Interview

Interview zum CSU-Parteitag "Der Burgfrieden muss wieder hergestellt werden"

Stand: 28.09.2007 17:20 Uhr

Nach einer Übergangsperiode von sieben Monaten wählt die CSU auf ihrem Parteitag in München einen neuen Vorsitzenden. Was erwartet die Partei von ihrem neuen Chef? tagesschau.de sprach darüber mit dem CSU-Bundestagsabgeordneten Stefan Müller.

1100 Delegierte sind in München zum CSU-Parteitag zusammengekommen. Nach einer Übergangsperiode von sieben Monaten wählen sie morgen einen neuen Vorsitzenden. Was erwartet die Partei von ihrem neuen Chef? Und wie lang wird der Schatten von Edmund Stoiber sein? tagesschau.de sprach darüber mit dem CSU-Bundestagsabgeordneten Stefan Müller.

tagesschau.de: Was erwarten Sie vom Parteitag?

Stefan Müller: Zunächst einmal, dass wir unser neues Grundsatzprogramm verabschieden und auch die Möglichkeit haben, über gewisse Grundsatzfragen zu diskutieren. Für Morgen erwarte ich natürlich, dass wir einen neuen Parteivorsitzenden und einen neuen Parteivorstand wählen und mehr oder weniger in geordnete Verhältnisse kommen.

tagesschau.de: ... die im Moment wenig geordnet sind.

Müller: Zumindest war das in den letzten sechs Monaten ein Übergangszeitraum.

"Führungsfrage muss geklärt werden"

tagesschau.de: Wie ist die Stimmung in Ihrem Wahlkreis?

Müller: Die Basis wartet auf die Entscheidungen dieses Parteitags. Sie wartet darauf, wer jetzt Parteivorsitzender wird. Die Mitglieder wollen für die Kommunalwahlen wieder anpacken. Dafür ist es notwendig, dass die Führungsfrage geklärt ist.

tagesschau.de: Die Erwartungen der Basis müssen sich nicht zwangsläufig mit den Erwartungen der CSU-Landesgruppe im Bundestag decken. Wie ist die Stimmung bei der CSU in Berlin?

Müller: In diesem Fall ähnlich. Auch wir warten darauf, dass der neue Parteivorsitzende gewählt wird, der ja auch gleich in die Verhandlungen in der Koalition einsteigen muss. Es sind ja auch wichtige Fragen zu klären. Da wird von dem neuen Parteichef erwartet, dass er das Profil der CSU klar und deutlich herausstellt.

"Viele erwarten eine intensivere Diskussionskultur"

tagesschau.de: Was wird anders werden in der CSU nach Stoiber?

Müller: Viele erwarten wieder eine intensivere Diskussionskultur. Das haben viele in den vergangenen Monaten und Jahren vermisst. Sicherlich wird es auch eine politische Neuausrichtung geben, weil jeder neue Vorsitzende seine Akzente anders setzt. Das hängt einfach davon ab, wer morgen Parteivorsitzender wird.

tagesschau.de: Was werden Sie persönlich an Stoiber vermissen?

Müller: Ich werde das Eintreten von Stoiber für Fragen vermissen, die vor allem die junge Generation betreffen - Anliegen, die auch wir jungen Abgeordnete im Bundestag vertreten haben. Und Stoiber war immer jemand, der das Profil der CSU sehr klar herausgestellt hat und auf den man sich verlassen konnte.

Zur Person

Stefan Müller, Jahrgang 1975, sitzt seit 2002 für die CSU im Bundestag. Er ist Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie zweiter Vorsitzender der CDU/CSU-Arbeitnehmergruppe im Deutschen Bundestag. Seit Frühjahr 2006 ist Müller auch Mitglied der CSU-Grundsatzkommission.

tagesschau.de: Stoiber hinterlässt "große Schuhe". Besteht da nicht die Gefahr, dass der neue Parteivorsitzende immer nur an Stoiber gemessen wird?

Müller: Das hieß es auch, als Stoiber Parteivorsitzender oder Ministerpräsident wurde. Da hat man ihn immer mit Franz-Josef Strauß verglichen. Ich behaupte, Edmund Stoiber war der erfolgreichste Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende, den wir hatten. Man muss den Parteivorsitzenden sich in sein Amt einfinden und einarbeiten lassen. Ich traue Horst Seehofer und Erwin Huber gleichermaßen zu, in diese "großen Schuhe" hineinzutreten.

"Bayern nach vorn gebracht"

tagesschau.de: Was war Stoibers größtes Verdienst?

Müller: Er hat 1998 nach der Niederlage bei der Bundestagswahl die CSU wieder geeint, als er in einer schwierigen Phase den Parteivorsitz übernommen hat. Das zweite große Verdienst ist, dass er Bayern weiter nach vorn gebracht hat - und damit natürlich auch die CSU.

tagesschau.de: Was war sein größter Fehler?

Müller: Am Ende vielleicht, dass er mit zu wenig Leuten geredet hat.

tagesschau.de: Was bedeutete seine Entscheidung, 2005 nicht ins Kabinett Merkel einzutreten?

Müller: Ich gehörte damals zu denjenigen, die der Auffassung waren, dass der CSU-Vorsitzende an einer wichtigen Stelle im Kabinett hätte Platz nehmen müssen. Das ist auch ein Punkt, den sehr viele Mitglieder nicht verstanden haben.

Neuer Begriff von Gerechtigkeit

tagesschau.de: Das neue Grundsatzprogramm bringt nicht so viel Neues. Was ist für Sie der wichtigste Punkt?

Müller: An einigen Stellen gibt es schon deutliche Veränderungen. Zum Beispiel wird in dem neuen Grundsatzprogramm aus unserer Sicht die Frage beantwortet: Was ist Gerechtigkeit? Wir sagen klar und deutlich: Soziale Gerechtigkeit hat nichts zu tun mit Verteilungsgerechtigkeit. Es finden sich zwei neue Gerechtigkeitsbegriffe. Das eine ist die Chancengerechtigkeit, die es geben muss. Das andere findet sich zum ersten Mal in einem Grundsatzprogramm einer Partei in Deutschland: Wir sagen, Gerechtigkeit hat auch etwas mit Generationengerechtigkeit zu tun. Das heißt, heutige Generationen dürfen nicht zu viele Lasten den kommenden Generationen überlassen.

Die Fragen stellte Wolfram Leytz, tagesschau.de