Politik und Medien Regierungsparteien als Faktenchecker
Während der Debatte zwischen Johnson und Corbyn haben sich die britischen Konservativen auf Twitter als Faktenchecker ausgegeben. Kritiker sprechen von Irreführung. Allerdings ist das Vorgehen kein Einzelfall.
Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder
Bei der ersten Fernsehdebatte vor der britischen Parlamentswahl haben Premierminister Boris Johnson und Oppositionsführer Jeremy Corbyn eine bessere politische Diskussionskultur versprochen. Doch gleichzeitig führte die konservative Partei von Johnson die digitale Öffentlichkeit in die Irre. Das Pressekonto des Hauptquartiers der Konservativen Kampagne, gefolgt von fast 76.000 Nutzern, änderte seinen Namen während der Debatte von seiner üblichen "CCHQPress" in "factcheckUK". Auch das Avatar wurde verändert - auf ein weißes Häkchen vor einem lila Hintergrund.
Maskerade auf Twitter: Die Konservativen gaben sich als Faktenchecker aus.
Twitter teilte dazu mit, die Partei des Premierministers habe die Öffentlichkeit getäuscht, indem sie den Namen eines ihrer Konten änderte, um es wie einen unabhängigen Fact-Check-Service während der Wahldebatte aussehen zu lassen. Das umbenannte Konto twitterte Grafiken, die Aussagen von Johnson als "True" unterstützten, und kritisierte andere von Corbyn.
Twitter droht mit Konsequenzen
Eine Twitter-Sprecherin drohte Konsequenzen an: "Wir haben globale Regeln, die Verhaltensweisen verbieten, die Menschen irreführen können, auch solche mit verifizierten Konten. Jeder weitere Versuch, Menschen durch die Bearbeitung verifizierter Profilinformationen irrezuführen - wie es während der britischen Wahldebatte der Fall war - wird zu entscheidenden Korrekturmaßnahmen führen."
Full Fact, eine echte Fact-Checking-Organisation, kritisierte das Vorgehen der Konservativen ebenfalls: "Es ist unangemessen und irreführend für die konservative Pressestelle, ihren Twitter-Account während dieser Debatte in factcheckUK umzubenennen." Die Labour-Partei sprach von "Betrug".
Der Vorsitzende der Konservativen Partei, James Cleverly, verteidigte das Vorgehen hingegen: Man habe klargestellt, dass es sich um eine Website der Konservativen Partei handele. Die Kontenbeschreibung während der Debatte lautete "Fact Checking Labour from CCHQ". Nach Abschluss der Debatte kehrte das Konto zu seinem regulären Branding der Konservativen Partei zurück.
Verschiedene andere Twitter-Konten benannten sich als Reaktion ebenfalls in FactcheckUK um, offenbar sollte damit die Strategie der Konservativen parodiert oder gestört werden.
"Illustrer Kreis von Regierungsparteien"
Das journalistische Projekt First Draft News kommentierte, die britischen Konservativen hätten sich mit ihrem Vorgehen einem "illustren" Kreis von Regierungsparteien angeschlossen, die sich als unabhängige Faktenchecker ausgeben. So habe Mexikos Präsident seine eigene Faktenchecker-Einheit ins Leben gerufen, die namentlich an ein unabhängiges journalistisches Angebot erinnert.
In Tschechien startete der populistische Ministerpräsident Andrej Babis ein entsprechendes Projekt, auch dieses orientierte sich namentlich an einem bekannten Faktenchecker-Angebot. Ähnliches sei in Indien und der Türkei geschehen. In Russland forderte Präsident Wladimir Putin jüngst, eine Alternative zu der freien Enzyklopädie Wikipedia aufzubauen. Die Regierung wolle dafür bis 2022 umgerechnet 24 Millionen Euro bereitstellen.
Auch Donald Trump versucht die Kontrollfunktion durch unabhängige Medien zu umgehen. So rief er Ende 2017 den "Real News Channel" ins Leben, auf dem seine Schwiegertochter die "wahren" Nachrichten präsentiert. Allerdings ist für Nutzer zu erkennen, dass dieser Kanal von Trump kommt.
In Deutschland stellte die AfD am Montag eine vermeintliche Studie vor, die "Fakten statt Fake News" liefern sollte. Tatsächlich ist die Präsentation aber fehlerhaft und kann die Kriterien für eine seriöse Untersuchung nicht erfüllen.
"Die Medien lassen ihn davonkommen"
In Großbritannien soll der aktuelle Wahlkampf durch unbelegte Behauptungen, Fake-Konten und fragwürdige Anzeigen auf Facebook beeinflusst werden. Schon vor dem Brexit-Referendum hatte es ähnliche Kampagnen und Vorfälle gegeben.
Der "Guardian" kommentierte im Hinblick auf falsche Aussagen von Premierminister Johnson, das Problem seien nicht nur die Lügen, sondern, dass die Medien ihn damit davon kommen ließen. Es sei die Aufgabe von Journalismus, falsche Aussagen zu widerlegen und Lügen zu thematisieren. In einer gut funktionierenden Demokratie sollten Lügner bloßgestellt und zur Rechenschaft gezogen werden. Aber genau das passiere nicht.