ARD-DeutschlandTrend Merkel punktet in der Krise
Die Griechenland-Krise lässt die Deutschen pessimistisch in die Zukunft blicken: 82 Prozent glauben, dass der "schlimmste Teil der Krise" noch bevorsteht. Kanzlerin Merkel steht seit dem EU-Gipfel in Brüssel bei den Bürgern höher im Kurs. Davon profitiert sie auch im direkten Vergleich mit der SPD-Konkurrenz.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Es ist, als ob vielen Deutschen einfach der Kragen geplatzt wäre: Monatelang hat in unseren Umfragen ein großer Teil der Befragten Verständnis für die Griechen gezeigt - jetzt ist wohl die Grenze überschritten. 82 Prozent fordern im ARD-DeutschlandTrend: "Wenn Griechenland die Beschlüsse zur Euro-Rettung nicht akzeptiert, muss es die Euro-Zone verlassen." Dabei ist es nicht die ursprüngliche Idee eines Volksentscheides, die die Deutschen auf die Palme bringt. Diese Idee findet bei je 48 Prozent der Befragten Zustimmung und Ablehnung. Es ist vielmehr der Zeitpunkt. Bei vielen hatte sich das Gefühl einer leichten Entspannung breit gemacht, nun kommt die Euro-Krise mit voller Wucht zurück.
Anerkennung für Merkels EU-Gipfelauftritt, ...
Trotz dieser neuen Turbulenzen ist Angela Merkel demoskopisch gesehen die Gewinnerin des zurückliegenden Monats. Eine Mehrheit von 58 Prozent findet, dass sie die deutschen Interessen beim EU-Gipfel in Brüssel vergangene Woche erfolgreich vertreten hat. Diese Zahl ist umso erstaunlicher, wenn man sieht, dass die Deutschen in dieser Frage ansonsten mit der Bundesregierung hart ins Gericht gehen: Wie im Vormonat finden nur 37 Prozent, dass die Bundesregierung in der Euro- und Schuldenkrise bisher die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Gerade deshalb stechen die guten Noten für Merkels Gipfelauftritt so heraus.
... sorgt innenpolitisch für Aufwind
Daraus kann die Kanzlerin auch innenpolitisch Kapital schlagen. Die Union erholt sich in der Sonntagsfrage: Sie gewinnt zwei Punkte und erreicht nun wieder 34 Prozent. Mit einem Koalitionspartner FDP, der gerade mal vier Prozent (+1) auf die Waage bringt, würde das im Falle einer Wahl allerdings nicht reichen, um eine Regierung zu bilden.
Die SPD legt um einen Punkt auf 31 Prozent zu. Die Grünen geben zwei Punkte ab, fallen auf 15 Prozent zurück. Sie haben damit wieder das Niveau erreicht, das sie vor der Atomkatastrophe von Fukushima hatten. Seit Mitte März hat Rot-Grün eine theoretische Mehrheit, die hat sich nun zum ersten Mal seit acht Monaten verflüchtigt. Denn auch die Piraten mit sieben Prozent (-1) und die Linkspartei mit unverändert sechs Prozent hätten ihren Platz im Bundestag, wenn am nächsten Sonntag tatsächlich gewählt würde.
Deutsche sorgen sich wegen der Euro-Krise
Beherrschendes Thema ist und bleibt die Euro-Krise. Nach den jüngsten Entwicklungen in Griechenland glauben 82 Prozent, dass der "schlimmste Teil der Krise" noch bevorsteht. So pessimistisch waren die Deutschen bisher nicht. Es ist der höchste Wert, den wir bei dieser Frage seit Beginn der Finanzkrise 2008 gemessen haben. Damit einher geht die Vermutung, dass die Bundesrepublik am Ende mehr Geld auf den Tisch legen muss, als derzeit mit dem EFSF-Rettungsschirm garantiert ist. Das sehen 84 Prozent der Befragten so. Und in dieser Frage sind sich die Anhänger aller politischen Parteien mit großer Mehrheit einig.
Trotz dieses großen Unbehagens zieht die Mehrheit daraus nicht den Schluss, dass die gemeinsame Währung Euro ein politischer Fehler war. Auch auf dem bisherigen Höhepunkt der Krise ist nur eine Minderheit von 46 Prozent der Ansicht, "die Bundesrepublik hätte besser die D-Mark behalten sollen". Die Mehrheit von 50 Prozent ist anderer Ansicht.
Nur eine Minderheit glaubt an die Macht des Staates
Ziemlich ernüchternd sind die Einschätzungen zur Entschlossenheit und zum Handlungsspielraum der G20-Staaten, die gerade in Südfrankreich tagen. Auf der einen Seite sind sich die Deutschen einig: Eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte ist notwendig (92 Prozent), und eine weltweite Finanztransaktionssteuer wäre ein wichtiger Beitrag, künftige Krisen zu vermeiden (61 Prozent). Allerdings glaubt nur knapp die Hälfte der Befragten (48 Prozent), dass die Staaten tatsächlich die Macht hätten, stärkere Kontrollen der Märkte durchzusetzen. Und gerade mal 24 Prozent rechnen überhaupt damit, dass die G20 es versuchen und stärkere Kontrollen beschließen werden.
Diese Zahlen zeichnen ein trauriges Bild von der internationalen Politik. Es zeigt Staats- und Regierungschefs, die weder den Willen noch die Möglichkeit haben, wirklich etwas zu ändern. Zumindest sieht die demoskopische Realität so aus.
Viel Vertrauen in den Verteidigungsminister
Umso erstaunlicher ist, dass eine besonders wichtige Figur aus diesem Kreis, Bundeskanzlerin Merkel, ihre eigene Position in diesem Monat deutlich verbessern kann. Statt zuletzt nur noch 48 Prozent sind nun 57 Prozent der Befragten (+9) mit der politischen Arbeit Merkels zufrieden. Damit findet sie zurück in die Spitzengruppe der deutschen Politik.
Ganz vorne liegt jetzt wieder Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der mit 61 Prozent (+8) seinen bisherigen Rekordwert erzielt. Ihm folgt Ex-Finanzminister Peer Steinbrück mit 58 Prozent (+3) vor der Bundeskanzlerin. Fast gleichauf mit jeweils 56 Prozent sind SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Wolfgang Schäuble. Es ist immerhin ein Fünferkreis, der mehrheitlich das Vertrauen der Deutschen genießt
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Merkel macht Boden auf Steinbrück gut
Interessant ist, dass die Kanzlerin auch ihre Position gegenüber den beiden möglichen SPD-Herausforderern im direkten Vergleich gefestigt hat. Gäbe es eine Direktwahl zwischen Merkel und Steinmeier, so hätte Merkel mit 47 zu 36 Prozent elf Punkte Vorsprung. Im August hatte sie noch Rückstand. Und gegen Peer Steinbrück käme es zu einem 42 zu 45. Hier ist der Rückstand von Merkel von acht auf drei Punkte geschrumpft. Das hat nicht nur mit dem erfolgreichen internationalen Auftritt Merkels zu tun, sondern auch mit der gemeinsamen Medienkampagne von Ex-Kanzler Helmut Schmidt und Steinbrück. Diese hatte erkennbar das Ziel, ihn der Kanzlerkandidatur näher zu bringen. Diese Auftritte spalten die Bevölkerung: Genau die Hälfte der Befragten halten es für angemessen, auf diesem Wege für die Kanzlerkandidatur zu werben, 45 Prozent halten es für unangemessen. So bleibt vorläufig offen, ob das Ganze Steinbrück seinem Ziel tatsächlich näher gebracht hat.
Lieber weniger Schulden als weniger Steuern
Bleibt der Blick auf die aktuellen innenpolitischen Themen. Zur allgemeinen Überraschung wird die CDU auf ihrem Parteitag einen Beschluss zum allgemeinen Mindestlohn treffen, den sie lieber "Lohnuntergrenze" nennen will. In der Sache schließt sich die Partei damit der übergroßen Zahl der Wählerinnen und Wähler und der eigenen Anhängerinnen und Anhänger an. 86 Prozent der Deutschen sind für einen allgemeinen Mindestlohn - und auch 87 Prozent der Unionsanhänger. Dabei befürwortet jeweils die Hälfte (47 Prozent), dass ein solcher Mindestlohn vom Bundestag gesetzlich beschlossen bzw. dass er von den Tarifparteien ausgehandelt wird.
Die Mehrheit der Deutschen (62 Prozent) ist weiterhin der Ansicht, es sei wichtiger, weniger neue Schulden zu machen, als die Steuern zu senken (28 Prozent). Wenn es allerdings zu einem solchen Beschluss kommen sollte, wäre in Gesamtdeutschland die Absenkung des Solidaritätszuschlags mit 50 Prozent der populärere Weg gegenüber der Absenkung der Lohn- und Einkommensteuer mit 40 Prozent. Nicht überraschend ist allerdings, dass das Land in dieser Frage geteilt bleibt: Unter den Ostdeutschen spricht sich eine Mehrheit von 55 Prozent für eine Steuersenkung aus, unter den Westdeutschen ist die gleich große Mehrheit von 55 Prozent für die Senkung des Solidaritätszuschlags. In dieser Frage geht es also um weit mehr als Steuerpolitik.
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1002 Befragte
Erhebungszeitraum: 31. Oktober bis 01. November 2011
Fallzahl Sonntagsfrage: 1502 Befragte
Erhebungszeitraum: 31. Oktober bis 02. November 2011
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
* bei einem Anteilswert von 5%, ** bei einem Anteilswert von 50%