An einen Eisberg bricht ein Eisblock ins Wasser.
Kontext

Klimawandel Desinformation gefährdet Klimaziele

Stand: 22.11.2024 05:43 Uhr

Politik und Wissenschaft sehen in Klima-Desinformation eine zunehmende Gefahr. Vor allem die sozialen Netzwerke stehen dabei in der Kritik, zu wenig gegen Falschbehauptungen zu unternehmen.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder und Janina Schreiber, SWR

"Wir müssen die koordinierten Desinformationskampagnen bekämpfen, die den weltweiten Fortschritt beim Klimawandel behindern und von offener Leugnung über Greenwashing bis hin zur Belästigung von Klimawissenschaftlern reichen", sagte UN-Generalsekretär António Guterres vor wenigen Tagen anlässlich des Starts einer globalen Initiative für Informationsintegrität zum Klimawandel.

Ziel der Initiative, die von Brasilien, der UN und UNESCO ins Leben gerufen wurde: Desinformation zum Klimawandel zu bekämpfen. Bislang haben Chile, Dänemark, Frankreich, Marokko, das Vereinigte Königreich und Schweden ihre Teilnahme an der neuen Initiative bestätigt.

Dass Desinformation eine Gefahr für das Erreichen der Klimaziele darstellt, sehen auch viele Klimaforscher so. So hat unter anderem der Weltklimarat (IPCC) in seinem Bericht geschrieben, dass die "korrekte Vermittlung der Klimawissenschaft durch die Gegenbewegungen zum Klimawandel sowohl in den alten als auch in den neuen/sozialen Medien durch Fehlinformationen erheblich untergraben" wurde.

Soziale Netzwerke in der Kritik

Bei der Verbreitung von Klimadesinformation im Netz spielen laut einer Untersuchung der Koalition Climate Action Against Disinformation (CAAD), einem weltweiten Zusammenschluss von mehr als 50 Klima- und Desinformationsorganisationen, vor allem drei Faktoren eine Rolle. So würden die sozialen Netzwerke weiterhin zulassen, dass auf ihren Plattformen weiterhin entlarvte Falschbehauptungen vor allem über erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge verbreitet werden. So heißt es zum Beispiel immer wieder, Windkraftanlagen würden für eine Dürre sorgen - was falsch ist.

Ein weiterer Punkt, den die Koalition CAAD herausgearbeitet hat in ihrer Analyse, ist das Ausnutzen von Wetterextremen, um Widerstand gegen die Klimapolitik zu schüren. Dabei gehe es vor allem darum, extreme Wetterereignisse von ihren ökologischen Ursachen zu entkoppeln. Das führte der Untersuchung zufolge auch zu Gewaltandrohungen gegen Rettungskräfte. So kam es beispielsweise nach dem Hurrikan "Helene" in den USA zu massiven Gewaltandrohungen gegen die Verantwortlichen der Katastrophenschutzbehörde FEMA, nachdem unter anderem Donald Trump und Elon Musk Falschbehauptungen verbreitet hatten.

Greenwashing von Unternehmen und Ländern

Als dritten Faktor nennt die Untersuchung der CAAD Werbung für fossile Brennstoffe, die in den sozialen Netzwerken geschaltet wird. Allein auf Meta haben demnach im vergangenen Jahr acht Werbetreibende für fossile Brennstoffe mindestens 17,6 Millionen Dollar (etwa 16,7 Millionen Euro) für digitale Werbung ausgegeben, um ihr Image zu waschen.

"Die von uns analysierten Anzeigen betreiben Greenwashing, indem sie auf fossile Brennstoffe ausgerichtete Ansätze fördern, fossile Brennstoffe als wesentliche Bestandteile der notwendigen Energiewende darstellen und Lobbyarbeit für Änderungen der Politik auf Bundes- oder Staatsebene in den USA betreiben", heißt es in der Analyse.

Auch der diesjährige Gastgeber der Weltklimakonferenz, Aserbaidschan, steht in der Kritik, die sozialen Netzwerke für eine Desinformationskampagne genutzt zu haben, um das eigene Image aufzupolieren. Einer Untersuchung des Faktencheck-Teams der Deutschen Welle zufolge haben mehrere X-Accounts den Eindruck erweckt, das Land Aserbaidschan sei ein Pionier in Sachen grüner Energie. Sie alle weisen identische Merkmale auf. Die Nichtregierungsorganisation Global Witness kommt in einer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis.

Verzögerung von Klimaschutzmaßnahmen

Ganz leugnen auch die meisten Desinformationsakteure den Klimawandel nicht mehr, sagen Experten wie Toralf Staud, Fachjournalist beim Wissensportal klimafakten.de. Deutlich häufiger sei zum Beispiel die versuchte Verzögerung des Klimaschutzes, sagt Staud.

Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) hat in einer Studie die Argumentationsmuster von Maßnahmen-Gegnern in vier Hauptkategorien unterteilt: "Da werden zum Beispiel Verantwortung umgelenkt, unzureichende Maßnahmen propagiert, negative Nebenfolgen betont oder behauptet, es nütze doch sowieso alles nichts mehr." Staud fasst diese Kategorien zusammen mit dem Slogan: "Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so. Zu spät."

Verantwortung wird auf andere Länder abgewälzt

Die Weitergabe der Verantwortung am Klimawandel ist ein sehr häufig zu sehendes Narrativ. "Es wird zum Beispiel auf andere Länder mit höheren CO2-Emissionen gezeigt und gesagt, dass erst einmal diese Staaten etwas machen sollten", sagt Staud. Dieses Argumentationsmuster zeigt sich beispielsweise in der immer wiederkehrenden Behauptung, dass Deutschland weltweit betrachtet nur für einen geringen Anteil der CO2-Emissionen verantwortlich sei und daher weitere Klimaschutzmaßnahmen quasi sinnlos seien. Dies gilt jedoch für fast alle der knapp 200 Länder auf der Welt.

"Wenn alle Staaten so argumentieren würden, würde sich also gar nichts verändern," sagt Staud. Hinzu kommt, dass Deutschland laut Global Carbon Atlas pro Kopf deutlich mehr CO2 ausstößt als der weltweite Durchschnitt. Außerdem: Mit der Industrialisierung ab 1850 hat die Menschheit begonnen, im großen Stil fossile Energien zu verbrennen und damit die Klimakrise anzuheizen. Wenn es also darum geht, wer für die Klimakrise verantwortlich ist, gilt der ganze Zeitraum, seit Beginn der Industrialisierung. Bis in die späten 1990er-Jahre waren es vor allem die USA und Europa, die den größten Teil der Klimagase in die Atmosphäre gepustet haben.

Warten auf Technologien nicht sinnvoll

Das Warten auf neue Technologien ist ein weiteres gern angeführtes Argument. Die aktuellen Möglichkeiten an Klimaschutzmaßnahmen werden beispielsweise als nicht gut genug deklariert und es wird für eine Beibehaltung des Status Quo plädiert, bis vermeintlich bessere Technologien verfügbar seien. Allerdings müssen die Emissionen Klimaforschern zufolge sofort drastisch gesenkt werden, um die härtesten Folgen des Klimawandels noch zu vermeiden, und nicht erst in einigen Jahrzehnten.

Auch auf Technologien wie dem Speichern von CO2 aus der Luft mit sogenannten CCS-Anlagen wird gerne verwiesen. Allerdings waren es weltweit bis Ende 2023 gerade mal 0,045 Gigatonnen, die so gespeichert wurden. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 hat die Menschheit 40,9 Gigatonnen CO2 verursacht, wie das Global Carbon Budget angibt - ein Großteil davon aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe.

Die Technologie gilt zudem als ziemlich aufwändig und teuer. Zwar seien die einzelnen Prozesse, also die CO2-Abscheidung, der Transport und das Speichern im Untergrund, möglich, bilanziert die deutsche Wissenschaftsakademie Leopoldina. Allerdings gehe die Entwicklung und Markteinführung sehr viel langsamer als man das noch vor gut einem Jahrzehnt erwartet hätte. CCS wird also eine Ergänzung sein, aber in keinem Fall kann es Treibhausgasminderung und den Schutz naturbasierter Lösungen ersetzen.

Ärmere Menschen besonders von Klimawandel betroffen

Indem auf nachteilige Folgen für arme Menschen hingewiesen wird, soll zudem auf vermeintliche Schäden von Klimaschutzmaßnahmen hingewiesen werden. "Dieses Argument kommt oft ausgerechnet von Leuten, die sich sonst nicht sehr für soziale Gerechtigkeit einsetzen", sagt Staud. "Zudem hilft es armen Menschen viel weniger, wenn keine Klimapolitik gemacht wird - denn sie werden am stärksten unter den Folgen eines ungebremsten Klimawandels leiden."

Das gilt zum einen global gesehen: Denn bislang sind laut Weltklimarat (IPCC) vor allem Menschen aus armen Ländern von den Folgen des Klimawandels betroffen. Doch auch in Deutschland spielt die finanzielle Situation eine wichtige Rolle. Denn arme Menschen leben unter anderem öfter in ungenügend isolierten Wohnungen in dicht bebauten Stadtvierteln, Hitzewellen treffen sie besonders hart.

Das vierte übergeordnete Argumentationsmuster ist laut MCC die Kapitulation. Demzufolge sei es ohnehin zu spät, den Klimawandel noch aufzuhalten, und man könne es daher auch bleiben lassen, weitere Klimaschutzmaßnahmen zu implementieren. Das sei jedoch vollkommen falsch, sagt Staud. Jedes Zehntelgrad vermiedene Erhitzung sei wichtig. Wenn das 1,5-Grad-Limit gerissen wird, seien etwa zwei Grad immer noch besser als 2,1 Grad. Jedenfalls sei es niemals zu spät, Emissionen zu senken.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 14. April 2023 um 19:30 Uhr in der Sendung "Zeitfragen".