EU-Flüchtlingsverteilung Empörung über Tusk-Papier
Seit zwei Jahren streiten die EU-Mitgliedstaaten über die Flüchtlingsumverteilung. Polen, Ungarn und Tschechien landeten sogar vor dem Europäischen Gerichtshof. Ratspräsident Tusk erklärte in einem Papier die bisherige Quotenregelung für gescheitert. Die EU-Kommission schäumt.
Der Streit über die Zukunft der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik hat sich kurz vor dem EU-Gipfel noch einmal zugespitzt. EU-Kommission und Europäisches Parlament kritisierten den polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk. Dieser hatte in einem für den Gipfel vorbereiteten Arbeitspapier die Umverteilung von Flüchtlingen über ein Quotensystem als "ineffektiv" und "höchst umstritten" bezeichnet.
"Die Frage verpflichtender Quoten hat sich als höchst spaltend erwiesen", erklärte er in dem Schreiben. Lösungen in der Migrationspolitik könnten nur die Einzelstaaten selbst finden, nicht aber die EU. Tusk spielte damit darauf an, dass sich sein Heimatland Polen sowie Tschechien und Ungarn bis heute weigern, einen EU-Beschluss zur Umverteilung und Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Jahr 2015 umzusetzen.
EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans widersprach Tusk.
"Anti-europäisch" und "unsolidarisch"
Vizekommissionspräsident Frans Timmermans widersprach Tusk in einer Debatte des Europaparlaments in Straßburg kategorisch. "Entweder wir finden eine europäische Lösung für die Herausforderung durch Migration, oder es wird keine Lösung geben", sagte er. Die 2015 beschlossene Politik der Umverteilung sei nicht wirkungslos, sagte Timmermans. "Jeder einzelne Mitgliedstaat muss seinen Teil beitragen."
Der Liberalen-Fraktionschef Guy Verhofstadt äußerte sich ähnlich: "Ich war total geschockt von Tusks Papier", sagte er. Tusk untergrabe europäische Politik. Der für Reformvorschläge in dem Bereich zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos bezeichnete das Arbeitspapier als "anti-europäisch" und "nicht hinnehmbar". Die Rolle von Tusk als EU-Ratspräsident sei es, die europäischen Prinzipien zu verteidigen, schimpfte Avramopoulos. Tusks Papier untergrabe aber das so wichtige Solidaritätsprinzip. "Europa kann ohne Solidarität nicht existieren", sagte Avramopoulos.
Auch die Bundesregierung wies die Kritik von Tusk an den bestehenden Flüchtlingsquoten zurück. Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, man teile die Auffassung Tusks nicht. "Wir finden, dass das eine gesamteuropäische Aufgabe ist", sagte ein hochrangiger Regierungsvertreter vor den Beratungen des EU-Gipfels zum Thema. Ein Mechanismus, "der solidarisch die Länder entlastet, die besonders viele Flüchtlinge aufnehmen", sei für Deutschland bei der Reform des EU-Asylsystems ein "essentieller Bestandteil", Solidarität ein "zentraler Baustein" der EU.
Gemeinsame Linie bis Mitte 2018?
Beim Gipfel sollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs morgen Abend besprechen, wie in der seit Jahren umstrittenen Migrationspolitik bis Mitte 2018 doch noch eine gemeinsame Linie gefunden werden könnte. Besonders geht es dabei um die Frage, wie künftig im Fall einer Flüchtlingskrise stärker betroffene Staaten entlastet werden können.
Die EU-Kommission und Länder wie Deutschland sind dafür, ein Konzept zu beschließen, das zumindest bei einem sehr starken Zustrom eine Umverteilung inklusive Aufnahmepflicht vorsieht. Polen, Ungarn und Tschechien lehnen allerdings jegliche Art von Zwang bei der Aufnahme von Flüchtlingen ab. Die EU-Kommission verklagte deswegen die drei Länder in der vergangenen Woche.
Die EU-Innenminister hatten im September 2015 per Mehrheit und gegen den Widerstand osteuropäischer Staaten die Umverteilung von 120.000 Asylbewerbern beschlossen. Sie sollten nach einem Quotensystem aus den stark belasteten Hauptankunftsländern Italien und Griechenland in die anderen Mitgliedstaaten gebracht werden. Verteilt wurden bisher aber lediglich gut 32.000 Menschen.