AfD-Parteitag in Riesa Zwischen Weidel-Kür und programmatischem Streit
Auf einem zweitägigen Parteitag soll AfD-Parteichefin Weidel zur Kanzlerkandidatin gewählt werden. Im Wahlprogramm müssen noch mehrere Punkte geklärt werden - etwa bei den Themen EU, Abtreibung und Familie.
Alles scheint in diesen Tagen für die offizielle Kür von Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin perfekt zusammenzufallen. Just in dieser Woche kommen aus Österreich Neuigkeiten, dass erstmals die rechtspopulistische FPÖ, die "Schwesterpartei der AfD", den Kanzler stellen könnte - Aufwind für die AfD. Und dann das Gespräch mit Elon Musk, platziert direkt vor dem Parteitag: Große Aufmerksamkeit genau in dem Moment, in dem auf einem AfD-Parteitag erstmals eine Kanzlerkandidatin gekürt wird.
Damit auf den letzten Metern nichts schiefgeht, soll das Votum per Akklamation erfolgen - also per Beifall oder Handzeichen. Keine geheime Wahl, bei der noch leichter jemand dagegen stimmen könnte. Das Zeichen soll sein: volle Unterstützung für Weidel. Doch Widerstand muss die Parteivorsitzende ohnehin nicht fürchten. Wenn man sich in der Partei umhört, hört man selbst von ihren internen Gegnern keinen Widerspruch zu ihrer Kandidatur - vielleicht auch weil alle wissen, dass Weidel keine Regierungsoption hat.
Taktisches Geschick und Opportunismus
Trotzdem: Allein die Kandidatur ist ein Triumph für Weidel, den sie sich mit taktischem Geschick und vor allem einer gehörigen Portion Opportunismus erarbeitet hat. Seit 2017 behauptet sie sich in der turbulenten Partei - "der gärige Haufen", wie Alexander Gauland sie nannte - als Fraktionsvorsitzende der AfD. Zuerst an der Seite Gaulands, jetzt mit Tino Chrupalla.
Doch über diesem Parteitag schwebt auch die Frage: Wer führt hier eigentlich wen? Alice Weidel die Partei - oder doch eher die Partei Alice Weidel?
Debatte um das Wahlprogramm
Aufschluss könnte die Debatte um das Wahlprogramm geben, das auf dem Parteitag in Riesa beschlossen werden soll. Es gibt unzählige Änderungsanträge, die sich einmal mehr um die Ausrichtung der Partei drehen. Frei nach dem Motto "Geht’s noch radikaler?" stehen Themen wie Dexit, Abtreibung und die Frage nach dem Familienbild auf der Tagesordnung. Auch die Gretchenfrage dürfte diskutiert werden: Wie hält es die Partei tatsächlich mit dem Schlagwort "Remigration"?
Bislang taucht der Begriff im Leitantrag nicht auf. Doch jetzt steht zur Debatte, ob man ihn nicht doch in den Wahlkampf integrieren sollte. "Man verbindet Remigration doch ohnehin mit uns", sagt Sebastian Münzenmaier, einer der Verfasser eines entsprechenden Änderungsantrags. "Der Begriff ist gesetzt, er wird ja auch bei uns verwendet. Und wir müssen definieren, was wir damit meinen, sonst entscheiden das andere."
Münzenmaier ist überzeugt, dass er den Antrag durchbekommt. Weidel, die ihre Partei professioneller und vor allem anschlussfähiger erscheinen lassen will, dürfte das weniger gefallen.
Diskussionen um Dexit und Abtreibung
Auch der Austritt aus der EU dürfte auf dem Parteitag erneut für Diskussionen sorgen. Er steht zwar im Entwurf des Wahlprogramms, doch manchen Mitgliedern ist das zu radikal. Anfang Dezember hatte die AfD zu strittigen Punkten im Leitantrag eine Mitgliederbefragung durchgeführt. Eine knappe Mehrheit (52,64 Prozent) sprach sich dafür aus, die explizite Forderung nach einem Austritt zu streichen. Stattdessen soll es lediglich heißen: "Wir streben einen Bund europäischer Nationen an - eine neu zu gründende europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft, in der die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt ist."
Der Dexit bleibt ein kontroverses Thema in der AfD, ähnlich wie die Abtreibungsdebatte. Im Entwurf kam es zu einer Verschärfung. Doch laut der Mitgliederbefragung lehnen das 60 Prozent ab. Am Ende wird es - wie so häufig - darum gehen, welches Lager auf dem Parteitag besser mobilisieren kann.
Konflikt um die Jugendorganisation
Richtig hitzig dürfte es am zweiten Tag werden, wenn es um die Zukunft der Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) geht. Der Vorstoß des Bundesvorstands, die JA aufzulösen und durch eine neue Jugendorganisation namens "Junge Patrioten" zu ersetzen, hatte bereits im Vorfeld für Aufsehen gesorgt. Die Junge Alternative wurde vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft.
Weidel will eine neue Jugendorganisation, über die sie mehr Kontrolle hat. Doch einige in der JA halten von der Idee rein gar nichts und fühlen sich von der Parteichefin hintergangen.
Ob der Bundesvorstand auf dem Parteitag die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für die gewünschte Satzungsänderung bekommt, ist fraglich. Gut möglich, dass das Thema vertagt wird, um Geschlossenheit zu demonstrieren und ohne öffentlichen Streit in den Wahlkampf zu ziehen. Doch dies würde einmal mehr zeigen, dass die Partei Alice Weidel zwar gerne als Gesicht der Partei präsentiert, mit ihrem Kurs aber nicht unbedingt einverstanden ist. Nicht wenige in der Partei stehen zur Radikalität, wollen nicht unbedingt bürgerlicher auftreten, wie Weidel es wünscht.
Irritation über Weidels Gespräch mit Musk
Umso mehr sorgte Weidels Gespräch mit Elon Musk intern auch für Irritation. Das Gespräch sei ein PR-Coup, aber die Aussage, Hitler sei ein Kommunist gewesen, wird auch intern nicht überall geteilt. Und manch einer fragt sich, was Weidel überhaupt geritten hat, das "H-Wort" anzusprechen. Das passe eigentlich gar nicht zu ihrer Strategie seriöser zu wirken, hört man immer wieder.
Auch die libertäre und an Amerika orientierte Haltung Weidels stößt nicht bei allen AfD-Anhängern auf Zustimmung, gerade bei den Russland-Freunden. Genauso wenig wie ihre Haltung gegenüber Musk, die manche als "ranschmeißend" bezeichnen.
Einst hatte Weidel auch Tesla kritisiert. Doch davon will sie nun nicht mehr so viel wissen. Wendigkeit ist eine ihrer Kernkompetenzen. Auch deshalb darf sie sich auf dem Parteitag als erste Kanzlerkandidatin der Partei feiern lassen.