Diebesbanden aus Georgien Mehr Kriminalität durch Visafreiheit?
Immer wieder gibt es Berichte über georgische Diebesbanden, die das Asylrecht missbrauchen. Was ist dran an den Vorwürfen, welche Ursachen gibt es und was hilft, um Probleme zu lösen?
Wenn Georgien in deutschen Medien auftaucht, dann häufig in Zusammenhang mit Kriminalität. Von einer "Bedrohung aus dem Osten" und "Klau-Banden" ist die Rede. Von "Stalins Rache" schrieb gar die "Zeit". Gemeint sind die "Diebe im Gesetz". Der Begriff stand einst für eine Subkultur der kriminellen Unterwelt in der Sowjetunion. Heute gilt er als Synonym für eurasische Mafiabanden, die straff organisiert ihr Unwesen in Europa treiben. Besonders perfide: Kriminelle würden als Asylbewerber nach Europa eingeschleust, so einer der Vorwürfe.
Das Thema nahm noch einmal an Fahrt auf, als Georgien Ende März 2017 Visaliberalisierung gewährt wurde. Befürchtet wurde, dass die Asylbewerberzahlen und auch die Kriminalität zunehmen würden. Bald wurden Forderungen laut, die Visaliberalisierung auszusetzen. Auch soll Georgien als "sicheres Herkunftsland" anerkannt werden, um die Bearbeitungszeiten zu verkürzen.
Die "Diebe im Gesetz" stehen heute synonym für Mafia-Banden aus dem post-sowjetischen Raum. Der Begriff umschreibt zugleich eine Subkultur der kriminellen Unterwelt. Er entstand, als Gefangene in streng abgeschirmten Straflagern der Sowjetunion ihre eigenen Regeln mit strengen Hierarchien und Ehrenkodex entwickelten - die "Gesetze der Diebe". Dazu zählen auch Gerechtigkeit und soziale Verantwortung unter den Dieben.
In Georgien erlangten die "Diebe im Gesetz" dem Sozialwissenschaftler Jan Koehler von der FU Berlin zufolge bereits in den 60er-Jahren großen Einfluss. In nachsowjetischen Zeiten habe sich eine Mafia neuen Typs durchgesetzt, wenngleich die "Gesetze der Diebe" für junge, unterprivilegierte Männer weiter zur Orientierung dienten, so auch in Georgien, das in den 90er-Jahren vor dem Scheitern stand.
(Jan Koehler: Die Zeit der Jungs, 2000, S. 27)
Vorübergehend mehr Asylbewerber
In der Tat verzeichnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seit Juni 2017 fast durchgehend eine steigende Tendenz bei der Anzahl der Asylbewerber aus Georgien. Der Höhepunkt wurde im Januar mit 745 Anträgen erreicht. Dabei muss man aber auch erwähnen: Die Gesamtzahl der Anträge im Jahr 2017 lag mit 3462 leicht unter jener im Jahr 2016, als es noch keine Visaliberalisierung gab. Auch nimmt seit Januar die Zahl der Anträge wieder ab: Im April waren es noch 350.
Doch zählt Georgien damit weiter zu den zehn Staaten mit den meisten Asylanträgen - und hat mit Abstand die geringste Schutzquote: Anträge aus Georgien werden nur zu 1,5 Prozent anerkannt.
Ein weiterer Aspekt trifft zu: Laut Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) kommen aus Georgien zwar weniger Zuwanderer als aus anderen Nationen nach Deutschland, es gibt aber vergleichsweise viele Tatverdächtige aus diesem Land. Sie fielen demnach vor allem mit Ladendiebstählen und Wohnungseinbrüchen auf. Jedoch habe sich die Lage leicht entspannt, heißt es in einem Anfang 2018 veröffentlichten Lagebild zu den ersten neun Monaten 2017.
Aus Georgien gesteuert?
Doch was könnte Georgier dazu bringen, Asylmissbrauch zu begehen? Deutsche Kriminalbeamte und Politiker sagen, Georgier würden bereits in ihrem Heimatland rekrutiert. Die georgische Regierung will dies jedoch nicht bestätigen. Innenminister Giorgi Gakharia erklärt in einem schriftlichen Interview mit tagesschau.de, dass seit Einführung der Visaliberalisierung kein solcher Fall ermittelt worden sei. Auch das BKA habe nichts dazu mitgeteilt.
Ein Vorgänger Gakharias verwies 2016 darauf, dass die "Diebe im Gesetz" in Georgien schon vor Jahren zerschlagen worden seien - dank strenger Gesetzgebung und harten Durchgreifens. Experten bestätigen dies. Doch das Problem wurde gewissermaßen exportiert: In anderen post-sowjetischen Staaten blieben die Bandenstrukturen erhalten, in Westeuropa wurden neue geschaffen, wie Gerichtsprozesse in Spanien und Deutschland belegen.
Asylantrag als scheinbarer Rettungsanker
Was sich in Georgien findet, sind Hinweise darauf, dass Menschen Jobs in Deutschland versprochen werden und ihnen bei der Organisation der Reise geholfen wird. Viele Georgier setzen das Wort "Asyl" mit Arbeit gleich. Auch ist die Vorstellung weit verbreitet, dass der Asylbewerberstatus zu medizinischer Behandlung auch chronischer Krankheiten und zu größeren Eingriffen berechtigt.
Das klingt für viele in Georgiern nach Rettung. Zwar ist das Land vergleichsweise demokratisch. Doch versäumten es alle Regierungen seit der Unabhängigkeit 1991, ein funktionierendes Sozialversicherungssystem zu etablieren. Die Gesellschaft funktioniert nach dem Prinzip "Jeder ist sich selbst der Nächste".
Laut Statistik gibt es viele Selbständige in Georgien. Oft sind es Straßenhändler, die um ihr tägliches Einkommen kämpfen.
Es gibt eine minimale Rente und eine Basis-Krankenversicherung. Arbeitgeber können für ihre Mitarbeiter private Krankenversicherungen abschließen, müssen aber keine Anteile zahlen. Offiziell gelten 57 Prozent der arbeitenden Bevölkerung als selbstständig. In der Realität handelt es sich aber zumeist um sich selbst versorgende Bauern oder um Kleinhändlerinnen und Taxifahrer, die jeden Tag ums finanzielle Überleben kämpfen. Für die Behandlung von Unfällen oder Krankheiten müssen sie sich hoch verschulden.
Nehmen Georgier in der Hoffnung auf Einkommen in Deutschland auch noch die Reisekosten auf sich, sind sie leicht als Kriminelle zu rekrutieren. Arbeiten dürfen Asylbewerber nicht und medizinische Versorgung gibt es nur für akute Krankheiten. Das georgische Onlineportal Netgazeti recherchierte den Fall einer georgischen Familie in einem Asylbewerberheim in Nordrhein-Westfalen. Die Familie hatte darauf gehofft, mit Arbeit die Behandlung ihres Kindes bezahlen zu können.
Aufklärungskampagnen in Georgien
Damit Landsleute nicht mit falschen Hoffnungen oder absichtlich Asylmissbrauch in Europa begehen, versucht die Regierung in Tiflis die Menschen nun schon mit einer zweiten Informationskampagne aufzuklären.
Innenminister Gakharia verweist auf eine Reihe weiterer Maßnahmen, darunter Vereinbarungen zur gemeinsamen Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, die mit der Bundesregierung und sechs Bundesländern abgeschlossen wurden.
Als "ausgezeichnet" beschreibt das BKA die Zusammenarbeit mit den georgischen Behörden auf Nachfrage von tagesschau.de. Dies werde noch untermauert durch einen georgischen Polizeiattaché in Berlin und einen BKA-Verbindungsbeamten in Georgien.
Anerkennung als "sicheres Herkunftsland" gewollt
Innenminister Gakharia hofft nun auf baldige Anerkennung Georgiens als "sicheres Herkunftsland", die die Regierung in Tiflis seit Jahren fordert. Sechs Staaten gewährten bereits diesen Status: Österreich, die Niederlande, Belgien, Frankreich, Luxemburg, Island und Bulgarien.
Die niederländischen Behörden verringerten danach den Bearbeitungszeitraum für Asylentscheidungen auf drei Monate. Als Ziel sind zehn Tage anvisiert. In Deutschland betrug 2017 die durchschnittliche Verfahrensdauer für in dem Jahr gestellte und entschiedene Anträge zwei Monate, wie das BAMF auf Nachfrage mitteilte.
Auch die Abschiebung von Georgiern ohne Aufenthaltserlaubnis erfolgt Minister Gakharia zufolge zügig. Seine Regierung erfülle die Verpflichtungen aus dem Rückübernahmeabkommen mit der EU. So hatten deutsche Behörden im vergangenen Jahr 1181 Ersuche auf Rückübernahme von Georgiern ohne Aufenthaltsberechtigung gestellt. Nur 14 davon habe Georgien abgelehnt, so Gakharia. In diesem Jahr seien bislang 864 Ersuche aus Deutschland eingegangen und 851 von georgischer Seite akzeptiert worden. Seit Jahren schon werden regelmäßig Georgier in ihre Heimat ausgeflogen. Doch wird kaum darüber berichtet
Andere Maßnahmen finden ebenfalls kaum Erwähnung, wenn deutsche Politiker wie Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp eine Aussetzung der Visaliberalisierung für Georgien fordern. Für ungerecht und wenig hilfreich wird dies in Georgien gehalten: Bestraft würde ein ganzes Volk für die Taten einiger weniger, sagte zum Beispiel der ehemalige Parlamentspräsident David Usupaschwili. Auch gebe es in Deutschland Aufgaben zur Bekämpfung der Kriminalität zu erledigen.
Dies gilt zum Beispiel für Ladendiebstähle: Nach Berechnungen des Handelsforschungsinstituts EHI bleiben jährlich etwa 26 Millionen Ladendiebstähle mit einem Warenwert von je 83 Euro unentdeckt und damit ungesühnt - geradezu ein Paradies für Diebe.