Prognosen zum Familiennachzug 100.000 oder doch sieben Millionen?
Wie viele Menschen könnten durch den Familiennachzug nach Deutschland kommen? Aktuelle Prognosen gehen von 100.000 bis 200.000 Menschen aus. Zuvor hatten sich Politiker gegenseitig überboten. Die CSU sprach sogar von sieben Millionen Flüchtlingen.
Der Familiennachzug von Flüchtlingen ist seit Monaten ein heftig diskutiertes Thema. Im Wahlkampf verbreitete die AfD in sozialen Medien immer wieder Zahlen von Flüchtlingen, die mutmaßlich nach Deutschland kämen, sollte die Sperre für den Familiennachzug enden.
So teilten AfD-Politiker bei Facebook und Twitter ein Bild mit folgender Behauptung: "Familiennachzug - Weitere 2 Millionen Migranten ab 2018". Auch der Parteivorsitzende Jörg Meuthen verbreitete diesen Eintrag.
2018 werde nach allen Berechnungen "das schwärzeste Jahr in der deutschen Asylkrise", beklagte AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel. Und der AfD-Bundestagskandidat Daniel Freiherr von Lützow aus Brandenburg schrieb zu dem Thema: "390.000 Syrer dürfen Ihre Familien nachholen! Wenn Mann nur 3 Familienmitglieder rechnet, sind das 1.170.000 neue Hartz IV Empfänger. Der Wahnsinn der Regierung geht weiter!"
In ihren Beiträgen bezogen sich die AfD-Politiker auf die Zahl von 390.000 Syrern, die ein Anrecht auf Familiennachzug haben sollen. Die AfD nahm bei zwei Millionen "Migranten" an, dass pro berechtigten Syrer fünf Familienmitglieder nachgeholt würden. Als Quelle verweisen die AfD-Politiker auf einen Artikel der "Bild"-Zeitung.
BAMF konnte Zahlen nicht bestätigen
In dem betreffenden Artikel berief sich die "Bild" auf Regierungsinformationen. Auf Nachfrage des ARD-faktenfinders konnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die in der "Bild" genannten Zahlen jedoch nicht bestätigen.
Der Nachzug von engen Verwandten ist von der Bundesregierung für Familien von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz ausgesetzt worden - für zwei Jahre bis März 2018. Möglicherweise wird diese Sperre verlängert, darüber wird derzeit gestritten. Die CSU fordert dies bereits. Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach sich dafür aus.
Pro Flüchtling eine weitere Person?
De Maizière bestätigte allerdings nicht die von der "Bild" genannten Zahl von 390.000 Syrern mit Recht auf Familiennachzug, sprach aber von einer "gewaltigen Zahl". Anders als die AfD und ihr Szenario von bis zu zwei Millionen Menschen ab 2018, ging de Maizière von anderen Prognosen aus: "Wir schätzen auf jeden Flüchtling einen, der über Familiennachzug kommen wird."
Ging von einer "gewaltigen Zahl" aus: Innenminister de Maizière.
Beim Treffen der Innen- und Justizminister der Union in Berlin am 1. September wies der Innenminister jedoch darauf hin, dass die Meinungen zu den Statistiken geteilt seien und dass man abwarten müsse, bis die Anträge gestellt seien. Man wisse nicht genau, wie viele berechtigt seien, so der Bundesinnenminister, daher seien Rückschlüsse auf die entsprechende Gesamtzahl im Moment nicht möglich.
Das Auswärtige Amt hatte im September auf Anfrage des ARD-faktenfinders mitgeteilt, dass zu den Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak etwa 200.000 bis 300.000 Familienangehörige nachziehen könnten. Mittlerweile korrigierte das Amt diese Zahl weiter nach unten: Man rechne nun mit schätzungsweise etwa 100.000 bis 200.000 Familienangehörigen.
IAB geht von geringeren Werten aus
Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios kommt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nun auf deutlich geringere Werte. Das Institut rechnet damit, dass es 100.000 bis 120.000 Ehepartner und minderjährige Kinder gebe, die durch einen Familiennachzug nach Deutschland einreisen könnten.
Demnach kommen auf jeden Geflüchteten in Deutschland nicht drei, und auch nicht eine, sondern im Durchschnitt 0,28 nachzugsberechtigte Personen. Unter anderem erklärt das IAB die Zahlen mit der Alters- und Familienstruktur der Geflüchteten. Nur 46 Prozent der erwachsenen Geflüchteten sind verheiratet und nur 43 Prozent haben Kinder, heißt es in der Studie zum Familiennachzug.
Innenministerium: Keine belegbaren Zahlen
Das Bundesinnenministerium teilte mittlerweile mit, nachhaltig belegbare Zahlen zum Familiennachzug gebe es nicht. Nachzugsfaktoren könnten auch nicht mit der Zahl der erteilten Visa begründet werden, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftlichen Anfrage der Grünen-Abgeordneten Franziska Brantner.
Die Prognosen variieren also stark: Das IAB geht laut aktueller Prognose, die auf Daten zur Alters- und Familienstruktur basiert, von 100.000 bis 120.000 Menschen aus; de Maiziere sprach von einer "gewaltigen Zahl" - und die AfD von zwei Millionen.
"Bis zu 7,36 Millionen"
Im Jahr 2015 lagen die Schätzungen sogar noch weit höher. So hatte die "Bild" gemeldet, dass aus geschätzt 920.000 Asylbewerbern "durch Familiennachzug bis zu 7,36 Millionen Asylberechtigte werden" könnten. Und die CSU-Politikerin Ilse Aigner spekulierte im "Münchner Merkur", man spreche von bis zu sieben Millionen Menschen. Diese Zahl übersteige "alle Vorstellungen", sagte Aigner. Was sie nicht erwähnte: Diese Zahl übersteigt auch sämtliche seriöse Prognosen um ein Vielfaches.