Veröffentlichung der TTIP-Dokumente Europäer unter Druck - USA in der Kritik
Die geleakten TTIP-Dokumente setzten die EU-Kommission mächtig unter Druck. Kritiker fühlen sich bestätigt, die Zweifel im EU-Parlament wachsen und es ist klargeworden, wie weit EU und USA auseinanderliegen. Der Abschluss des Abkommens rückt in weite Ferne.
Die Dokumente sind echt - zumindest das hat die EU-Kommission bestätigt. Und schon geht es auch um die Frage nach den Verantwortlichen: Wer hat die Dokumente geleakt? Der EU-Chefverhandler in Sachen TTIP, Ignacio Garcia, möchte es gerne wissen. Schließlich würde es sich um "vertrauliche" Dinge handeln. Man werde Nachforschungen anstellen, von wem Greenpeace die Papiere bekommen hat. Und wenn es um den Inhalt der Papiere geht: Verhandelt werde über "alles" - auch wenn es schwierig sei in einigen Bereichen, bei den Lebensmitteln etwa.
Die Amerikaner möchten Genfood und Hormonfleisch gerne auch auf europäischen Tellern sehen und halten die Europäer in dieser Frage für überängstlich. Die Dokumente lassen eine Taktik der Amerikaner erkennen, über die bisher nichts bekannt war. Sie verknüpfen ihre Forderung wohl auch mit der von der EU gewünschten und durch Zölle nicht behinderten Marktöffnung für die europäische Automobilindustrie. Es ist nicht der einzige Punkt, bei dem es hakt. Auch die Verhandlungen um Rechtssicherheit für amerikanische Unternehmen kommen kaum voran. Die EU möchte Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Behörden durch die Justiz schlichten und klären lassen. Die Amerikaner setzten nach wie vor auf sogenannte "Schiedsgerichte", die von der Justiz unabhängig handeln sollen.
Verhandlungen noch gar nicht in Gang gekommen
Die Dokumente zeigen: Die Verhandlungen haben ob der vielen Streitpunkte noch immer nicht Fahrt aufgenommen. Kein Kapitel konnte bis heute wenigstens vorläufig zur gemeinsamen Zufriedenheit abgeschlossen werden. Die geleakten Texte zeigen die inhaltlichen Differenzen, aber auch, wie weit man von einem Abkommen noch entfernt ist. Für die EU-Kommission und die Amerikaner sind die Veröffentlichungen ein Ärgernis. Trotzdem geben sie sich gelassen, wohl um nicht noch mehr Groll der TTIP-Gegner auf sich zu ziehen. In Brüssel heißt es: Irgendwann musste es so kommen - je heikler die Verhandlungen, desto eher die Bereitschaft einiger Eingeweihter, "Vertrauliches" weiter zu reichen.
Im EU-Parlament sieht man das quer durch die Fraktionen ganz anders. Für viele Abgeordnete sind die Veröffentlichungen willkommen: "Der öffentliche Druck ist immens wichtig für den Verhandlungsprozess. Jetzt ist im Detail öffentlich, dass die USA-Verhandler nicht bereit sind, sich in diesen Gesprächen zu bewegen", kritisiert der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange. Mit den geleakten Dokumenten seien jetzt zum ersten Mal auch viele US-Positionen öffentlich. Sollten die USA nicht auf die EU zukommen, sehe er für ein Abkommen schwarz. Mit dem Europäischen Parlament werde es keine Absenkung von EU-Standards im Verbraucher- oder Umweltrecht geben.
Weit auseinander liegende Positionen
Klar wird auch, wie weit die Positionen noch auseinander liegen: "Die Texte bestätigen, dass es so gut wie keine Vereinbarungen zwischen den USA und der EU-Kommission gibt", erklärt der SPD-Handelspolitiker. "An vielen Punkten des Verhandlungstextes werden die Unterschiede deutlich. Das sind keine Kapitel. Das ist eine Aneinanderreihung von Klammern, in denen sich die unterschiedlichen Positionen gegenüberstehen."
Klar wird: Die Amerikaner pokern hoch. Sie geben sich nervenstark - und hoffen auf schwache Brüsseler Momente.
Das bringt die TTIP-Kritiker auf den Plan, quer durch die Fraktionen im EU-Parlament. Die Befürchtung: Brüssel könnte weich werden und am Ende zu nachgiebig sein im rauhen Verhandlungsklima hinter verschlossenen Türen. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber drohte mit einem Veto im EU-Parlament. Die kritischen Stellen müsse die EU rausverhandeln. Ansonsten mache das EU-Parlament nicht mit.
Beide Seiten brauchen starke Partner
Ferber erinnerte daran, dass das Parlament auch bei den umstrittenen Schiedsgerichten das letzte Wort hat: "Die EU-Kommission weiß genau, dass sie uns gar keinen Text vorzulegen braucht, in dem diese Bereiche nicht unseren Anforderungen entsprechen." Gleichwohl erinnert er daran, dass Europa starke Partner braucht - angesichts der wachsenden Dominanz von China: "Den Amerikanern muss klar gemacht werden, dass bestimmte Dinge vielleicht mit den Asiaten gehen, aber mit den Europäern eben nicht!" Im Klartext: Nach Asien US-Hormonfleisch, schon möglich - nach Europa unmöglich.
"Der TTIP-leak beweist, dass die Widersprüche zwischen den offiziellen Positionen beider Seiten wesentlich größer sind als die EU-Kommission jemals zugegeben hat", erklärt der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer, der auch der USA-Delegation des EU-Parlaments angehört: "Unter diesen Umständen darauf zu beharren, dass die Verhandlungen bis zum Jahresende abgeschlossen sind, zeugt entweder vom Vertrauen auf politische Wunder oder von einer implizierten Bereitschaft, klein beizugeben." Die EU-Kommission habe hier "einiges zu erklären". Das Nein zu der Art von Deal, wie er den Verhandlungsführern vorschwebe, müsse "lauter und deutlicher" werden.
Wachsende Kritik aus dem Europaparlament
Quer durch die Fraktionen wächst die Kritik an der Verhandlungsstrategie der Europäer. Weil sie die Öffentlichkeit nicht ausreichend informiere über den wahren Stand der Verhandlungen, sei die europäische Position geschwächt. Ein Abkommen noch unter der Obama-Administration gilt vielen als pure Illusion. Kritik gibt es aber auch an Greenpeace: Vertrauliche Papiere zu veröffentlichen, trage erst recht nicht zu fairen Verhandlungen bei.
Die Amerikaner in der Kritik - die EU-Kommission unter Druck. Für sie kommen die Enthüllungen zu Unzeit - bis zum Jahresende wollte man zumindest ein stabiles TTIP-Grundgerüst erarbeitet haben. Für EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström aber auch ein Prestigeprojekt für Europa. Europas Positionen werden nicht aufgegeben: "Es ist normal, dass beide Seiten in einer Verhandlung möglichst viele ihrer eigenen Positionen durchsetzen wollen", ließ die EU-Kommissarin in Brüssel mitteilen. "Das heiße nicht, dass die andere Seite solchen Forderungen nachgibt. Das heißt aber auch nicht, dass die Parteien sich in der Mitte treffen". Es gäbe ja auch noch die Möglichkeit, sich gar nicht zu einigen in heiklen Fragen: "In diesem Sinne sind einige der Schlagzeilen heute ein Sturm im Wasserglas."
EU-Kommissarin Cecilia Malmström hatte Transparenz zu den TTIP-Verhandlungen versprochen.
Nicht jeden EU-Parlamentarier überzeugt das. Malmström war die erste Kommissarin, die nach ihrem Amtsantritt 2014 "volle Transparenz" angekündigt hatte. Gehalten wurde wenig. Die Europäer haben zwar ihre Verhandlungsposition deutlich gemacht und ihre Forderungskataloge veröffentlicht, also jene Dokumente, die sie mit in die Verhandlungen nehmen. Die Amerikaner wollten sich an der "Transparenzinitiative" nicht beteiligen. Und über den tatsächlichen Stand der Dinge konnten sich nur wenige "Berechtigte" in streng überwachten Räumen anhand von nicht immer vollständigen Protokollen informieren. Jetzt muss sich Malmström viel Kritik anhören: Die Leaks zeigen offenbar, dass es nicht einmal Klarheit über die europäische Position gibt. Und schon gar nicht darüber, wie kompromissbereit die EU am Ende sein wird.