EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei Abbrechen - oder jetzt erst recht?
Der Streit um den Umgang der EU mit der Türkei geht weiter. Während Österreichs Regierung ein Veto gegen weitere Beitrittsgespräche ankündigt, warnen führende Europapolitiker davor, die Gespräche abzubrechen: Dies könnte die fortschrittlichen Kräfte im Land schwächen.
Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hat ein Veto gegen das Eröffnen weiterer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei angekündigt. Im EU-Außenministerrat gehe es darum, ob neue Verhandlungskapitel mit der Türkei eröffnet würden - "da bin ich dagegen", sagte Kurz der Zeitung "Kurier".
Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz erneuerte seine Kritikan der Türkei.
Kurz bekräftigte ferner, Bundeskanzler Christian Kern werde sich beim EU-Gipfel am 16. September bemühen, andere Staats- und Regierungschefs davon zu überzeugen, "dass der Beitrittsverhandlungsstopp mit der Türkei richtig ist".
Kern hatte am Mittwoch in einem Fernsehinterview gesagt, die EU müsse ernsthaft einen Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei in Betracht ziehen. Ein Beitritt der Türkei zur EU sei "nur noch diplomatische Fiktion", sagte Kern dem ORF.
Abbruch "verantwortungslos" und "diplomatischer Unsinn"
Führende EU-Politiker warnten indes vor einem Abbruch der Beitrittsgespräche. "Ich fände es verantwortungslos, wenn wir in dieser akuten Situation die bisherigen Beziehungen zur Türkei komplett aufgeben würden, ohne zu wissen, wohin wir wollen", sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, der "Welt am Sonntag". Europa dürfe nicht die aufgeklärten, demokratieorientierten Türken, die sich auf die EU verlassen hätten, im Stich lassen.
Auch der CDU-Politiker Elmar Brok warnte vor Kurzschlusshandlungen. "Ein sofortiges Aussetzen der Verhandlungen wäre heute diplomatischer Unsinn", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament der "Welt am Sonntag". "Die Vernunft und Interessen beider Seiten gebieten es, jetzt in der Rhetorik abzurüsten."
Die EU und die Türkei verhandeln seit 2005 über einen Beitritt. Wegen der repressiven Reaktion der türkischen Regierung auf den Putschversuch hatten in den letzten Wochen viele europäische Politiker den Sinn dieser Verhandlungen in Frage gestellt.
Kauder: Keine Kompromisse bei Visafreiheit
Die EU wird nach Einschätzung von Unions-Fraktionschef Volker Kauder der Türkei bei den Bedingungen für eine Visafreiheit nicht entgegenkommen. "Wenn die türkische Regierung nun das Flüchtlingsabkommen als Hebel nutzen will, um die Visa-Liberalisierungen durchzusetzen, so kann ich nur sagen: Sie hat es doch selbst in der Hand, ihren Bürgern die Reisen in die EU zu erleichtern", sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der "Funke-Mediengruppe". Die Türkei müsse nur noch die letzten fünf der 72 Kriterien erfüllen, die Voraussetzungen für die Einreiseerleichterungen seien. "Daran kann die EU allerdings keine Abstriche machen."
Auch dürfte die Regierung in Ankara selbst kein Interesse daran haben, dass Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen, sagte Kauder. So wisse der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, dass sein Land in wirtschaftlicher Hinsicht stark von Investitionen aus Europa abhängig sei. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte Anfang August gesagt, sein Land werde das EU-Flüchtlingsabkommen beenden, wenn die EU der Türkei nicht bis Anfang oder Mitte Oktober die Visafreiheit zubillige.