Türkischer Ministerpräsident Davutoglu "Wir können die Last nicht allein tragen"
Der türkische Ministerpräsident Davutoglu und mehrere seiner Minister beraten in Berlin mit Kanzlerin Merkel über die Flüchtlingskrise. Schon im Vorfeld machte er klar, dass die drei Milliarden Euro, die die EU nach zähem Ringen der Türkei zugesagt hat, nicht reichen werden.
In der Flüchtlingskrise muss die EU aus Sicht der türkischen Regierung höhere Finanzhilfen als die bislang versprochenen drei Milliarden Euro einkalkulieren. "Drei Milliarden Euro sind nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen", sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu der Deutschen Presse-Agentur vor den ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen in Berlin. "Wir betteln nicht um Geld von der EU", sagte er. "Aber wenn es einen ernsthaften Willen gibt, die Last zu teilen, dann müssen wir uns hinsetzen und über alle Einzelheiten der Krise sprechen."
Davutoglu wurde am Mittag von Kanzlerin Angela Merkel mit militärischen Ehren vor dem Kanzleramt empfangen. Zusammen mit ihm sind mehrere türkische Minister in Berlin. Solche Konsultationen gehen über die normalen Kontakte zwischen Regierungen hinaus. Es gibt sie zum Beispiel auch mit Frankreich, Russland und Israel.
"Wir exportieren keine Krise"
Die Türkei ist besonders für syrische Flüchtlinge, die in die EU kommen, das wichtigste Transitland. Die EU hat der Türkei drei Milliarden Euro für die syrischen Flüchtlinge im Land zugesagt. Bereits über die Finanzierung dieser Summe gibt es unter den Mitgliedstaaten aber Streit. Davutoglu sagte in dem Interview im schweizerischen Davos vor seiner Abreise nach Berlin: "Wir exportieren keine Krise, die Krise ist in die Türkei exportiert worden. Jetzt ist es eine europäische Krise geworden. Wir haben 2,5 Millionen Flüchtlinge in der Türkei aus Syrien, 300.000 weitere aus dem Irak." Die Türkei habe umgerechnet fast neun Milliarden Euro für die Flüchtlinge ausgegeben. "Niemand kann von der Türkei erwarten, die gesamte Last alleine zu tragen."
Um den Zustrom syrischer Flüchtlinge nach Europa einzudämmen, gibt es seit November ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Die Vereinbarung verpflichtet die Regierung in Ankara zu einem besseren Schutz der Grenzen und zu einer Ausweitung des Kampfes gegen Schlepperbanden. Im Gegenzug zahlt die EU mindestens drei Milliarden Euro für die gut zwei Millionen Flüchtlinge in der Türkei. Zudem werden die Verhandlungen über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei und Gespräche zum visafreien Reisen beschleunigt.
Der türkische Botschafter in Deutschland, Hüseyin Avni Karslioglu, beklagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Seit Jahren bittet die Türkei um Hilfe, aber wir werden im Stich gelassen". Von den im Herbst von der EU versprochenen drei Milliarden Euro sei bisher "kein Cent" nach Ankara geflossen. "Das ist scheinheilig", findet der türkische Botschafter. Die Kritiker der Türkei würden es sich zu leicht machen. Dabei würde die Türkei "ihr Bestes" tun, um den Flüchtlingszuzug nach Europa zu begrenzen, aber es sei eine Illusion zu glauben, dass sich jede Bucht entlang der türkischen Küste kontrollieren ließe.
"Eines Tages wird die Türkei EU-Mitglied sein"
Zuversichtlich zeigte sich Ministerpräsident Davutoglu vor den Gesprächen, dass die Türkei in der Zukunft der EU beitreten wird - auch wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen sagte, dem Land stehe dafür noch ein weiter Weg bevor. "Es hat in den EU-Türkei-Beziehungen in den letzten drei Monaten ein sehr positives Momentum gegeben", sagte Davutoglu. "Und ich bin sicher, am Ende dieser ganzen Verbesserungen wird die Türkei eines Tages ein Mitglied der EU sein."
Militärische Lösung im Konflikt mit PKK
Der Ministerpräsident machte deutlich, dass seine Regierung im Konflikt mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nunmehr auf eine militärische Lösung setzt. "In keinem demokratischen Land kann eine Regierung die Anwesenheit von bewaffneten Gruppen und Terroristen in einigen Landesteilen dulden", sagte er. "Diese Operationen werden andauern, bis alle Gemeinden und Städte frei von jeglichen illegalen bewaffneten Gruppen sein werden."
Die türkische Armee hat im vergangenen Monat eine Offensive gegen die PKK begonnen, die Regierung verhängte über mehrere Städte wochenlange Ausgangssperren. Nach Militärangaben wurden bislang Hunderte PKK-Anhänger getötet. Nach Statistiken der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP kamen mehr als 100 Zivilisten ums Leben. Die Sicherheitskräfte meldeten ebenfalls zahlreiche Verluste.