Interview mit Werner Sonne zur Strepp-Affäre "Es wird immer Einflussversuche geben"
Ist die Affäre um CSU-Pressesprecher Strepp ein Einzelfall? Wie verstrickt sind Medien und Politik? Journalisten und Politiker bewegen sich auf einem schmalen Grat, meint der ehemalige ARD-Korrespondent Werner Sonne im Gespräch mit tagesschau.de. Das höchste Gut der Journalisten sei ihre Unabhängigkeit.
tagesschau.de: Wie oft bekamen Sie in Ihrer Zeit als Berlin-Korrespondent Anrufe von Pressesprechern und Politikern mit dem Versuch, Einfluss auf Ihre Berichterstattung zu nehmen?
Werner Sonne: Mir selber ist es sehr selten passiert. Es gab mal eine kritische Anmerkung aus dem Regierungslager als Reaktion auf eine Satire im ARD-Morgenmagazin. Da ging es eher um die Form als um den Inhalt. Außerdem ist mir ein kritischer Kommentar in den "Tagesthemen" zur CDU-Spendenaffäre vom damaligen CDU-Chef Wolfgang Schäuble sehr übel genommen worden. Er hat sich im Anschluss sehr lange geweigert, mit mir ein Interview zu machen. Mehr Fälle sind mir nicht bewusst.
Ich weiß aber von meinem ehemaligen Intendanten Fritz Pleitgen, dass bei ihm viel auf dem Tisch landete. Er bekam regelmäßig Anrufe von den Parteien, Gewerkschaften, Kirchen. Gelegentlich wurde sich da auch über den Reporter Sonne beschwert mit der Forderung, ihn vom Sender zu nehmen. Diesem Druck hat Pleitgen nie nachgegeben. Er hat mich auch - wenn überhaupt - erst später von solchen Vorfällen unterrichtet. Es gibt also immer wieder Versuche, Einfluss zu nehmen. Umso wichtiger ist es, dass die Medien sich nicht darauf einlassen.
Werner Sonne war von 2004 bis 2012 Berlin-Korrespondent im ARD-Morgenmagazin. In den Jahren davor war Sonne unter anderem Sonderkorrespondent für "ARD-aktuell" und berichtete als Auslandskorrepondent und Studioleiter aus Washington, Warschau und der einstigen Bundeshauptstadt Bonn.
tagesschau.de: Was macht die Affäre um den jetzt zurückgetretenen CSU-Pressesprecher Strepp besonders?
Sonne: Sein Rücktritt ist ja das Eingeständnis eines schweren Fehlers. Er hat versucht, einzugreifen in die aktuelle Berichterstattung. Das ist ein gravierender Angriff auf die Pressefreiheit. Wenn ein Pressesprecher - egal welcher Partei - meint, er könne Einfluss nehmen auf das, was gesendet wird, dann hat er ein gestörtes Verhältnis zur Unabhängigkeit von Journalisten und kann seinen Job nicht weiter ausführen.
tagesschau.de: Hat er im Alleingang gehandelt?
Sonne: Das kann ich beim besten Willen nicht beurteilen. Das müssen die sagen, die ihm möglicherweise einen solchen Auftrag gegeben haben. Da wäre jetzt Wahrhaftigkeit gefragt.
tagesschau.de: ARD und ZDF haben trotz seiner Intervention berichtet. Gibt es auch Fälle, in denen Journalisten sich beeinflussen oder einschüchtern lassen?
Sonne: Mir sind solche Fälle nicht bekannt. Ich hätte ein solches Anliegen immer auf das Schärfste zurückgewiesen und mir eine Einflussnahme nicht gefallen lassen. Und das erwarte ich auch von allen Kollegen, Chefredakteuren und Intendanten.
tagesschau.de: Sind die Beziehungen zwischen Journalisten und Pressesprechern und Politikern zu eng?
Sonne: Die engen Kontakte sind wichtig, um auf dem Laufenden zu sein. Auch Hintergrundgespräche und Treffen sind wichtig. Gut vernetzt zu sein, gehört zum Beruf des Journalisten. Die Frage ist, ob der Journalist dabei seine Unabhängigkeit wahrt und, wenn es drauf ankommt, Rückgrat zeigt. Das ist seine Aufgabe. Die Politik wird immer wieder versuchen, ihre Anliegen durchzusetzen. Ich war immer dagegen, irgendeine Kumpanei zuzulassen, denn wir Journalisten sind auf Dauer nur glaubwürdig, wenn wir strikt unabhängig sind.
tagesschau.de: Sie sind sehr lange im Geschäft gewesen. Hat sich in den Jahrzehnten ihrer journalistischen Arbeit im Verhältnis zwischen Politikern und Journalisten was geändert?
Sonne: Ich war in den späten 60er- und den 70er-Jahren Korrespondent in Bonn. Es wird immer wieder behauptet, dass es dort intimer zugegangen sei, und das kann durchaus sein. Vor allem aber hat die Geschwindigkeit im Umgang mit Informationen zugenommen. Das Spannungsverhältnis zwischen Nähe und Distanz, das jeder einzelne Akteur für sich austarieren muss, ist aber gleich geblieben.
tagesschau.de: Müssten Politiker zu mehr Distanz verpflichtet werden?
Sonne: Auch jeder Politiker muss mit sich selbst ausmachen, wie weit er gehen darf. Das kann man nicht verordnen. Für so etwas kann man keine Vorschriften oder Gesetze erlassen. Das Feingefühl im Umgang mit der jeweils anderen Seite gehört zum Berufsethos - sowohl bei den Journalisten als auch bei den Politikern.
tagesschau.de: Angesichts der Affäre um Herrn Strepp und der Versuche der Einflussnahme, von denen bestimmt nicht nur Ihr ehemaliger Intendant Fritz Pleitgen zu berichten weiß: Müsste die Politik sich nicht mehr zügeln?
Sonne: Dazu gehören immer zwei: die einen, die denken, sie können es versuchen. Und die anderen, die diesen Druck im Alltag aushalten müssen und sich nicht beugen dürfen.
Das Gespräch führte Simone von Stosch, tagesschau.de.