Olaf Scholz kommt zusammen mit Wolfgang Schmidt auf dem Flughafen in Washington an.

SPD-Kanzlerkandidat Wem vertraut Olaf Scholz?

Stand: 15.08.2021 04:07 Uhr

Strippenzieher, Spin-Doktoren, SPD-Strategen: Wer sind die Menschen, die im Hintergrund für Kanzlerkandidat Scholz arbeiten? Auf wen kann er sich verlassen - wen lässt er überhaupt an sich ran?

Von Corinna Emundts, ARD-aktuell, tagesschau.de

Auf seine Kanzlerkandidatur hat Olaf Scholz lange hingearbeitet, aber nicht allein. Der Sozialdemokrat wird nicht erst als Vizekanzler und Finanzminister von einem hyperloyalen kleinen Kreis langjähriger Vertrauter gestützt. Obwohl mancher Wegbegleiter von ihm darauf hinweist: Echte Berater brauche er gar nicht - Scholz sei sich eigentlich in Strategie und Analyse selbst genug.

Wolfgang Schmidt

Der 50-jährige Sozialdemokrat, Ex-Juso und Staatssekretär im Finanzministerium Wolfgang Schmidt ist das Gegenteil seines häufig etwas hölzern-verschlossen wirkenden Dienstherrn: kommunikativ, lebendig, gewitzt. Vor allem aber mehr als überzeugt davon, für den Besten zu arbeiten. Er hält Scholz entsprechend für den besten denkbaren Kanzlerkandidaten und den einzigen, der Merkels Kragenweite habe - wie Scholz sich selbst auch.

Seit knapp 20 Jahren sind ihre politischen Biografien eng miteinander verwoben. Jurist Schmidt, der als Referent im SPD-Generalsekretärsbüro von Scholz anfing, wuchs schnell in die politische Partnerrolle: Wo Scholz auch war, ist Schmidt dabei: im Willy-Brandt-Haus, im Bundestag, im Arbeits- und später im Finanzministerium - sowie natürlich auch in Hamburg, als der SPD-Politiker als Erster Bürgermeister agierte.

Schmidt steuert die finanzpolitischen Themen mit, ebenso wie die Abstimmungen des Vizekanzlers, gerade auch in der Corona-Pandemie. Und er unterstützt nicht nur als Image-Polierer fleißig Scholz' Kanzlerkandidatur. Seine Mission: Den spröden Hanseaten ins Kanzleramt zu kriegen (und sich als Kanzleramtschef vermutlich gleich mit). Dafür nutzt er Tag und Nacht sein Sprachrohr Twitter, um zeitnah auf die Scholz-Erfolge hinzuweisen - auch mal um zwei Uhr morgens. Erfolge des Finanzministers werden da gepriesen und sekundiert, aber zunehmend auch "Good News" über Scholz als Kanzlerkandidat der SPD.

Doch der international vernetzte Schmidt ist mehr als ein reiner PR-Mann im Hintergrund und Spin-Doctor, er ist ein gewiefter Strippenzieher. Natürlich weiß er um die beiden derzeit schwierigsten Angriffspunkte und Achillesversen seines Kandidaten - zum einen als Bundesminister beim Finanzskandal rund um die verschwundenen 1,9 Milliarden des deutschen Finanzdienstleisters Wirecard und beim Hamburger Cum-Ex-Skandal, der noch in seine Zeit als Bürgermeister fiel und ihn zuletzt nach Recherchen von NDR und "Die Zeit" in keinem guten Licht erscheinen lässt.

Egal ob Bundestagsabgeordnete oder Journalisten, die sich damit ausführlicher befassen und ungünstige Fakten berichten, sie dürfen sich dann der Aufmerksamkeit und Kommentierung Schmidts via Twitter oder am Telefon gewiss sein. Er schreckt auch nicht davor zurück, in solchen Angelegenheiten den direkten Draht zur Chefredaktion zu suchen.

Fabio de Masi, Hamburger Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und Obmann im Wirecard-Untersuchungsausschuss lieferte sich mit ihm regelrechte Faktenschlachten zur Cum-Ex- und Wirecard-Affäre auf Twitter. Dem "Handelsblatt" berichte De Masi darüber hinaus, Schmidt habe ihm im Sommer 2020 telefonisch einen Deal angeboten, sensible Informationen zum Wirecard-Vorgang schneller herauszugeben, wenn die Opposition im Gegenzug auf die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsauschusses zu Wirecard verzichte.

Für Scholz und seine Vertrauten war der Sommer 2020 eine besonders sensible Zeit, weil die Nominierung als SPD-Kanzlerkandidat durch die SPD-Parteispitze rund um Scholz' einstige Antipoden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bevorstand. Schlechte Nachrichten konnten Schmidt und Scholz da auch aus parteiinternen Gründen nicht gebrauchen.

Rolf Bösinger

Staatssekretär Rolf Bösinger: Stützt Scholz eher im Hintergrund - als erfahrender SPD-Mann und Finanzpolitik-Experte.

Rolf Bösinger

Wesentlich weniger öffentlich als Schmidt agiert in Scholz' Umfeld Staatssekretär Rolf Bösinger. Der 55-Jährige gehört aber dennoch zum engsten Kreis der Scholz-Vertrauten und verbindet langjährige SPD-Erfahrung aus den inneren Zirkeln und wichtigen Phasen der SPD in der Berliner Republik mit Expertise in Wirtschafts und Finanzpolitik.

Unter Bürgermeister Scholz wurde der studierte Wirtschafts- und Finanzexperte zunächst als Leiter der Hamburger Senatskanzlei, später als Staatsrat für Wirtschaft und Innovation berufen. Er arbeitete zuvor auch in wichtigen Abteilungen des Willy-Brandt-Hauses - als Scholz dort SPD-Generalsekretär war und Kanzler Schröders Agenda-Politik rund um "Hartz IV" verkaufen musste - was zur inneren Zerreißprobe für die Sozialdemokratie wurde.

Als weitere Scholz-Vertraute zählen im Ministerium die Finanz-Staatssekretäre und Sozialdemokraten Werner Gatzer und Jörg Kukies, die ihn vor allem finanzpolitisch beraten. Als jüngeren strategisch-intellektuellen Kopf platzierte der Finanzminister noch Benjamin Mikfeld im Ministerium als Abteilungsleiter des wichtigen Ressorts "Leitung, Planung, Strategie". Ähnliche Ämter hatte der studierte Sozialwissenschaftler Mikfeld bereits im Willy-Brandt-Haus und später bei Andrea Nahles im SPD-geführten Arbeits- und Sozialministerium.

Britta Ernst

Britta Ernst: SPD-Bildungspolitikerin berät Ehemann Scholz nicht nur in schulpolitischen Fragen.

Britta Ernst

Obwohl es bei einem Politik-Ehepaar nicht anders zu erwarten ist, als dass sie sich gegenseitig beruflich beraten: Die aus Hamburg stammende Scholz-Gattin Britta Ernst, mit der er seit 1998 kinderlos verheiratet ist, wird in SPD-Kreisen als eine weit über die erwartbare Rolle hinaus wichtige Beraterin für Scholz beschrieben.

Ein politischer Weggefährte sagt über die Diplom-Sozialökonomin, die heute Bildungsministerin in Brandenburg ist und in gleicher Funktion bereits in Schleswig-Holstein 2014 bis 2017 tätig war: Die 60-Jährige ticke beruflich wie ihr Ehemann, sei ähnlich akribisch und kontrollfreudig wie er - würde also seinen Politikstil eher stärken und stützen als ihn mal in Frage zu stellen.

Ernst trat bereits in jungen Jahren in die SPD ein und konzentrierte sich in verschiedenen Positionen früh auf Schulpolitik, zunächst als Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft - aus der sie allerdings 2011 trotz eines Mandates ausschied - als Scholz dort Bürgermeister wurde.

Steffen Hebestreit

Der ehemalige Journalist ("Frankfurter Rundschau", "DuMont") gilt laut "Welt" als bestens vernetzt - und trat nach einem Zwischenschritt als Sprecher von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi in den Dunstkreis von Olaf Scholz ein: Zunächst 2015 als Leiter der Hamburgischen Landesvertretung in Berlin - dies soll auf Empfehlung von Wolfgang Schmidt geschehen sein. Nach der Berufung von Scholz als Finanzminister 2018 zog der studierte Politologe als Pressesprecher ins Ministerium ein. Der 49-Jährige gilt neben dem Netzwerker und Staatssekretär Schmidt als Scholz' Transmissionsriemen zu den Medien. Zudem gab er entscheidende Impulse für das Buch "Hoffnungsland", in dem Scholz im Jahr 2017 sein politisches Selbstverständnis niedergeschrieben hatte.

Olaf Scholz und Steffen Hebestreit

Olaf Scholz und Steffen Hebestreit

Allein durch seine beeindruckende Körpergröße wirkt Hebestreit zuweilen wie ein Scholz-Beschützer. In Interviewaufzeichnungen stellt er sich schon mal körperlich zwischen Scholz und die Kamera und winkt ab - wie es etwa einem ARD-Team bei heiklen Fragen zu Cum-Ex widerfuhr.

Zunehmende Bedeutung erfährt im "Team Scholz" als eine der wenigen Frauen die ehemalige RBB-Journalistin Julia Camerer, die seit Dezember 2020 im Willy-Brandt-Haus als Sprecherin des Kanzlerkandidaten agiert. Zuvor war die 44-jährige länger als Pressereferentin der SPD-Bundestagsfraktion tätig.

Lars Klingbeil

Je konkreter und wahrscheinlicher die Kanzlerkandidatur von Scholz wurde, desto wichtiger wurde die Funktion von SPD-Generalsekretär und Wahlkampfchef Lars Klingbeil im "Team Scholz". Der 43-jährige Klingbeil hat sich in dieser Funktion parteiintern nach vielen glücklosen SPD-Jahren großen Respekt erarbeitet, indem er das Image der Uneinigkeit abschleifen konnte. Nun müssen nur noch die Umfragezahlen nachziehen - doch da setzt Klingbeil ganz auf Scholz, dessen persönliche Umfragewerte seine Partei deutlich überstrahlen.

Lars Klingbeil

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil: Wird von Scholz als Wahlkampf-Stratege geschätzt.

Parteitstrategisch argumentieren beide deckungsgleich und ticken ähnlich. Die Partei müsse aus Fehlern lernen, geschlossener - zumindest nach außen hin - auftreten und vor allem: Neue Zuversicht ausstrahlen - weg vom Image der zerstrittenen Jammerpartei. Sie setzen auf die bundespolitische Erfahrung des Vizekanzlers im Wettbewerb mit Armin Laschet und Annalena Baerbock und hoffen, diese Karte zunehmend Richtung Wahltag ausspielen zu können.

Klingbeil gehört dem mittig-pragmatisch und wirtschaftsnah auftretenden "Seeheimer Kreis" der SPD an, der in den Schröder-Jahren die Agenda 2010 unterstützt hat - und sich bereits im Juni 2020 öffentlich für einen Kanzlerkandidaten Scholz ausgesprochen hat, weit vor der offiziellen Nominierung durch Esken und Walter-Borjans.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 15. August 2021 um 14:30 Uhr.