ARD-DeutschlandTrend Mit klarem Profil zum grünen Allzeithoch
Die Grünen sonnen sich im Erfolg, während alle anderen schwächeln - allen voran die FDP. Im ARD-DeutschlandTrend kommen die Liberalen nur noch auf fünf Prozent. Die Ergebnisse machen deutlich: Die Partei hat ein gravierendes inhaltliches Problem - anders als die Grünen. Bei den beliebtesten Politikern gibt es eine Überraschung.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Im Südwesten der Bundesrepublik ist es am wärmsten und sonnigsten, dort kommt der Frühling früher und es grünt eher. In diesem Jahr lässt sich das auf die politische Stimmungslage übertragen: Knapp zwei Wochen nach dem grünen Rekordsieg in Baden-Württemberg kehrt die Partei auch bundesweit auf ihr Rekordniveau zurück. Sie gewinnt gegenüber dem Vormonat satte 8 Prozentpunkte in der Sonntagsfrage und steht jetzt wieder bei 23 Prozent - einem Wert, den sie bisher nur einmal im November 2010 erreicht hat.
Die Grünen gewinnen Wählerinnen und Wähler aus allen politischen Lagern hinzu und schwimmen förmlich auf einer Sympathiewelle. 60 Prozent der Deutschen freuen sich darüber, "dass die Grünen in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen". Und fast zwei Drittel (65 Prozent) fänden es gut, "wenn die Grünen demnächst auch bundesweit an der Regierung beteiligt wären". Selbst CDU- und FDP-Wähler vertreten diese Position in großer Zahl. Immerhin 40 Prozent sind der Ansicht, die Grünen sollten in den nächsten Jahren auch mal den Kanzler oder die Kanzlerin stellen.
In der Sonntagsfrage führt das grüne Hoch bei allen anderen Parteien zu Verlusten gegenüber dem Vormonat. So steht die SPD nur noch bei 27 Prozent (- 1). Trotzdem erreicht das rot-grüne Lager in der Summe 50 Prozent und damit den besten Wert seit elf Jahren. Auf der Gegenseite schwächelt die Bundesregierung. Die Union fällt um zwei Punkte auf 33 Prozent zurück, die FDP verliert einen Punkt auf 5 Prozent. Große Probleme hat auch die Linkspartei, die nur noch 7 Prozent erreicht (- 2), nachdem sie nach der Bundestagswahl mehr als ein Jahr lang durchgängig zweistellige Werte erzielte.
Kleiner harter Kern von Kernkraftbefürwortern
Das alles beherrschende Thema und der entscheidende Grund für die großen Verschiebungen zugunsten der Grünen ist die Atompolitik der Parteien. Der Wunsch nach einem schnellen Ausstieg zieht sich mittlerweile durch alle politischen Lager. Nur unter den CDU/CSU-Anhängern gibt es noch einen kleinen harten Kern von Kernkraftbefürwortern. Das Meinungsbild in der Gesamtbevölkerung ist klar: Nur noch 13 Prozent plädieren dafür, die Atomkraftwerke etwa bis zum Jahr 2040 laufen zu lassen - so wie es die schwarz-gelbe Koalition im Herbst beschlossen hatte. 43 Prozent plädieren für einen Ausstieg um das Jahr 2020 - das entspricht in etwa dem rot-grünen Atomkompromiss. Weitere 43 Prozent wollen aber einen noch früheren Ausstieg.
Ähnlich deutlich ist das Votum in der Frage, ob die von der Bundesregierung kurzfristig stillgelegten älteren Atommeiler und ein weiteres Kraftwerk, das ohnehin schon stillgelegt war, abgeschaltet bleiben oder wieder ans Netz gehen sollen. Lediglich drei Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass alle acht betroffenen Meiler wieder Strom liefern sollten. Zwei Drittel der Befragten (67 Prozent) finden, dass alle acht Kraftwerke dauerhaft stillgelegt werden sollten, 28 Prozent wünschen sich, dass zumindest ein Teil stillgelegt wird. Überraschend ist, dass anders als bei früheren Befragungen, die große Mehrzahl der Befragten sich auch dann gegen längere Laufzeiten ausspricht, wenn dadurch die Strompreise steigen sollten, den Energiekonzernen Entschädigungen gezahlt werden müssten oder die CO2-Belastung ansteigt.
Grüne mit klarem Profil
Aber die Grünen profitieren nicht nur von dieser Stimmungslage, sondern insgesamt von einem klaren politischen Profil. Drei Viertel der Befragten (73 Prozent) erklären, dass sie bei den Grünen genau wissen, "für welche politischen Inhalte die Partei steht". Für SPD und CDU sagen das jeweils nur 52 Prozent, für die Krisenpartei FDP sogar nur 37.
Die Ergebnisse des ARD-DeutschlandTrends machen deutlich, dass die FDP keineswegs nur unter ihrem unpopulären Führungspersonal leidet, sondern ein gravierendes inhaltliches Problem hat. Am ehesten ist sie gegenwärtig für die Wählerinnen und Wähler noch als Bürgerrechtspartei erkennbar. So antworten 51 Prozent der Befragten, die FDP stehe für "die Freiheit des Einzelnen" und 46 Prozent sehen sie als die Partei, die "die Bürgerrechte verteidigt". "Verlässliche Außenpolitik" trauen ihr hingegen nur noch 31 Prozent zu, gerade mal 29 Prozent billigen ihr "kompetente Wirtschaftspolitik zu". Der jahrelange Versuch sich als Steuersenkungspartei zu profilieren endet im demoskopischen Desaster: 18 Prozent der Befragten sind der Ansicht, die FDP stehe für "kluge Steuerpolitik".
Krise der FDP wird zur Krise der Bundesregierung
Und so mündet die Krise der FDP ungebremst in einer Krise der Bundesregierung. 67 Prozent der Befragten erklären, "mit der FDP ist eine verlässliche Politik nicht mehr möglich". Mit 53 Prozent ist sogar die Mehrheit der Unionswähler dieser Ansicht. Allerdings hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auch ihren eigenen Beitrag geleistet zu den schlechten Werten der Bundesregierung. Mit 50 Prozent findet nur die Hälfte der Befragten ihren Meinungswandel in Sachen Kernkraft "glaubwürdig und verständlich". Und er führt dazu, dass 63 Prozent der Befragten der Ansicht sind, "bei Angela Merkel weiß man nicht wofür sie wirklich steht". Immerhin 37 Prozent der Unionsanhänger teilen diese Verunsicherung. So wachsen die Zweifel, ob Union und FDP wirklich die idealen Koalitionspartner sind, und im Gegenzug wachsen die Sympathien selbst bei Unionsanhängern für ein schwarz-grünes Bündnis. So richtig gereift zu sein scheint diese Überzeugung aber noch nicht, denn eine deutliche Mehrheit von 58 Prozent lehnt vorzeitige Neuwahlen zum Deutschen Bundestag ab.
Wechsel an der Spitze der beliebtesten Politiker
Die Probleme der Parteien spiegeln sich auch in der Popularität ihrer Spitzenpolitiker wider. Hier lohnt vor allem der Blick auf das FDP-Personal, das allerdings teilweise nicht nur unter schlechten Bewertungen, sondern auch unter geringer Bekanntheit leidet. Schlusslicht unter den abgefragten FDP-Politikern ist Fraktionschefin Birgit Homburger mit 15 Prozent Zustimmung. Generalsekretär Christian Lindner und Noch-Parteichef Guido Westerwelle kommen auf 25 Prozent, der Gesundheitsminister und künftige Parteichef Philipp Rösler erreicht 30 Prozent, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle 32 Prozent. Deutliche Spitzenreiterin unter den FDP-Politikern ist aber Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit 42 Prozent. Angesichts der mittelprächtigen Bewertungen für Philipp Rösler wundert nicht, dass eine Mehrheit die kleine Rochade an der FDP-Spitze skeptisch beurteilt. Nur 40 Prozent sehen darin eine "Chance für einen politischen Neuanfang", 52 Prozent interpretieren den Wechsel eher als Signal für ein "weiter so". An der Spitze der Liste stehen zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder SPD-Politiker. Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier und der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück sind mit 60 und 59 Prozent praktisch gleich auf, gefolgt von Finanzminister Wolfgang Schäuble (57 Prozent) und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (54 Prozent). Grünen-Fraktionschefin Renate Künast rangiert mit 50 Prozent noch vor Kanzlerin Merkel mit 48 Prozent.
Grünes Hoch nur vorübergehend?
Es gibt allerdings durchaus Indizien dafür, dass der gegenwärtige grüne Höhenflug (noch) kein festes Fundament hat. Da ist zum einen die Einschätzung der Mehrheitsbefragten (56 Prozent), dass die Grünen derzeit nur ein "vorübergehendes Hoch hätten" und "ihre Bedeutung wieder zurück gehen werde". Das andere Indiz ist die Bewertung der Wirtschaftslage. Je mehr das Thema Atompolitik in den nächsten Wochen und Monaten wieder in den Hintergrund gerät, desto stärker dürften die gegenwärtigen Wirtschaftszahlen der Bundesregierung wieder aus dem Tal heraus helfen. Das von den Instituten angekündigte Rekordwachstum schlägt mittlerweile voll auf die Stimmung durch. 66 Prozent der Befragten empfinden die Wirtschaftslage als gut oder sehr gut. Das ist Rekordwert im ARD-DeutschlandTrend.
Und das gleiche gilt für die persönliche wirtschaftliche Lage der Betroffenen. 75 Prozent geben sie als gut oder sehr gut an. Auch hier gilt: Ein so hoher Wert ist im ARD-DeutschlandTrend seit Januar 1998 (bei allerdings nur gelegentlichen Erhebungen) noch nie gemessen worden. Bei aller Zufriedenheit der Befragten über ihre persönliche Situation darf man allerdings die Sorge über die Preisentwicklung nicht außer acht lassen. 66 Prozent der Deutschen registrieren gegenwärtig stark steigende Verbraucherpreise, und die Befragten können auch benennen, wo an der Preisschraube gedreht wird. 63 Prozent machen Benzin und Öl als die Hauptpreistreiber aus, gefolgt von Lebensmitteln (55 Prozent) sowie Strom und Gas (34 Prozent). Bei dieser Frage waren Mehrfachmeinungen möglich.
Fazit in diesem Monat: Trotz bester Wirtschaftsdaten ist die Verunsicherung mit Händen zu greifen. Die anhaltende Euro-Krise, Revolutionen und Bürgerkrieg in Nordafrika und die Atomkatastrophe in Fukushima tragen dazu bei. In dieser Situation fehlt den meisten Befragten eine feste politische Heimat. Für viele stehen im Moment am ehesten die Grünen für Berechenbarkeit und Verlässlichkeit.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1004 Befragte
Erhebungszeitraum: 04. und 05. April 2011
Sonntagsfrage: 1504 Befragte
Erhebungszeitraum: 04. bis 06. April 2011
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
* bei einem Anteilswert von 5%, ** bei einem Anteilswert von 50%