Prozessauftakt in Berlin In russischen Diensten?
Ein BND-Mitarbeiter soll streng geheime Informationen an einen russischen Geheimdienst verkauft haben. Der mutmaßliche Verratsfall traf den BND ins Mark. Ab heute muss sich Carsten L. vor Gericht verantworten.
Das Interesse ist enorm. In Saal 145a des Berliner Kammergerichts sind bei weitem nicht genügend Plätze vorhanden, um alle Medienvertreter unterzubringen, die den Prozessauftakt verfolgen wollen.
Erstaunlich ist der Andrang nicht. Der Fall, der ab heute vor dem 6. Strafsenat unter Vorsitz von Richter Detlev Schmidt verhandelt wird, enthält alles, was einen Spionagethriller ausmacht.
Für den Bundesnachrichtendienst (BND) war er allerdings die schlechteste Publicity seit vielen Jahren, um nicht zu sagen: eine Katastrophe. Ausgerechnet während Russland Krieg gegen die Ukraine führt und Deutschland die Ukraine in diesem Überlebenskampf militärisch unterstützt, soll sich ein Mitarbeiter des deutschen Auslandsnachrichtendienstes an einen russischen Geheimdienst verkauft haben.
Der Generalbundesanwalt wirft dem BND-Mitarbeiter Carsten L. sowie dem Geschäftsmann Arthur E. besonders schweren Landesverrat vor. Carsten L. soll den Ermittlungen zufolge insgesamt neun Dokumente aus dem BND, nachdem er sie entweder ausgedruckt oder vom Dienstrechner abfotografiert hat, an Arthur E. weitergegeben haben.
Übergaben in Pullach und Berlin
Zwei Übergaben soll es gegeben haben, eine am Dienstort im bayerischen Pullach, eine weitere in Berlin. Arthur E. wiederum soll als Mittelsmann fungiert und die Dokumente in Moskau dem russischen Geheimdienst FSB ausgehändigt haben. Eine zentrale Rolle soll darüber hinaus ein russischer Unternehmer gespielt haben, der für die deutschen Ermittler nicht greifbar war und deshalb auch nicht auf der Anklagebank sitzt, aber den Kontakt zum FSB vermittelt haben soll.
Im Zuge der Ermittlungen konnte der Hergang offenbar weitgehend rekonstruiert werden. Auch deshalb, weil Arthur E. umfänglich ausgesagt hat, im Unterschied zu Carsten L., der bis heute zu den Vorwürfen schweigt.
Ex-Soldaten lernten sich 2021 kennen
Demnach sollen sich die beiden Männer im Mai 2021 in Weilheim bei München, dem Wohnort von Carsten L., auf einem Grillfest eines örtlichen Sportvereins kennengelernt haben. Carsten L. war zu diesem Zeitpunkt Referatsleiter in der Abteilung "Technische Aufklärung" des BND am Dienstort in Pullach.
Offenbar hatte man sich viel zu erzählen. Beide waren früher bei der Bundeswehr beschäftigt. Arthur E. führte seit einigen Jahren ein schillerndes Leben als Geschäftsmann, handelte mit Gold und Edelsteinen und war auf der ganzen Welt unterwegs. Anknüpfungspunkte gab es für die Beiden offenbar genug.
Anderthalb Jahre später, so die Ermittlungen, soll Carsten L. sich im September 2022 bereit erklärt habe, Dokumente aus dem BND zu beschaffen, um sie dem russischen Geheimdienst FSB zu verkaufen. Wie ARD-Hauptstadtstudio und rbb berichteten, soll der Verrat bei einem Treffen in einem Lokal am Starnberger See verabredet worden sein, an dem Carsten L., Arthur E. und der russische Unternehmer teilnahmen - ein Bekannter von Arthur E. mit besten Kontakten zum russischen Geheimdienst.
Im Anschluss daran soll L. beim BND schnell zur Tat geschritten sein, erste Dokumente beschafft und Arthur E. zur Weitergabe an den FSB übergeben haben. Die Treffen sollen von dem russischen Unternehmer vereinbart worden sein, der nach Angaben der Bundesanwaltschaft auch die Flüge für Arthur E. nach Moskau gebucht und bezahlt haben soll. Nach Darstellung der Ermittler gab es mehrere Treffen von Arthur E. mit Mitarbeitern des FSB in Moskau.
Viel Geld und freie Einreise
Finanziell soll sich der Verrat durchaus gelohnt haben: Wie die Bundesanwaltschaft mitteilte, soll Carsten L. 450.000 Euro und Arthur E. 400.000 Euro vom FSB erhalten haben. Arthur E. soll das Geld im November 2022 in Moskau in Empfang genommen und nach Deutschland gebracht haben. Carsten L. wiederum habe dafür gesorgt, so die Bundesanwaltschaft, dass E. bei seiner Ankunft am Flughafen durch den Zoll geschleust wurde, damit die hohe Bargeldsumme nicht auffällt.
Doch was genau war dem FSB so viel Geld wert? Wie ARD-Hauptstadtstudio und rbb berichteten, soll Carsten L. den Russen sehr sensible, streng geheime Informationen über eine laufende technische Operation des BND verraten haben.
Operation gegen die Wagner-Gruppe
Konkret soll es um die Kommunikation der Söldnergruppe Wagner gegangen sein, die 2022 noch eine wesentliche Rolle für den Krieg Russlands gegen die Ukraine spielte. Gemeinsam mit einem Partnerdienst soll der BND in der Lage gewesen sein, die Kommunikation der Wagner-Gruppe zu überwachen. Nach dem Verrat habe die Gruppe Wagner ihr Kommunikationsverhalten sichtbar verändert, hieß es in Sicherheitskreisen. Mit anderen Worten: Die bis dahin erfolgreiche Operation scheiterte durch den Verrat.
Dass Carsten L. aufflog, verdankte der BND ebenfalls dem Hinweis eines Partnerdienstes. Der BND selbst hatte den entstandenen Schaden nach Bekanntgabe des Verratsfalls vor einem Jahr eher heruntergespielt. Vor Gericht dürfte der Dienst aber durchaus ein Interesse daran haben, Ausmaß und Auswirkungen ungeschönt deutlich zu machen.
Wie viel von all dem die Öffentlichkeit erfährt, bleibt abzuwarten. Das Gericht hat die Möglichkeit, die Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung auszuschließen, wenn es um Inhalte geht, die für die Sicherheit der Bundesrepublik wesentlich sind. Zwar soll der Vorsitzende Richter dem Vernehmen nach Wert darauf legen, so viel Öffentlichkeit zuzulassen wie nur möglich, dennoch ist davon auszugehen, dass Teile der Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden werden.