Statistik zur häuslichen Gewalt Undurchsichtige Zahlen des BKA
Einmal im Jahr veröffentlicht das BKA Statistiken zur häuslichen Gewalt in Deutschland. Doch bei den Daten fehlen einige wichtige Angaben. Auch deshalb wurde zuletzt teils falsch darüber berichtet.
Am vergangenen Freitag überschrieb tagesschau.de eine Meldung mit der Schlagzeile: "Jeden Tag stirbt eine Frau". Hintergrund war die Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) zur häuslichen Gewalt 2016 vom 24. November, die jährlich anlässlich des "Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen und Mädchen" veröffentlicht wird.
Doch die Schlagzeile erwies sich als falsch. Die Zahl war zu hoch: Statt 357 sind 2016 "nur" 149 Frauen von ihren Partnern ermordet oder totgeschlagen worden - in gut der Hälfte der 357 Fälle blieb es dagegen beim Versuch. Dies schrieb das BKA zunächst auf Twitter an einen Journalisten.
Später informierte die Pressestelle des BKA die Redaktion von tagesschau.de dann telefonisch. Die Redaktion änderte daraufhin Überschrift und Text und verfasste folgende Korrektur:
Hinweis der Redaktion: In einer früherer Version dieser Meldung war eine falsche Zahl von 357 Todesopfern genannt worden. Grund war, dass in einer Agenturmeldung und in Tabellen des BKA nicht zwischen versuchten und vollendeten Fällen bei Mord und Totschlag unterschieden worden war. Tatsächlich handelte es sich um insgesamt 357 Fälle - 208 davon waren versuchter Mord bzw. Totschlag, 149 vollendet. Wir haben den Fehler nach einem Hinweis des BKA korrigiert und bitten um Entschuldigung.
Die angesprochene Agenturmeldung stammt vom Evangelischen Pressedienst (EPD), der die falsche Zahl der Getöteten in einer Meldung am Freitag verbreitet hatte. Die Agentur korrigierte sich nach Anfrage des ARD-faktenfinders am Montag mit einer gesonderten Meldung.
Selektive Korrektur
Da das BKA am Freitag zunächst aber nur eine Zahl korrigierte, blieb die Zahl der tatsächlich getöteten Männer zunächst unerwähnt. Auch hier hatte tagesschau.de zunächst die falsche Zahl 84 vermeldet, die aber wiederum auch die Versuche beinhaltet. Die tatsächliche Zahl männlicher Todesopfer beträgt demgegenüber "nur" 15, hier blieb es also sogar in rund vier von fünf Fällen beim Versuch.
Ein Unterschied zwischen Leben und Tod
Doch wie kam es zu den Falschmeldungen? Daran trägt das BKA eine gewisse Mitschuld. Zwar wird in der Publikation "Kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt: Berichtsjahr 2016" in den einleitenden Kapiteln darauf verwiesen, dass die veröffentlichten Fallzahlen versuchte und vollendete Taten zusammen enthalten, eine Ausweisung der vollendeten Taten erfolgt in der Statistik aber nicht.
Das ist bemerkenswert, da es auch strafrechtlich einen bedeutenden Unterschied macht, ob eine Tat vollendet wurde - oder ob es nur bei einem Versuch blieb. Letzterer ist überhaupt nur bei Verbrechen grundsätzlich strafbar, also bei Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Gefängnis bedroht sind. Bei "Vergehen" wie zum Beispiel einfacher Körperverletzung ist der Versuch dagegen nur dann strafbar, wenn es das Gesetz ausdrücklich bestimmt.
Zwischen 0 und 357 Todesopfer
Der Unterschied zwischen Versuch und Vollendung ist aber nicht nur strafrechtlich entscheidend. Insbesondere bei Straftaten gegen das Leben ist der Ausgang der Tat hochrelevant: Nur so wird beantwortet, ob das Opfer noch lebt oder eben nicht. Überraschend ist, dass der Unterschied zwischen Versuch und Vollendung offenbar bislang keine Rolle spielte, obwohl diese Zahlen bereits seit Jahren publiziert werden - und es den Journalisten so unmöglich ist, die Statistik sinnvoll zu lesen und widerzugeben. Die entsprechenden Angaben in dieser Aufschlüsselung finden sich auch nicht in der allgemeinen Polizeilichen Kriminalstatistik.
Bei versuchten und vollendeten Tötungsdelikten könnte der Unterschied der tatsächlichen Todesopfer folglich irgendwo zwischen 0 und 357 liegen. Wieso diese Zahlen nicht getrennt publiziert werden, konnte das BKA auf Nachfrage des ARD-faktenfinders nicht beantworten. Man überlege aber, die Zahlen zukünftig getrennt auszuweisen, so eine Sprecherin. Aufgrund der Nachfrage stellte das BKA folgende Zahlen zu vollendeten Taten zur Verfügung.
Delikte | Opfer insgesamt | männlich | weiblich | |
---|---|---|---|---|
a) Mord u. Totschlag | versucht | 278 | 70 | 208 |
vollendet | 163 | 14 | 149 | |
insgesamt | 441 | 84 | 357 | |
b) gefährliche Körperverletzung | versucht | 2.143 | 856 | 1.287 |
vollendet | 14.585 | 3.990 | 10.595 | |
insgesamt | 16.728 | 4.846 | 11.882 | |
c) schwere Körperverletzung | versucht | 12 | 4 | 8 |
vollendet | 57 | 11 | 46 | |
insgesamt | 69 | 15 | 54 | |
d) KV mit Todesfolge | vollendet | 8 | 2 | 6 |
insgesamt | 8 | 2 | 6 | |
e) vorsätzliche einfache KV | versucht | 2.085 | 520 | 1.565 |
vollendet | 83.979 | 15.814 | 68.165 | |
insgesamt | 86.064 | 16.334 | 69.730 | |
f) Vergewaltigung, sex. Nötigung | versucht | 304 | 4 | 300 |
vollendet | 2.263 | 32 | 2.231 | |
insgesamt | 2.567 | 36 | 2.531 | |
g) Bedrohung | vollendet | 18.678 | 1.925 | 16.753 |
insgesamt | 18.678 | 1.925 | 16.753 | |
h) Stalking | vollendet | 8.525 | 882 | 7.643 |
insgesamt | 8.525 | 882 | 7.643 |
Versuche spielen insgesamt keine entscheidende Rolle
Deutlich wird, dass die Versuche in den meisten Deliktsbereichen nicht die signifikante Rolle spielen, die sie bei Tötungsdelikten einnehmen: Bei gefährlicher Körperverletzung beispielsweise machten die Versuche lediglich 12,8 Prozent aller Taten aus, bei einfacher Köperverletzung sogar nur 2,4 Prozent. Bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung bleibt es "nur" in 11,8 Prozent der Fälle beim Versuch. Das heißt umgekehrt, dass ein weit überwiegender Teil der Gewalttaten, die sich vornehmlich gegen Frauen und Mädchen richtet, auch vollendet werden. Die Tatverdächtigen sind zu 80,6 Prozent männlich, die Opfer zu 81,9 Prozent Frauen.