Gerüchte über Weihnachtsmärkte Alle Jahre wieder
Es ist schon fast eine Tradition: Seit einigen Jahren kursieren Geschichten, wonach es in Mitteleuropa bald keine Weihnachtsmärkte mehr gebe. Aktuell sorgt ein Gerücht aus Wien im Netz für Empörung.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
"Europa, du hast fertig!" - so fasst ein anonymer Blogger seinen Beitrag über das vermeintliche Verschwinden von Weihnachtsmärkten zusammen. Darin behauptet er: "In Europa gab es Weihnachtsmärkte, viele Städte machten daraus Wintermärkte um die einfallenden Horden von Invasoren nicht mit der abendländischen Unkultur zu belästigen." [Fehler im Original]
Als Beleg für diese Behauptung bemüht der Blogger einen Fall aus Wien: Auf Fotos sind Verkaufszelte zu sehen, so wie man sie von Märkten kennt. Dazu schreibt er: "Keinerlei Weihnachtsbeleuchtung, kein Tannengrün, aber dafür orientalisch anmutende Zelte."
Warum es sich um "orientalisch anmutende Zelte" handeln soll, bleibt unklar. Doch tatsächlich ist auf den Bildern keinerlei Weihnachtsschmuck zu erkennen. Also ein Beweis für "die Vernichtung der Jahresendkultur", so wie es in dem erwähnten Blog heißt?
Nein. Und das hat einen einfachen Grund. Der Beitrag wurde am 10. November veröffentlicht: Weihnachts- und Christkindlmärkte werden zu dieser Zeit erst aufgebaut - und dabei werden nicht als erstes Zweige und Schmuck aufgehängt. Auf einem Foto des Bloggers ist sogar ein Gabelstapler zu sehen, der gerade Material für Stände liefert. Ein Kollege der österreichischen Zeitung "Der Standard" rief zudem bei der zuständigen Behörde an; deren Auskunft: Der "Meidlinger Christkindlmarkt" - so der offizielle Name - wird am 28. November eröffnet.
Eigentlich ein leicht zu erkennender Fake - dennoch teilten mehr als 1000 Facebook-Nutzer diesen Beitrag. In Kommentaren forderten einige einen Boykott: "Jeder Deutsche, der noch etwas auf sich hält, meidet diesen Basar!"
Der Ursprung der Legenden
Geschichten, wonach die Weihnachtsmärkte aus Mitteleuropa verbannt würden, sorgen bereits seit Jahren für Aufsehen. Seit 2013 suggerierten verschiedene große Zeitungen, in Berlin-Kreuzberg seien Weihnachtsmärkte, aber auch Ramadanfeste, vom Bezirk verboten worden. So war es unter anderem in der "Bild am Sonntag" zu lesen. Das BildBlog ging der Sache nach. Ergebnis: Die gesamte Geschichte basierte auf einem Satz.
In einem Sitzungsprotokoll des Kreuzberger Bezirksparlaments heißt es dazu: "Das Bezirksamt verständigt sich darauf, dass grundsätzlich keine Genehmigungen für Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum erteilt werden.
Dieser Satz existiere zwar, doch stehe er nicht im Protokoll des Bezirksparlaments, sondern in dem des Bezirksamts. Sascha Langenbach, Sprecher des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg, sagte dem BildBlog, die von der "BamS" zitierte Entscheidung stamme aus dem Jahr 2007 und beziehe sich auf Veranstaltungen, bei denen es um religiöse Selbstdarstellung im öffentlichen Raum gehe. Weihnachtsmärkte seien davon nicht betroffen:
Das Abendland bleibt weiter bestehen, genauso wie die Weihnachtsmärkte in Friedrichshain-Kreuzberg - in diesem Jahr und auch in den nächsten Jahren. Wie die Märkte sich nennen, ist uns total egal.
Die Mär vom München Airport Center
Über einen Markt am Flughafen München kursieren seit 2014 Gerüchte, wonach aus einem Christkindl- ein Wintermarkt gemacht worden sei. Die rechtsextreme Seite "Anonymous News" wertete diese Geschichte als Beweis für eine "Diskriminierung von Deutschen im eigenen Land". Doch auch hier gibt es eine einfache Erklärung für die Bezeichnung "Wintermarkt".
Die Flughafen München GmbH verwahrte sich auf Facebook "gegen die zum Teil offen fremdenfeindlichen und hetzerischen Beiträge". Der Markt im München Airport Center werde bereits seit 2006 unter dem Namen Wintermarkt veranstaltet. Der Grund für diese Benennung sei seinerzeit gewesen, dass die Öffnungszeiten verlängert wurden. So blieben die Stände in der Saison 2006/2007 erstmals bis zum 7. Januar offen - und damit zwei Wochen länger als die klassischen Weihnachtsmärkte.
Nicht weniger als 1500 Weihnachtsmärkte gibt es laut dem Deutschen Schaustellerverband (DSB) bundesweit. Der DSB-Vorsitzende Albert Ritter sagte im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder, zähle man auch die vielen kleinen Weihnachtsmärkte hinzu, komme man wohl auf 2500. Zahlen, die in Berichten über ihr vermeintliches Verschwinden unerwähnt bleibt. Viele Städte versuchen vielmehr, mit ihren Weihnachtsmärkten Touristen anzulocken. Die Deutsche Welle berichtete, bereits vor Jahren habe Köln gemeinsam mit Germanwings für Billigflüge in die Stadt geworben, verbunden mit einem Bummel über den Kölner Weihnachtsmarkt. Sogar ein "Cologne Christmas Market" wurde in London veranstaltet.
Auch DSB-Chef Ritter betont, dass die Weihnachtsmärkte für den Einzelhandel extrem wichtig geworden seien, um Innenstädte und Einkaufszentren zu beleben.
Touristen-Attraktion: Der damalige US-Außenminister Kerry besuchte 2016 vor einem OSZE-Treffen in Hamburg den Weihnachtsmarkt.
Der Deutsche Schaustellerverband schwärmte in seinem Jahresbericht für 2016, mehr als 80 Millionen Menschen kämen "Jahr für Jahr auf den deutschen Weihnachtsmärkten zusammen. In keinem anderen Land finden so viele Volkfeste und Weihnachtsmärkte statt".
Albert Ritter betonte im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder, dass die deutschen Weihnachtsmärkte zu einem Exportschlager geworden sind. So findet in Chicago seit 1996 der sogenannte "Christkindlmarket" nach Nürnberger Vorbild statt, in den Niederlanden gebe es Dutzende deutsche Weihnachtsmärkte. Und in Birmingham öffnet der Frankfurter Weihnachtsmarkt jährlich zur Weihnachtszeit seine englische Zweigstelle. Weitere deutsche Weihnachtsmärkte gibt es laut DSB in Frankreich, Italien, Polen und sogar Japan.
Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen
Von einem Verschwinden der Weihnachtsmärkte in Deutschland kann also keine Rede sein. Was die Veranstalter aber tatsächlich beschäftigt, sind die Sicherheitsvorkehrungen nach dem islamistischen Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin, bei dem im vergangenen Dezember elf Besucher des Weihnachtsmarkts getötet wurden.
Viele Märkte werden nun durch Betonsperren gesichert, dazu diskutiert man über "diskrete Barrieren". Der Markt am Breitscheidplatz wird nach Angaben von Berlins Innensenator Andreas Geisel in diesem Jahr mit Betonpollern und erhöhter Polizeipräsenz gesichert. Er warne aber davor, mit zu starken Sicherheitsmaßnahmen "den eigentlichen Charakter der Weihnachtsmärkte zu ersticken".