Masken und Beatmungsgeräte Von der Mangelware zum Ladenhüter
In deutschen Lagerhäusern türmt sich das medizinische Gerät. Masken und Beatmungsgeräte, zu Beginn der Corona-Pandemie dringend benötigt, nehmen derzeit vielerort nur Platz weg. Wohin damit?
Die Bundesrepublik hat bereits knapp 200 Beatmungsgeräte an Frankreich, Italien und Spanien verschenkt. Dort wütet Covid19 ungleich schwerer. Jetzt soll weiteres medizinisches Material an das Ausland abgegeben werden.
Bettina Dickes geht durch einen langen Gang. Die Landrätin von Bad Kreuznach hat einen großen Schlüsselbund in der Hand. Die Christdemokratin öffnet mehrere schwere Türen und steht dann in einer Lagerhalle. Vor ihr türmen sich 50 Beatmungsgeräte - verpackt und unbenutzt.
Es ist eine groteske Situation. Würden die Geräte jetzt in Krankenhäusern der Region in Rheinland-Pfalz Corona-erkrankte Menschen beatmen, wäre das ein Drama für die Betroffenen und ihre Familien. So aber aber hat jetzt Bettina Dickes ein Problem. Sie hatte die 50 Beatmungsgeräte im März bestellt. "Es ergab sich plötzlich die Möglichkeit für eine Bestellung. Ich habe meine Entscheidung aus Angst vor einer Corona-Welle und auf Basis der damaligen Prognosen des Robert Koch-Institutes getroffen", sagt sie. Jetzt sitzt Bad Kreuznach auf einer Rechnung von 2,2 Millionen Euro.
Versorgungslage hat sich komplett gedreht
An dem Kauf gibt es jetzt viel Kritik. Hatte sie damals vorschnell gehandelt? "Ich hatte die Bilder aus Italien vor Augen. So etwas wollte ich in Bad Kreuznach auf jeden Fall verhindern", sagt die Landrätin und schüttelt mit dem Kopf. "Es wäre doch grobe Fahrlässigkeit, wenn Menschen zu Tode kommen, weil sie nicht beatmet werden können. Wenn man helfen kann und es nicht tut, dann macht man sich mitschuldig. Deshalb habe ich die Entscheidung so damals getroffen. "
Ein anderer Ort - ein ähnliches Problem. Das Bundesgesundheitsministerium hatte im Frühjahr ebenfalls im Angesicht der Pandemie massenweise medizinisches Gerät aufgekauft. Dabei hatte Gesundheitsminister Spahn zuvor noch erklärt, Deutschland sei gut gerüstet.
Jetzt im Spätsommer hat sich die Versorgungslage völlig gedreht. Beatmungsgeräte und Masken werden sogar ins Ausland verschenkt. Die neuen Zahlen legt das Bundesgesundheitsministerium jetzt in einem Bericht vor. Danach werden insgesamt 257 Millionen Masken nach Osteuropa, den Westbalkan, in den Nahen und Mittleren Osten, nach Afrika und nach Mittel- und Südamerika abgegeben. Koordination und Verteilung übernimmt die Weltgesundheitsorganisation WHO.
"Wir wussten nicht, wie schlimm es wird"
Zudem gehen insgesamt 334 Beatmungsgeräte nach Bosnien-Herzegowina, das Kosovo und Nordmazedonien. Der aktuelle Gesamtwert wird in dem Bericht mit gut 278 Millionen Euro angegeben. Aus der Aufstellung geht hervor, dass der Einkaufspreis im Frühjahr aufgrund der damals enormen internationalen Nachfrage deutlich höher gewesen sein soll. Das Bundesfinanzministerium hat der Aktion dennoch zugestimmt.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sollen bis Ende 2021 noch 4,2 Milliarden OP-Masken und 1,7 Milliarden FFP2- und FFP3-Masken geliefert werden. Auch bei den Beatmungsgeräten drohen volle Lager. Aus dem Bericht geht hervor, dass 26.231 Beatmungsgeräte bestellt worden sind. Allerdings haben die Länder inzwischen nur etwa 2000 Geräte angefordert. Es laufen Nachverhandlungen mit den Herstellern, die Zahl doch noch zu senken. Auch aufgrund dieser Gespräche werfen Kritiker Minister Spahn eine chaotische Einkaufspolitik vor.
Rückendeckung bekommt der Christdemokrat Spahn dabei vom mitregierenden Koalitionspartner SPD. "Es wurde nicht zuviel eingekauft. Wir wussten doch gar nicht, wie schlimm es kommt", sagt Karl Lauterbach. Der gesundheitspolitische Sprecher ist ebenfalls dafür, Beatmungsgeräte ins Ausland zu verschenken. "Wir sind auch langfristig bei einer verschärften Corona-Lage mit den Beatmungsgeräten sehr gut aufgestellt. Auf Intensivstationen werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit ohne zusätzliche Geräte auskommen. Die Maschinen werden aber jetzt im Ausland benötigt. Corona ist eine internationale Gemeinschaftsaufgabe."
Schadenersatzklagen drohen
Kritik von Lauterbach kommt dagegen bei der Weitergabe von Masken. "Derzeit werden die Masken im Krankenhaus, in der Pflege und auch für Hochrisikopatienten jeden Tag gebraucht. Von daher würde ich davon Abstand nehmen, Masken zu verschenken."
Von Berlin zurück nach Bad Kreuznach zu Landrätin Bettina Dickes. Die Christdemokratin kann und will die Beatmungsgeräte nicht einfach so verschenken. Wie der Kauf genau abgerechnet werden soll, ist aber noch unklar. Teile der Opposition im Kreistag drohen mit einer Schadenersatzklage gegen sie. Dickes will sich den kritischen Fragen stellen. "Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ich bereue nichts."