinawatra, gesprochen. Sie sagen, sie gehen jetzt nicht nach Bangkok, weil sie Gewalt vermeiden wollen. Wenn aber Frau Yingluck wirklich zum Rücktritt gezwungen und das Militär eingreifen würde, dann hätten wir schnell eine Bürgerkriegssituation. Es gab auch schon Schießereien mit Toten. Wenn ein Funke dazukommt, könnte die ganze Lage explodieren.
1984 kam Robert Hetkämper das erste Mal als Reporter ins Studio Singapur. Von 1988 bis 1992 war er Leiter des Studios in Tokio, bevor ihn der NDR als Fernseh-Chefredakteur nach Hamburg holte. Drei Jahre später kehrte er nach Japan zurück. Von 1999 bis 2001 war Hetkämper dann "Senior Correspondent" im ARD-Studio Washington. Seit 2002 leitet Robert Hetkämper das Studio Singapur.
tagesschau.de: Welchen Hintergrund hat Suthep?
Hetkämper: Er ist ein Alt-Politiker mit einem üblen Leumund. Er war wegen Korruptionsfällen angeklagt. Bis vor kurzem war er selbst stellvertretender Regierungschef. 2010 ist er in dieser Funktion sehr massiv gegen die Rothemden vorgegangen. Damals war die Lage umgekehrt. Die Rothemden blockierten die Straßen und teils die gleichen Kreuzungen wie die heutigen Regierungsgegner, die Gelbhemden. Er ließ das Militär einsetzen. Es gab 90 Tote.
Jetzt tut Suthep so, als müssten alle Politiker von der Bühne verschwinden. Stattdessen soll so eine Art Volkskomitee regieren. Das will er natürlich führen.
Gut organisierte und finanzierte PR
tagesschau.de: Suthep spricht von einem Endkampf. Wie ernst ist dies zu nehmen?
Hetkämper: Das ganze Gerede vom letzten großen Aufgebot ist Public-Relations-Geschwätz. Das können die allerdings auch gut. Das haben sie drauf und ich nehme an, dass sie gute Berater haben. Denn die Fernsehbilder sind immer so toll inszeniert. Es ist momentan nicht wirklich der Endkampf. Aber er kann kommen.
tagesschau.de: Wer steht hinter Suthep und finanziert ihn?
Hetkämper: Wir wüssten alle gern, wer hinter ihm steht. Es ist natürlich merkwürdig zu sehen, wie gut organisiert das jetzt schon seit ein paar Monaten abläuft. Das ist ja alles sehr kostspielig. Irgendjemand muss ja diese T-Shirts drucken und verteilen, diese riesigen Mengen an Trinkwasser für die Leute bereitstellen, diese Essensausgaben, die Zelte und Absperrungen.
Das kann Herr Suthep nicht allein bezahlen. So reich ist er trotz allem nicht. Seine Konten sind gesperrt. Die Leute geben ihm demonstrativ auf den Straßen Spenden. Es muss also noch jemand dahinter stecken. Aber wir wissen nicht wer.
tagesschau.de: Wie viele Menschen in Thailand stehen denn hinter Suthep und unterstützen ihn tatsächlich?
Hetkämper: Nehmen wir an, es sind die Wähler der Demokratischen Partei. Bei den letzten Wahlen gewann sie 30 Prozent der Wählerstimmen. In Bangkok selber ist die Zahl der Anhänger natürlich höher und konzentriert auf den Mittelstand und die Eliten.
Ich glaube aber nicht, dass alle Demonstranten auf tiefster Überzeugung dabei sind. Das sind ja auch viele reiche Leute, die ihre Bodyguards mitbringen. Ich glaube, die Leute, die in Prügeleien verwickelt werden und mit Steinen werfen, sind ausgebildete Prügelexperten. Das sind Bodyguards, die dafür bezahlt werden.
Bruder der Regierungschefin zieht die Fäden
tagesschau.de: Wie berechtigt sind die Vorwürfe gegen die Regierung von Yingluck Shinawatra, sie handle nicht demokratisch, es gebe Korruption und sie sei nur eine Handlangerin ihres Bruders Thaksin Shinawatra?
Hetkämper: Es scheint mir eindeutig, dass Thaksin Shinawatra von Dubai aus versucht, die Fäden zu ziehen. Die Familie Shinawatra hat sich zumindest während Thaksins Amtszeit bereichert in einer Art und Weise, die seine Gegner geradezu neidisch gemacht hat. Dass seine Gegner prinzipiell anders sind, würde ich bezweifeln.
Yingluck selber hat eigentlich in den vergangenen beiden Jahren eine ganz gute Figur gemacht. Es sah so aus, als würde sich alles beruhigen. Dann beging sie jedoch den großen Fehler, ein Amnestiegesetz durchzusetzen, wonach ihr Bruder hätte zurückkehren können. Das ist ein absolut rotes Tuch für viele in Thailand, nicht nur für die Eliten, sondern auch für die Intellektuellen.
Sie hassen Thaksin, weil er ein Autokrat war und zum Beispiel bei der Bekämpfung des Drogenhandels einfach Leute abschießen lassen hat. Auf der anderen Seite hat er viel für die Landbevölkerung getan, wahrscheinlich mit Kalkül. Sie lieben die Regierung noch immer heiß und innig. Es ist die Mehrheit der Bevölkerung.
tagesschau.de: Hat also Thaksin Shinawatra seine Wähler mit Geschenken gekauft?
Hetkämper: Die Regierungsgegner sagen, die Leute im Norden seien zu dumm zum wählen. Sie würden gekauft. Doch das ist falsch. Die werden nicht mehr gekauft als andere Wähler auch. Ich glaube zudem, dass dies nicht mehr so ausgeprägt ist wie früher. Die Menschen wissen einfach mehr und haben ein größeres politisches Bewusstsein. Sie informieren sich über das Internet. Es sind nicht mehr die Hinterwäldler, die sie vor zehn Jahren vielleicht einmal waren. Es liegt aber eben zu einem großen Teil daran, dass ihnen Thaksin Shinawatra Privilegien gegeben hat.
Zwiespältiges Verhalten des Militärs
tagesschau.de: Die Polizei und die Armee scheinen sich im Moment aus dem Konflikt herauszuhalten?
Hetkämper: Ja und Nein. Die Polizei steht wahrscheinlich mehrheitlich hinter der Regierung. Denn Thaksin Shinawatra war ja selber Polizist. Viele seiner alten Kumpane sind bei der Polizei.
Beim Militär sieht das anders aus. Es steht der Regierung wesentlich ferner und den Demonstranten erheblich näher. Es gab gerade eine etwas obskure Äußerung eines Armeesprechers, es würden nun Einheiten der Armee ausrücken, um die Demonstranten zu beschützen, auch vor Übergriffen der Regierung. Das würde bedeuten, dass sich das Militär auf die Seite der Demonstranten stellt. Das kann natürlich morgen alles wieder dementiert und als Einzelmeinung hingestellt werden.
tagesschau.de: Eine weitere Kraft ist nicht in Sicht, die zwischen den beiden Lagern vermitteln könnte?
Hetkämper: Da ist der König. Früher hat er Konflikte geschlichtet. Aber er ist sehr schweigsam in dieser riesigen Auseinandersetzung. Er ist ja schwer krank.
tagesschau.de: Nun will die Regierung in Kürze Wahlen abhalten. Die Regierungsgegner wollen nicht teilnehmen. Gibt es einen Ausweg aus dem Konflikt?
Hetkämper: Das ist die 100.000-Dollar-Frage, die im Moment niemand beantworten kann. Die Regierung und deren Anhänger, die Mehrheit der Bevölkerung, will am 2. Februar wählen. Es würde bedeuten, dass die Regierung im Amt bestätigt würde. Aber wenn die Demokraten bei ihrem angekündigten Wahlboykott bleiben, sie haben sich ja auch nicht registrieren lassen, dann wird es aufgrund der thailändischen Verfassungsbestimmungen schwierig, eine Regierung zu bilden. Am Ende bliebe ein Chaos übrig, von dem niemand weiß, wann es enden wird. Auch da wiederum besteht die Gefahr größerer Auseinandersetzungen hin zu einem Bürgerkrieg.
Es bestünde die Möglichkeit, die Wahl am 4. Mai abzuhalten. Das hat die Wahlkommission vorgeschlagen, auch wenn es nach der Verfassung zu spät wäre. Aber ich glaube, die Regierungsgegner wollen überhaupt keine Wahl. Die wollen ein Volkskomitee, was immer das heißen soll.
Schießereien in Bangkok
tagesschau.de: Wie sicher ist die Lage für Touristen in Thailand? Kann man immer noch unbehelligt von den Auseinandersetzungen reisen?
Hetkämper: An den Stränden von Phuket und in den großen Touristenzentren herrscht keine Gefahr für Besucher. In Bangkok habe ich heute Touristen gesehen, die neugierig Fotos machen. Die wissen aber, glaube ich, nicht so genau, wo sie eigentlich sind. Ich würde davon abraten, sich zu Menschenansammlungen zu gesellen. Da kann schnell etwas passieren, was nicht absehbar ist.
Bangkok ist nicht mehr ganz so sicher wie noch vor einem Monat. Unlängst gab es im Backpacker-Viertel eine Schießerei. Aber wenn Bangkok nur eine Übergangsstation ist und man Menschenansammlungen meidet, sollte es gehen.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de