Steuerzahlungen in der EU Gefährliche Doppelrolle der Wirtschaftsprüfer
Eine bestimmte Gruppe von Wirtschaftsprüfern berät die EU-Kommission. Gleichzeitig unterstützt sie Konzerne in EU-Steuerfragen. Laut einer Studie spielen diese Unternehmen in Brüssel eine problematische Rolle.
Es ist Anfang Oktober 2017, als die Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager in Brüssel eine Millionenstrafe für Amazon verkündet. 250 Million Euro Steuern müsse die Firma an das Großherzogtum Luxemburg nachzahlen, sagte sie. Amazon habe zwischen 2006 und 2014 eine "durch nichts zu begründende Methode" benutzt, um ihr Gewinne zu verrechnen, so Vestager. Das habe dazu geführt, dass Dreiviertel ihrer gesamten Verkäufe in Europa nicht versteuert worden seien.
"Illegale Beihilfe" nennt Vestager das Steuermodell, das Luxemburg dem US-Konzern genehmigt hat. Entwickelt wurde es auch von der Beratungsfirma Pricewaterhouse Coopers (PwC).
EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager kritisiert "durch nichts zu begründende Methoden", mit denen Konzerne Gewinne verrechnen.
Studien zu "verschiedenen Steuer- und Zollfragen"
Doch dass die Wettbewerbskommissarin das unter anderem von PwC erdachte Modell abstrafte, ändert offenbar nichts daran, dass die Expertise der Beraterfirma beim Amtskollegen Pierre Moscovici, dem EU-Währungskommissar, gefragt blieb. Studien zu "verschiedenen Steuer- und Zollfragen" soll der Auftrag lauten, den die Brüsseler Behörde im Januar 2018 an PwC vergeben haben soll. Aufträge in Millionenhöhe für Steuergestalter? Das ist offenbar kein Einzelfall.
Laut einer neuen Studie der Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) sind Wirtschaftsprüfer wie PwC, KPMG, EY und Deloitte in einer Doppelrolle. Sie treten einerseits als Berater der EU-Kommission auf, andererseits sind sie aber Lobbyisten in eigener Sache. Das ist für die Autoren der Studie ein klarer Interessenskonflikt.
Allein im Jahr 2016 sollen demnach die vier großen Wirtschaftsprüfer Aufträge der EU-Kommission in Höhe von 105 Millionen Euro erhalten haben.
"Staatliches Steueraufkommen unterminiert"
Die Verfasser der Studie haben die Transparenzregister der EU-Kommission sowie Daten verschiedener EU-Institutionen und der Firmen ausgewertet. "Wenn diese Firmen so hart daran arbeiten, staatliches Steueraufkommen zu unterminieren, warum sollten wir dann überhaupt staatliche Aufträge an sie vergeben?", wird der britische Wirtschaftsprofessor und Aktivist Richard Murphy zitiert.
Die Autoren verwiesen auf die Lobbyisten der Prüfkonzerne in Brüssel. Laut der Studie seien diese immer wieder aktiv geworden - unter anderem beim Dossier zur "Öffentlichen länderbezogenen Berichterstattung". Es soll Finanzämtern durch Länderberichte ermöglichen, Unternehmen dort zu besteuern, wo der Gewinn tatsächlich erwirtschaftet wird - und nicht, wie im Fall von Nike und Apple, wo der Steuersatz am niedrigsten ist.
EU-Währungskommissar Pierre Moscovici. Studien zu "verschiedenen Steuer- und Zollfragen" soll der Auftrag lauten, den seine Behörde an PwC vergeben haben soll.
Veröffentlichungspflicht "unangemessen"
Doch gegen diese Initiative setzten sich EY und Deloitte laut Studie bereits ein, bevor EU-Währungskommissar Moscovici 2016 seinen Vorschlag vorlegte. EY sorgte sich um "wirtschaftlich sensible Informationen", und Deloitte bevorzugte einen "freiwilligen Ansatz", zitiert CEO aus Lobbypapieren und Protokollen von Treffen der Firmen mit der EU-Kommission.
Gegen einen Vorschlag der EU-Kommission aus dem vergangenen Jahr für mehr Transparenz von Beratungsleistungen von Steuerberatern und Bankern führte KPMG ins Feld, eine Veröffentlichungspflicht sei "unangemessen".
Für mehr Steuergerechtigkeit
Die Autoren der Studie kommen zu dem Schluss, dass die Einflusskanäle vielfältig und sehr tief greifend seien. "Trotzdem scheinen politische Entscheidungsträger blind gegenüber ihren Interessenskonflikten zu sein", schreibt CEO.
Die Autoren der Studie kritisieren, den öffentlichen Kassen würden durch Steuervermeidung multinationaler Konzerne jedes Jahr Milliarden Euro verloren gehen. Sie fordern, dass sich diejenigen, die aus kommerziellem Interesse Steuervermeidungsmodelle verkaufen, aus dem Kampf für mehr Steuergerechtigkeit der EU-Kommission zurückziehen sollten. Stattdessen sollten die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten in den Aufbau einer eigenen, unabhängigen Expertise investieren.
Die Firmen wollten sich auf Nachfrage nicht äußern. Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte auf Anfrage des WDR, die Aktivitäten der "Big Four" als Dienstleister ermöglichten ihnen keinen weiteren Zugang zu öffentlichen Beratungsprozessen als anderen Gruppen. "Eine Studie für uns zu schreiben, macht keine Firma zu unserem Berater."