Streit um Flüchtlingsdeal mit der EU Neue Drohungen aus Ankara
Im Streit mit der EU setzt die Türkei offenbar auf Eskalation: Nach Präsident Erdogan drohte auch ein einflussreicher Berater damit, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen - und legte sogar noch nach. Die EU reagierte kühl: Man lasse sich nicht erpressen. Von A. Meyer-Feist.
Im Streit mit der EU setzt die Türkei offenbar auf Eskalation: Nach Präsident Erdogan drohte auch ein einflussreicher Berater damit, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen - und legte sogar noch nach. Die EU reagierte kühl: Man lasse sich nicht erpressen.
Drohungen aus der Türkei - aber in Brüssel macht man sich deswegen offiziell keine übermäßigen Sorgen. Elmar Brok, der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, sieht noch gute Chancen für das Visabkommen. Es soll türkischen Bürgern das Reisen in den Schengenraum erleichtern. Der Reisepass mit biometrischen Daten genügt.
"Natürlich müssen alle Seiten alles erfüllen, wenn es um die Bedingungen geht", betont der CDU-Politiker im Gespräch mit der ARD. Die Drohungen aus der türkischen Regierung kommentiert er so: "Die Gespräche, die gestern in Istanbul zwischen den führenden Leuten geführt wurden, sagen etwas anderes."
Es wird weiterverhandelt
Bis Oktober werde die EU verhandeln. Die Türkei sei nach wie vor dazu bereit. Bis dahin könne man auch zu einem Ergebnis kommen, das beide Seiten akzeptieren: "Wenn man jedoch auf jede Bemerkung regiert, die irgendwelche Berater zum Ausdruck bringen, hätte man viel zu tun. Man sollte kontinuierlich an diesem Projekt weiterarbeiten und sich nicht durch solche Bemerkungen irritieren lassen."
Allerdings hatte nicht nur der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan gedroht, die Abmachungen mit der EU zu brechen. Ohne Fortschritte im Streit um die Visafreiheit werde er das Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen nicht wie verabredet zum 1. Juni in Kraft setzen, so Erdogan.
Auch einer der einflussreichsten, aber umstrittensten Berater des Staatspräsidenten, Yigit Bulut, legte im türkischen Fernsehsender TRT nach: Sollte die EU ihr Versprechen zur Visafreiheit nicht halten, "könnte es sein, dass kein einziges Abkommen zwischen der Türkei und der EU bestehen bleibt, weder das Rücknahmeabkommen noch irgendein anderes Abkommen".
"Türkei hält Zusagen bislang ein"
EU-Politiker bemühen sich nach Kräften, diese Drohungen als irrelevant erscheinen zu lassen. Brok verweist auf die bisher von der Türkei verabredungsgemäß geleistete Arbeit für das gemeinsame Flüchtlingsabkommen: "Die Türkei hält ihre Zusagen in ihrem Bereich gegenwärtig ein. An der materiellen Unterstützung für die Flüchtlinge in der Türkei wird gearbeitet. Da sind wir unter anderem an der Finanzierung von Schulen und an der medizinischen Versorgung beteiligt", sagte Brok der ARD.
Trotzdem ist nicht überall Gelassenheit zu spüren. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber sagte am Rande einer EU-Parlamentssitzung in Brüssel: "Es wäre unklug, wenn wir uns jetzt von der Türkei erpressen lassen würden. Die EU hat Standards, die alle einhalten müssen, die ohne Visum einreisen wollen. Wenn Herr Erdogan das ignoriert, dann kann er nicht erwarten, dass wir ihm entgegenkommen." Europa dürfe seine gemeinsamen Werte nicht aufgeben.
Dürfen Türken bald ohne Visum nach Europa? Noch wird verhandelt.
Gleichzeitig fordert Ferber mehr Unabhängigkeit von der Türkei in der Flüchtlingspolitik: vor allem bei der Grenzsicherung und der Bekämpfung der Schlepper: "Wir müssen selbst dafür sorgen, dass unsere Systeme in der Lage sind, Grenzkontrollen an den EU-Außengrenzen effizient durchzuführen." Das sei die Hausaufgabe, die Europa zu erfüllen habe. "Diese Verantwortung kann auch nicht an Nachbarländer delegiert werden", so Ferber weiter.
Zankapfel Anti-Terrorgesetze
Das eigentliche Problem bleibt davon allerdings unberührt: Die Türkei will ihre umstrittenen Anti-Terrorgesetze nicht entschärfen. Das fordert aber die EU-Kommission als eine Bedingung für die Visafreiheit. Der Grund: Die Gesetze könnten im Kampf gegen die politische Opposition missbraucht werden. Die EU sieht beim Thema Visafreiheit wohl auch ein Druckmittel, um die Türkei indirekt zu mehr Bürgerrechten und demokratischen Freiheiten zu zwingen.
Allerdings gibt es im Auswärtigen Ausschuss des EU-Parlaments auch hier Bedenken: Die EU lasse ja auch Bürger aus nichtdemokatischen Staaten ohne Visum einreisen. Genannt werden Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Kein Rabatt für die Türkei
Ein Argument, dass der Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, der Italiener Gianni Pittella, nicht gelten lässt. Die Türkei sei schließlich seit vielen Jahren EU-Beitrittskandidat. Ihr könne ein EU-konformes Rechtsstaatsverständnis durchaus abverlangt werden: "Es geht um Pluralismus in den Medien, um Meinungsfreiheit, um Minderheitenschutz. Hier wird es keinen Rabatt der EU geben. Und die EU wird sich auch nicht von der Türkei erpressen lassen."
Brüssel jedenfalls will Ankara keine Zugeständnisse machen, wenn es um Demokratie und Bürgerrechte geht. Beiden Seiten stehen wohl noch sehr harte Verhandlungen bevor, bevor die ersten türkischen Bürger visafrei und ohne viel Bürokratie für drei Monate in die EU reisen dürfen.